Kolumne

#litku #tddl

Wien-Klagenfurt, das ist eine angenehme Zugstrecke, wenn auch keine sich aufdrängende. Zumindest nicht für mich. Heute allerdings sind die vier Stunden im ÖBB Railjet nicht nur notwendig, ihnen haftet auch etwas Feierliches an. Ich bin unterwegs, um als Stipendiatin am 21. Klagenfurter Literaturkurs, auch bekannt als 'Häschenkurs', teilzunehmen, der jedes Jahr im Vorfeld der Tage der deutschsprachigen Literatur, dem Bachmannwettbewerb, abgehalten wird. Mir gegenüber sitzt F., ebenfalls eine der neun Auserwählten. Vor uns liegen dreieinhalb Tage Workshop mit den Tutor_innen Annette Hug, Ludwig Laher und Julia Schoch. Danach sind wir eingeladen, für das große Wettlesen in der Stadt zu bleiben. Während der Zug also Richtung Süden fährt, lesen wir nochmals die Einreichungen der anderen Teilnehmer_innen und tauschen uns dazwischen über unsere Leseerfahrungen aus. F. und ich studieren beide am Institut für Sprachkunst der Angewandten, wir arbeiten beide in der Redaktion der Zeitschrift JENNY – ein kritischer Blick auf Texte ist inzwischen normal. Eine Frau neben uns liest Danielle Steel und mustert uns von der Seite. Als der Monitor im Railjet 'nächste Station: Klagenfurt' anzeigt, möchte ich ein Foto machen. Der Zug rumpelt, das Bild wird nicht scharf. F. stützt ihr Telefon an der Rückenlehne ab, kriegt ein passables Bild hin und postet es. Ich sage: Verlink mich doch bitte.

Es ist Sonntag, 18:20. F. und ich treten aus dem Bahnhofsgebäude. Die Sonne scheint und es regnet. Wetterkaprizen. Nicht die letzten, die wir in Klagenfurt erleben werden. Dichterwetter? Ich lasse den Blick schweifen. Direkt an der Bahnhofskreuzung liegt bereits das Musilmuseum, von dessen Fassade uns Christine Lavant, Ingeborg Bachmann und Robert Musil entgegen schauen. Hier wird in den nächsten Tagen der Literaturkurs abgehalten werden. Erst einmal ziehen wir aber mit unserem Gepäck daran vorbei, die Bahnhofstraße hinauf zur Altstadt. Klagenfurt scheint klein, ich spüre eine gewisse Beklemmung, denke: 8 Tage können eine lange Zeit sein, und ziehe meinen Koffer weiter zum Hotel.  Beim Check-In bekommen wir einen Zeitplan für den Literaturkurs und stellen fest, wir werden jeweils drei Einzelgespräche mit den Tutor_innen zu unseren eingereichten Texten führen, Gruppengespräche sind keine vorgesehen. Zwei Nachmittage sind bewusst frei gehalten, damit wir bei Bedarf nach dem erfolgten Feedback weiter an den Texten arbeiten können. Oder wir fahren zum See, wird später jemand vorschlagen.

Um 20:00 werden wir bereits im Musilmuseum erwartet. Sein Leiter, Heimo Strempfl, der den Literaturkurs koordiniert, empfängt uns und erzählt vom Ironman Triathlon, der an diesem Tag in Klagenfurt stattgefunden hat. Nach und nach trudeln die Stipendiat_innen und Tutor_innen ein. Manche mussten für die Anreise sehr früh aufstehen oder bereits am Vortag aufbrechen, haben Nachtzüge oder gar drei verschiedene Flüge genommen. Einige der Teilnehmer_innen studieren ebenfalls oder haben an den einschlägigen Instituten in Leipzig und Hildesheim studiert, alle sind in der einen oder anderen Weise werkstatterfahren. Der Altersschnitt ist für den Nachwuchskontext erstaunlich hoch, tendiert gegen 30. Die Tutor_innen werden aufs Podium gebeten, es soll wie jedes Jahr eine Diskussionsrunde geben. Literatur und Politik. Wir dachten, das wäre was Aktuelles, sagt Heimo Strempfl in der Einleitung. Man habe sich auf das Thema geeinigt, lange bevor Martin Kušej kürzlich als neuer Burgtheaterdirektor berufen wurde und man sich dort dem politischen Theater verschrieben habe. Die Klagenfurter Bürgermeisterin, ganz in Rot, spricht Begrüßungsworte und weist darauf hin, dass die Nachwuchsförderung im Rahmen des Literaturkurses auch beinhaltet, dass die Stipendiat_innen in Programmheft und Internetauftritt der TDDL vertreten sind. Tatsächlich werden mich während der Wettbewerbstage diverse Personen wegen des Fotos im Programmheft ansprechen. Visibility erhöhen, echot in mir, was ich neulich an anderer Literatinnen fördernder Stelle gehört habe. #litku #tddl. Auch Heimo hatte bereits im Vorfeld über Twitter und Facebook für den Kurs und uns Werbung im Fahrwasser des Bachmannwettbewerbs gemacht.

Die Tutor_innen werden bei der Diskussionsveranstaltung nur rudimentär vorgestellt. Weiß die Moderatorin, dass uns Heimo vorab jede Menge Informationen zugespielt hat, dass wir sogar über zweckdienliche Videolinks verfügen? Die Frage, wie sich Literatur und Politik zueinander verhalten, wollen die Tutor_innen jedenfalls nicht undifferenziert beantwortet wissen. Man unterscheidet zwischen Tagesaktuellem und Strukturellem. Sowohl von der stark politisch beeinflussten Situation von Kolleg_innen etwa in der Türkei (Laher) wie andererseits auch von neuartigen literarischen Transnationalitäten und der Abschaffung von Nationalstilen (Hug) ist die Rede. Julia Schoch warnt, dass es keinen Sinn macht, forciert politisch zu schreiben, um Texte aktueller zu machen. Man müsse vor allem das verarbeiten, was aus einem selber kommt. Von einer positiven Art Tunnelblick wird gesprochen, von einer inneren Stimme. Nun werde es aber zu esoterisch, meint Ludwig Laher scherzhaft. Die Moderatorin sagt mehrmals 'Fallstricke' und stellt schließlich etwas irritiert fest: Literatur ist eigentlich das schlechteste Mittel, um politische Entwicklungen zu verhandeln. Die Bürgermeisterin steht irgendwann auf und geht. Die Tutor_innen lenken die Diskussion schließlich unmittelbarer in Richtung Literaturkurs. Ludwig Laher attestiert den Stipendiat_innen schreiberisches Selbstwertgefühl, da die eingereichten Texte so divers seien und sich nicht nach einem angenommenen Zeitgeist richten. Annette Hug fügt hinzu, dass Feedback zwar wertvoll sei, dass jedoch trotzdem 90% der ausgesprochenen Ratschläge missachtet werden müssten. Heimo Strempfl sagt während seiner Bemerkungen mehrmals "man und frau". Ob die Tatsache, dass unsere Gruppe aus acht weiblichen und einem männlichen Teilnehmer_innen  sowie zwei weiblichen und einem männlichen Tutor_innen besteht, sich auf den Sprachgebrauch auswirkt? Später werden wir jedenfalls noch über das Verhältnis von Männern und Frauen im Betrieb reden und darüber, dass hier sogar der Fotograf für das Gruppenfoto nach den "Stipendiatinnen und Stipendiaten" gerufen hatte.

Es gibt Brötchen und Wein und Loungemusik vom extra engagierten DJ. Wir lernen uns kennen. Oder in vielen Fällen: Wir lernen uns besser kennen, wir haben uns bereits anderswo getroffen. Bei Wettbewerben. In Workshops. Haben zumindest voneinander gehört, gelesen. Auf Festivals, in Zeitschriften, in den Sozialen Medien, durch gemeinsame Bekannte. Wir kennen einander wenig, sagte Julia Schoch in der Diskussion zum miteinander-Menschsein: Wir kennen einander wenig, aber wir machen ähnliche Erfahrungen. Im engeren Kontext des Literaturbetriebs (wir sind wohl schon drin, zumindest mit einem Bein?), einer unserer gemeinsamen Blasen, trifft das umso mehr zu. Annette Hug und Julia Schoch hatten einander jedenfalls selbst als Stipendiatinnen beim Klagenfurter Literaturkurs kennengelernt und einander danach nicht mehr wiedergesehen - bis vor Kurzem, bis Hug in diesem Jahr als Tutorin zu Schoch und Laher gestoßen ist und man sich anlässlich der finalen Auswahl der Teilnehmer_innen getroffen hatte. Wir sind uns nicht sicher, ob wir sie siezen oder duzen sollen, beide Varianten werden ausprobiert. Während der Einzelgespräche wird sich herausstellen, dass wir per Sie sind. Die örtliche Bevölkerung hingegen scheint durchgehend zu duzen. Wir reden noch eine Weile in Grüppchen, jemand gründet eine WhatsApp-Gruppe, wir sind gerüstet. Vielleicht würde man sich morgen Räder ausleihen, zum Sondertarif, sie sind bereits für uns vorreserviert. Ludwig Laher zwinkert mir zu, wir haben morgen früh das erste Einzelgespräch. Wir wollen nichts vorwegnehmen, stoßen deshalb nur an und sprechen über alles andere. Erste Personen gähnen, wir wollen früh ins Bett.

Am Montagmorgen sitze ich also Ludwig Laher in einem kleinen Büro des Musilinstituts gegenüber, am Dienstag Annette Hug im Veranstaltungssaal, am Mittwoch Julia Schoch in der Mansarde des Hauses. So unterschiedlich die Gespräche sich auch gestalten, so sehr sind alle drei durch Wertschätzung und Einfühlung in die Texte geprägt. Während Ludwig Laher sich gerne den sprachlichen Details der Einreichungen widmet, weist Annette Hug auf grundsätzlich Konzeptuelles hin. Bei Julia Schoch werden auch philosophische Fragen gestellt. In meinen Gesprächen geht es aber beispielsweise auch um "Verhandlungsmasse" mit Lektoren, digitale Veröffentlichungsmöglichkeiten und das Österreichische in Texten. Nach den Terminen gibt es noch Gelegenheit zum informellen Austausch in einer Sitzecke des Museum. Ist Kaffee ein Thema? fragt Heimo Strempfl immer wieder, und immer wieder bejahen wir gerne. 'Häschen sent you a message', sagt mir mein Telefon zwischendurch. Häschen ist der Name der WhatsApp-Gruppe. Häschen heißt auch mein Projekt. Zufall. Ich gewöhne mich bis zuletzt nicht daran, Nachrichten unter diesem Namen zu bekommen. Ich gewöhne mich allerdings daran, gefragt zu werden, ob die Namensgleichheit Zufall ist. An einem Nachmittag fahren wir tatsächlich zum See, arbeiten ansonsten aber fleißig an den Texten. Alle scheinen bestärkt von der konstruktiven Kritik der Tutor_innen. Wir sind guter Dinge, sprechen über Visionen von ersten Büchern. Kollektives Seufzen bleibt aus. Weil wir das zweite Bein eben noch nicht im Betrieb haben? frage ich mich.

Auch am Montag und Dienstag gibt es Abendprogramm. Am Montag führt uns Heimo durch die Gert Jonke Ausstellung im Museum. Jonke als erster Bachmannpreisträger. Jonke seinerseits als Namensgeber eines Literaturpreises. Besonderes Highlight in den Räumlichkeiten: ein imposanter Pflanzentisch, der nach Jonkes Vision von musikalischen Pflanzen gestaltet, durch eine Komposition von Susanna Ridler ergänzt wurde und von der, wie Heimo immer wieder bemerkt,  literaturaffinen städtischen Abteilung für Park- und Grünanlagen so liebevoll gepflegt wird, dass er Monate über die geplante Dauer hinaus im Museum behalten werden konnte. Danach gibt es eine Vorführung des Filmes 'Rückkehr an meinen Ausgangspunkt', Peter Turrinis Erinnerungen an den nahe gelegenen Tonhof in Maria Saal. Ich freue mich und werde etwas nostalgisch, da ich vor ein paar Jahren selbst ein paar Tage in diesem besonderen Haus verbringen durfte. Am Dienstagabend findet schließlich eine Lesung im Museum statt. Luise Maier, die vor zwei Jahren am Literaturkurs teilgenommen hat, ist extra aus Biel angereist, um ihr Debüt 'Dass wir uns haben' vorzustellen. Bereits vor der Veranstaltung gesellt sich Luise zu uns. Wir gleichen Erfahrungen ab. Im Gespräch nach der Lesung stellt Heimo die Frage, ob man vom Verkauf eines Buches Leben könne. Alle lachen. Luise Maier berichtet, dass sie nebenher als Deutschlehrerin für Erwachsene arbeitet, dass ihr das aber durchaus entgegen komme, da sie die dadurch gegebene Struktur schätzt und so die Tendenz "auszufransen" nicht so leicht gegeben sei. Auf die Frage, ob man ihr Buch autobiografisch verstehen könne, meine ich hingegen ein leichtes Seufzen auf Seiten der Autorin vernehmen zu können. Ah, die altbekannte Frage, sagt sie – um sich anschließend von dieser Lesart zu distanzieren. Drei Jahre habe sie für die Arbeit an dem Buch gebraucht, erzählt Luise Maier außerdem, und dass es schmerzhaft gewesen sei, es schließlich loszulassen. Um die Lücke zu füllen, habe sie zu malen begonnen. Die Vernissage ist nächste Woche, fügt Heimo hinzu. An diesem Abend stehen wir, wie so oft während dieser Zeit, gemeinsam vor dem Museum. Lavant, Bachmann und Musil sehen uns beim Trinken und Rauchen zu. Langsam gewöhne ich mich an Klagenfurt, denke ich. Stefanie Sargnagel spaziert vorbei. Sie ist gerade aus Wien angekommen, bleibt kurz auf ein Glas Wasser. Da sie gerade keinen Alkohol trinke und deshalb keine Beisl aufsuche, fühle sie sich noch viel stärker im "Kulturghetto" als sonst, meint sie. Jemand aus der Runde bitte sie um ein 'Fangirl-Selfie'. Neben mir steht eine Frau, die sich als Agentin zu erkennen gibt. Mein Gesicht komme ihr bekannt vor. Ich sage, ich war letztes Jahr beim Open Mike. Ah?, sagt sie. In der Lyrik-Kategorie, füge ich hinzu. Oh, sagt sie und zieht die Mundwinkel leicht nach unten. Sie ist die Agentin einer Stipendiatin, meint sie noch. Wow, denke ich.

Am Mittwoch ist die Stimmung bereits während des Frühstücks leicht aufgeregt. Schließlich steht am Nachmittag die Lesung der Stipendiat_innen an. Einige von uns wollen ihre Texte noch bearbeiten, kürzen, probelesen. Im Museum werden Stühle arrangiert, Ulrike Delclos, die gute Seele des Hauses, sieht nach dem Rechten. Ab 13:40 kommen mehr und mehr Besucher_innen, der Veranstaltungsraum  füllt sich fast bis auf den letzten Platz. Die Nervosität steigt, wir hatten nicht mit einem so großen Andrang gerechnet. Ich erkenne die Agentin vom Vorabend im Publikum. Auch andere Personen aus dem 'Betrieb' sollen da sein, alle bereits hier für den Wettbewerb, der am Abend eröffnet wird. Ganz vorne nehmen zwei wichtig aussehende Herren Platz, die unentwegt in ihre mobilen Geräte tippen. Zuletzt treten wir, ohne es abgesprochen zu haben, geschlossen von hinten auf und werden von den Sitzenden mit freundlich interessierten Blicken bedacht. Es geht los. Von den meisten Texten werden, wie beim Bachmannwettbewerb, Kopien ausgegeben. Es wird in drei Dreierblöcken gelesen. Bis 17:00 sollten wir dann fertig sein, meint Heimo Strempfl in der Begrüßung. Es ist kurz nach 14:00. Die Herren in der ersten Reihe sehen einander leicht fassungslos an. Heimo sitzt die ganze Zeit über vorne, neben ihm nimmt jeweils ein/e Stipendiat/in für die Lesung Platz. Wir werden gewissenhaft vorgestellt, indem Heimo unsere gesamte Kurzbiografie verliest. Die Herren in der ersten Reihe machen Fotos, schlichten ihre Kopien und stoßen einander gelegentlich an. Es herrscht eine konzentrierte Atmosphäre, man liest mit, blättert kollektiv um. Ein wenig fühlt es sich tatsächlich an wie bei den TDDL – bloß ohne Kameras. Jedoch wohl nicht ganz ohne Wettbewerb, denke ich und luge mal auf die Agentin in der dritten Reihe, mal auf die Herren ganz vorne. Warmer Applaus, sagt Annette Hug zu mir in der Pause nach meiner Lesung. Von da an achte ich auch auf etwaige Unterschiede beim Klatschen. In der nächsten Pause wird eine Stipendiatin, diejenige mit der Agentin, interviewt – die Herren aus der ersten Reihe haben sich als Journalisten entpuppt. Insgesamt scheint die Veranstaltung recht kurzweilig. Jemand aus dem Publikum sagt später, die Qualität sei mindestens genauso gut gewesen wie beim Bachmannwettbewerb. Wir bieten jedenfalls sowohl inhaltlich als auch stilistisch eine breite Palette – wenngleich die "klassischen" Erzähltexte überwiegen. F. und ich fallen sichtlich raus. Zufall oder der Einfluss der Sprachkunst in Wien? Wir grinsen uns an. Nach der Veranstaltung stehen wir noch eine Weile vor dem Musilmuseum. Ingeborg Bachmann sieht uns herausfordernd an. Christine Lavant schaut ins Leere. Ich rücke dennoch ein Stückchen weiter zu ihr. Später finde ich ein Foto von mir auf der Facebook-Seite von lesenswert des SWR wieder. Eine Zeile meines Textes wird – wenn auch nicht ganz korrekt – zitiert, mein Name genannt. #tddl steht daneben.

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