Kolumne

[ Ruth Landshoff-Yorck, Das Mädchen mit wenig PS] My white male bookshelf #14

Vor einer Weile habe ich alle Bücher männlicher Autoren in meinem Bücherregal umgedreht. Man sah statt bunter Buchrücken fast nur noch die Seiten. Mein Regal war weiß geworden. Seit dem lese ich nur noch weibliche Autorinnen. In der aktuellen Ausgabe steht My white male bookshelf bei Christian Dittloff, Autor.

My white male bookshelf steht bei Christian Dittloff, Autor

Lifestyle ist eines dieser Wörter, die alles und nichts bezeichnen können. Ich assoziiere damit irgendetwas zwischen Hippiekommune und Designsofa, zwischen Smoothies und künstlichen Fingernägeln, zwischen Urban Gardening und Reihenhaus. Die Aufzählung zeigt schon, dass die Art, wie man lebt, ein Kampfplatz für Utopien, neue Produkte und die Inszenierung der eigenen Person ist. Das kann abstoßend sein, wenn man merkt, dass eine Person als Influencer vor allem als Werbefläche dient, oder anziehend, wenn der Lebensstil einer Person als Realisierung unausgesprochener Wünsche und Sehnsüchte erscheint. Faszinierend ist es, wenn Menschen aus einer Mischung aus Konsum und Überschreitung etwas machen, das einerseits lustvoll ist und andererseits insofern utopisch, als es an den Grenzen rüttelt, in denen wir unser Leben gestalten.

Stellt man sich eine Schriftstellerin vor, die ihre Karriere darauf aufbaut, dass sie gerne Auto fährt und mit ihrem extravaganten Wagen fotografiert wird, dann klingt das erst mal weniger utopisch als absurd. Ruth Landshoff-Yorck ist diese Absurdität gelungen - und was sie damit anstellte, wirkt anziehend und emanzipativ zugleich:

Of course the cute car and I were photographed a lot and in a way that car was the reason for my new profession.

Mitte der 20er Jahre wurde sie von Kurt Korff, dem Chefredaktur der Berliner Illustrierten und der Dame, angesprochen, der einen Artikel bei ihr bestellte. Landshoff-Yorck schreibt über diese Begegnung als ihre Entdeckung, denn bis dato hatte sie bis auf Liebesbriefe und -gedichte nichts geschrieben und schon gar nichts veröffentlicht. Ihre Entdeckung nutzte sie dafür, einen Artikel mit dem Titel Das Mädchen mit wenig PS über das Leben als girldriver in Berlin zu schreiben. Der gut zweiseitige Beitrag ist mit so einer witzigen Unverfrorenheit geschrieben, dass ein Artikel auf den anderen folgte und sich daraus tatsächlich eine Profession entwickelte: „Alles wurde irgendwo gedruckt“, schreibt sie darüber, und: „Ich wusste nicht einmal, dass das ein Ausnahmefall war.“

In Das Mädchen mit wenig PS. Feuilletons aus den zwanziger Jahren (Aviva Verlag 2015) ist dieses Alles noch einmal versammelt worden, herausgegeben von Walter Fähnders, der die Zusammenstellung auch sehr informativ und lesbar kommentiert hat.

Schon in den ersten Sätzen des ersten und titelgebenden Artikels zeigt sich, wie sich Autos mit einem emanzipativen Lebensstil paaren:

Ich finde, ein weibliches Auto muß so appetitlich aussehen wie ein Baby. Meines ist weiß lackiert wie ein Kinderzimmer und sieht aus wie eine Badewanne mit Monogramm.

Unabhängig von der Komik der Beschreibung ist es großartig, wie die Autorin nonchalant die Männerdomäne Autofahren kapert und dabei gleichzeitig mit der Erwartung spielt, eine Frau müsse sich für Babys interessieren. Auch wenn es nicht genau lokalisierbar ist, schwingt in diesem „appetitlich“ eine edle Verachtung mit, die das Auto dem Baby vorzieht. Auch die Rede von Kinderzimmer und Badewanne mit Monogramm erscheint als Spiel mit Klischees, in dem Kindlichkeit eine Allianz mit adlig reinlichem Müßiggang eingeht.

Gegliedert sind die Beiträge in drei Teile: Zeitgeist, Lebensart; Frauen, Männer; Reisen, Orte, Anekdotisches. In eine gegenwärtige Sprache übersetzt, hießen die Teile womöglich Lifestyle, Gender, Unterwegs. Ein Reiz der Artikel liegt darin, dass sie eben nicht gegenwärtig sind, sondern aus den 20ern stammen - Autos sind heute ja auch nicht gerade Avantgarde. Dennoch lassen sich manche Artikel auch als Kommentar auf die Gegenwart lesen.

In Zur kommenden Saison – Ratschläge für junge Mädchen empfiehlt die Autorin zum Beispiel, dass man dem jeweiligen Mann mit irgendeiner lustigen Geschichte unterhalten soll, anstatt ihm zu erzählen, was man alles von ihm gelesen habe, oder sich einfach still zu verhalten: „Niemand nimmt sich mehr die Zeit, eine Sphinx zu ergründen.” Ratschläge für junge Mädchen in Flirtsituationen sind zwar nicht gerade aktuell, aber wenn man die Ratschläge auf alle Gender und auf Party- oder Kneipengespräche allgemein überträgt, dann lesen sie sich ziemlich gegenwärtig. Denn wer hat schon Lust, eine Sphinx zu ergründen - stattdessen sollten sich Menschen gegenseitig mit Anekdoten unterhalten. Landshoff-Yorck schlägt vor, zu erzählen, „wie du deine Höschen auf dem Markusplatz“ verlorst. Zu Unterwäsche und Venedig habe ich wirklich schon viele gute Anekdoten gehört - und erzählt. Sie sollten in keinem guten Gespräch fehlen.

In einem anderen Text schreibt sie über ihre Freundin Dorine, die so praktisch ist, dass sie sogar ihre Flirts organisiert:

Also zum Beispiel Hans: Dorinde hat vollkommen recht, wenn sie sagt, daß er zu nichts tauge als zum Tanzen, er sieht wirklich nur im Smoking nett aus und ist ganz unbegabt, wenn es sich darum handelt, etwa Hunde spazierenzuführen. Dazu eignet sich nur Eddi.

Ein Mann zum Tanzen, einer, um den Hund auszuführen, einer zum Autofahren und einer zum Shopping, weil er nicht nur gute Ratschläge gibt, sondern auch noch gut aussieht, wenn er die ganzen Einkäufe trägt. Spräche man hier von Dates statt Flirts, würde die Idee genauso gut in die Zeit von Tinder und OkCupid passen. Nur, dass wahrscheinlich kaum jemand die Muße für so viele Arten des Zeitvertreibs hat – denn neben all den praktischen Flirts hat Dorinde auch noch einen richtigen Flirt.

Wie so oft, wenn man von den 20er Jahren liest, denkt man, dass so vieles daran viel moderner ist als in der Gegenwart. Zu den 20ern gehört tragischerweise auch immer ihr jähes Ende. Landshoff-Yorck ist als Jüdin bereits 1932 nach Paris übergesiedelt. Ihr zweiter Roman konnte 1933 schon nicht mehr in Deutschland erscheinen. Führt man sich dieses Ende vor Augen, erscheinen ihre Feuilletonbeiträge in ihrer mondänen Lust noch leuchtender.

Später, schon in die USA emigriert, schreibt sie von ihrem Weimarer Ich als einem „absurd jungen Mädchen, das seine Zeit nicht begriff”. Im Nachhinein erscheint die Geschichte immer klar und deutlich - im Moment nicht. Aber genau aus dem Momentanen nehmen Landshoff-Yorcks Texte ihren Witz. In einer Anekdote schreibt sie, wie sie im Taxi in Abendgarderobe am Bismarckfeiertag in Hamburg in eine Arbeiterdemonstration gerät. Auf dem Boden liegen rauchende Fackeln und die ersten Steine sind schon auf die Schupos geflogen. „Das Taxi genießt keine Sympathie”, kommentiert die Autorin trocken. Ihre Sympathien sind aber bei den Demonstranten, die ein Lied singen, das Bismarck nicht gefallen hätte“. Trotzdem ist sie froh, als der Taxifahrer sie mit beherztem Gasgeben aus der brenzligen Situation befreit. Anschließend streitet sie sich mit ihm, wer im Recht ist, die Demonstranten mit ihren Steinen oder die Polizisten mit ihren Gummiknüppeln. Die Sympathien beim Lesen sind jedenfalls mit der Autorin. Möglicherweise hat Ruth Landshoff-Yorck ihre Zeit in dem Sinne nicht verstanden, dass sie sie nicht intellektuell durchdrungen hat - intuitiv erfasst und mitgeprägt hat sie die 20er Jahre und wie man sie heute wahrnimmt aber in jedem Falle. Und den kommenden 20ern würde man etwas von dieser mondänen Leichtigkeit gönnen.

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