DAS ENDE VON ETWAS
In the old days Hortons Bay was a lumbering town. No one who lived in it was out of sound of the big saws in the mill by the lake. Then one year there were no more logs to make lumber. The lumber schooners came into the bay and were loaded with the cut of the mill that stood stacked in the yard. All the piles of lumber were carried away. The big mill building had all its machinery that was removable taken out and hoisted on board one of the schooners by the men who had worked in the mill. The schooner moved out of the bay toward the open lake, carrying the two great saws, the travelling carriage that hurled the logs against the revolving, circular saws and all the rollers, wheels, belts and iron piled on a hull-deep load of lumber. Its open hold covered with canvas and lashed tight, the sails of the schooner filled and it moved out into the open lake, carrying with it everything that had made the mill a mill and Hortons Bay a town.
In seiner Kurzgeschichte „The End of Something“ von 1925 schildert Ernest Hemingway das Ende einer Liebe von zwei Jugendlichen. Als Einleitung steht der Rückblick auf die Sägemühle in Hortons Bay, die der Stadt Lohn und Brot gegeben hatte, ehe sie wegen der konjunkturellen Entwicklung eingestellt wurde.
Hortons Bay
Die Dramaturgie vom Ende unseres Literaturunternehmens weist einige Parallelen mit dieser Story auf. Zwar ohne den industriellen Aspekt einer Sägemühle und ohne Züge einer zartbitteren Liebesgeschichte, aber doch ein Ende, wenn auch einstweilen noch ein offenes.
Das Personenunternehmen Krautgarten erliegt nicht der Altersschwäche, noch einem organischen Leiden, sondern einem gezielt geführten Schlag vonseiten einer stumpfsinnigen Regionalbehörde. Das Konzept der Zeitschrift war tragfähig, das Tagesgeschäft international erfolgreich, das Ansehen groß. Die Verantwortung für den plötzlichen Niedergang liegt allein bei der politischen und bürokratischen Willkür der Eupener Autonomiebehörde, begünstigt durch die seltsame Gleichgültigkeit des Umfeldes.
Zum näheren Verständnis für Leser, die nicht mit Ostbelgien vertraut sind, sei gesagt, dass es hier im Osten Belgiens ca. 74.000 Seelen aufgetragen ist, aus diesem Flecken ein blühendes Staatswesen zu formen. Es gibt eine eigene Regierung (4 Minister), ein Parlament, eine geduckte monolithische Presse, eine „autonome“ Justiz und eine aufgeblähte Verwaltung. Die Machtausübung entwickelte sich rasch innerhalb der 40 Jahre, die es bereits dauert, zu einer Willkürpraxis, gegen die kein Rekurs besteht, weder innerhalb des Zaunes noch draußen.
Neben der strukturellen Untauglichkeit des Rahmens gab es zwei punktuelle Vorgänge, die negative Auswirkung auf unser Literaturunternehmen hatten, zum einen die finanzielle Andockung eines Großteils der politischen und kulturellen Weichensteller der Region an die extrem rechte Niermann-Stiftung („Affäre“, „Skandal“ von 1987 bis 1997, Datum des „Abschlussberichtes“ der Untersuchungskommission); Krautgarten hatte sich intensiv an der Aufklärung über die Umtriebe der Stiftung beteiligt. Zum andern das von industriellen Mega-Kriterien inspirierte „Kulturdekret“ der Eupener Regierung (2013) und dessen willkürliche Anwendung auf Krautgarten, mit der Aberkennung des Status eines „Kulturträgers“.
David und Job
Krautgarten ist kein industrielles Unternehmen, arbeitet seit jeher mit einer spärlichen finanziellen und personellen Ausstattung und verfügte nie über eine Kommerzstruktur. Zweimal, gegen die Niermann-Stiftung und gegen die Dekret-Gleichschaltung, haben wir die verfügbaren Kräfte aufgeboten, um die Stirn zu bieten und uns gegen die Gewalt zu behaupten. Das ist – um den Preis der politischen und gesellschaftlichen Exklusion im Biotop – gegenüber der ominösen Stiftung und ihrem Heer von profitierenden Mitläufern gelungen. Es ist nicht aufgegangen, als zuletzt mit dem Dekret die bürokratischen Daumenschrauben angesetzt wurden. Und so kam es zum Titel der Mai-Ausgabe „Exit“ und zu dem des vorliegenden Heftes „Das Ende von etwas“.
Die biblischen Vergleiche hinken. David erschoss Goliath und war Sieger. Job wurde vom Herrn begnadigt, es war nur eine Prüfung gewesen. Für uns ist es, viel ernster, ein Ende. Dennoch sind wir überzeugt, dass es uns in 34 Jahren gelungen ist, Zeichen zu setzen. Eine Reihe von Beiträgen in dieser Ausgabe skizziert die geistige und menschliche Bilanz: so Strasser, Schäfer, Bacher, Hoffmann, Ducal, Jenny, Moxhet und – krönend – Wiegerling. Ich muss es also nicht wiederholen, alles ist gesagt. Und vielleicht kann man Dominique Massaut glauben, der seinem Beitrag den Titel gibt „Der Anfang von etwas“. Stärkend sind die vielen erhaltenen Freundschafts- und Solidaritätsbekundungen. Und schließlich gibt es die Gewissheit: Es ist ein bleibendes Werk geschaffen worden.
Hommage
Dieses Heft ist anders zusammengestellt worden als die bisherigen 68. Zum ersten Mal sind wir von dem Prinzip abgewichen, eine Komposition aus den spontanen Zusendungen zu gestalten. Wir entschuldigen uns dafür bei den unbekannten und den jugendlichen, noch nicht „etablierten“ Autoren. Stattdessen hat die Redaktion eine Auswahl von Krautgarten-Autoren aus diesen 34 Jahren um einen Beitrag gebeten, frei geschrieben, aus der aktuellen Produktion, oder angelehnt an das titelgebende Motto. Daraus ist – nach dem französischen Motto „finir en beauté“ – die umfangreichste und die glanzvollste Ausgabe überhaupt geworden, die unsere Erwartung überreich erfüllt: Noch einmal das breite Spektrum sichtbar zu machen, Literatur in allen Facetten und Klängen und Bildern darzustellen, eine Internationale der Kreativität, Inspiration und Genialität im Bereich der Sprache auf der Bühne zu zeigen. Das sind – in ungewohnt hoher Zahl – fünfundvierzig schreibende Persönlichkeiten (Autoren, Übersetzer, geisteswissenschaftliche Berufe) sowie siebzehn Künstler und Künstlerinnen: als ältester Jahrgang Roger Greisch (1919) und als Jüngstgeborene Sarah Majerus (1986). Übrigens stammen 13 unter letzteren aus der Region (von Lüttich bis Aachen).
Dieses Opus widmen wir den Kernarbeitern, den Mitgliedern, Freunden und Förderern, den Autoren und Künstlern, den Lesern und Freunden der Literatur, die uns die Arbeit über drei Jahrzehnte lang möglich gemacht haben. Ihnen allen ist zu danken, es ist ihr Werk.
Etwas
Zwar hatte Krautgarten nie die Reichweite und Macht einer ecclesia triumphans, im Unterschied zu manchen andern Kulturunternehmen der Region. Aber der kleine Rahmen ermöglichte eine Ernsthaftigkeit, eine Festlichkeit und Konvivialität, die anziehend für Außenstehende wirkte und ein rasches Bekanntwerden über Ostbelgien hinaus mit sich brachte. Die Ausweitung nach Wallonien, Flandern, Luxemburg, Rheinland-Pfalz, NRW, Österreich, Schweiz, Berlin – mit Begegnungen, Einladungen, Lesungen, Kolloquien, Literaturtagen, in der Art der Gastfreundschaften im klassischen Griechenland oder der abendlichen Lagerfeuer in einer Oase, bei der die Reisenden ihre Welterfahrung austauschen.
Nach dem Eupener Verdikt wird nun der kleine, aber leistungsstarke „Betrieb“, der all das ermöglicht hatte, eingestellt. Die frühere Umtriebigkeit ist nicht mehr zu leisten, damit entfällt zwangsläufig die kosmopolitische Ausstrahlung und ebenso der positive Abglanz, der auf das Eupener Unternehmen „Autonomie“ fiel. Während die politische Klasse nach Anerkennung draußen giert und dazu monströs teure aber erfolglose Kampagnen durchführt, zerschlägt man unverantwortlich eine der Möglichkeiten, mit Qualitätsarbeit bemerkt zu werden. Welche Werbung verspricht man sich von der Liquidierung eines Botschafters?
Was bleibt
Die Vereinigung (VoG) Krautgarten gründet sich auf die Mitgliedschaft und bleibt auch ohne den bisherigen Tagesbetrieb bestehen. Die Mitglieder bestimmen auf der Jahresversammlung im ersten Quartal das Programm. Für Druck- und Editionsvorhaben werden Anträge in Eupen eingereicht und dann nach Bewilligung einer Förderung ausgeführt. Auch das Abonnement wird weiterhin angeboten. Es gibt Anrecht auf weitere Ausgaben der Zeitschrift im reduzierten Format und in loser Folge sowie auf einen ermäßigten Preis für neue Bücher der edition.
Wir bitten alle Leser, die Krautgarten ein Überleben in der Erinnerung wünschen, sich für die Verbreitung der Kollektion einzusetzen (Siehe Seite 81).
„Das Ende von etwas“ ist kein Lebensende, keine Weltkatastrophe, kein Anlass von Verzweiflung. Dieses „Etwas“ lässt sich bündeln zu einem außergewöhnlichen Moment in der Geschichte Ostbelgiens und der Grenzregion. Dabei gewesen zu sein, erfüllt mit Genugtuung. Mit etwas mehr Abstand wird man sich in einigen Jahren die Augen vor Verwunderung darüber reiben, dass dieser Versuch – an diesem Ort! – überhaupt gewagt wurde und dass er so lange gehalten hat.
Kaspar Jenny schreibt (S. 79): „Wer einen Garten zerstört, zerstört einen Lebensraum.“ Und weiter: „Irgendwo wuchern die Gärten weiter, wachsen heran, um später einmal wieder hervorzubrechen mit all der Kraft jenes Eigensinns, den die gläsernen und kalten Schalen der Wirklichkeit zu zerschmettern drohen. (…) Die Gärten bleiben unterwegs.“
Könnte er Recht haben?
***
Krautgarten Sonderheft 71
November 2017 - 36. Jahrgang II
ISSN: 1374 - 7762
Redaktion: Bruno Kartheuser, Alfred Strasser, Klaus Wiegerling, Alessandra Kartheuser, Albert Moxhet.
www.krautgarten.be
Fixpoetry 2018
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben