Caroline Danneil
Die Kolumne Neue Schulen soll Lyrikerinnen über 35, die aus dem Raster der klassischen Literaturförderung herausfallen, einen Raum bieten, in dem sie nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Erfahrungen und Gedanken zum zeitgenössischen Literaturbetrieb beschreiben. In unterschiedlichen Formaten wie Besprechung, Kommentar, Essay oder Interview werden im zweiwöchentlichen Rhythmus Texte und Erfahrungen der Autorinnen präsentiert. Yevgeniy Breyger, Olga Galicka und Grit Krüger freuen sich laufend über neue Einsendungen unter .
Fall- und Schwimmbeispiel
Das Schwierigste zuerst, von da an kann es nur leichter werden. Also gleich die großen Fragen: Warum bin ich da, wo ich bin? Und was hat das mit dem Alter und den Entscheidungen zu tun? Was mit den Türen, denen ich als verschlossen begegne, da auf ihnen U35 steht? Das Ergründen fällt mir schwer. Nicht, weil mich der Weg schreckte, die Ausrüstung dürftig wäre (obwohl ich ihr ein wenig misstraue, zu lange schon trage ich kein akademisches, kein journalistisches Kleid), nicht, weil die Neugierde fehlte, sondern, weil ich geneigt bin, den möglichen Fehler im System sofort in mir zu suchen: als dessen kleine Repräsentantin, was die Sicht aufs „System“ erheblich trübt. Wo also die Zusammenhänge entwirren? Bei diesen Sichtverhältnissen?
Vielleicht war es ja auch meine Individualdummheit (mangelndes Talent) oder Individualungeschicklichkeit (mangelnde Fähigkeit, sich bei den „Richtigen“ vorzustellen oder in Erinnerung zu rufen und, vor allem, dort zu behalten), die mich bisher nicht stärker nach vorne brachten – vorne als „Öffentlichkeit“ definiert oder als „nur am Schreibtisch“, der tatsächlich seitlich in meinem Zimmer steht, mit Blick auf eine große Wand und ein kleines Fenster im oberen Drittel. Die mich nicht konsequent das umsetzen ließ, was mir schon, seit ich neun war, vorschwebte und meine ersten James-Krüss-inspirierten Gedichte auf Zettel an die Küchenpinnwand heften ließ: schreiben, nichts als schreiben. Falsch! Einspruch! Lüge! Just another story line! Rückblickende Selbstmystifizierung. (Rückenblinde).
Nicht „nichts als“, das nicht. Anderes, so gut ich mich erinnere, war mir ebenso wichtig: mich seelisch stabilisieren, etwas Interessantes studieren, einen Partner finden. An eigene Familie (eigene Kinder) dachte ich sehr lange nicht. Das war nicht wichtig, vielleicht später einmal. Leben war wichtig, Lesen und Schreiben - das andere würde sich finden. Das Diffuse war da, ja, das Strebsame auch (es unbedingt „richtig“, also „gut“ machen zu wollen), aber auch der absolute Mangel an Selbstvertrauen als (mögliche) Schriftstellerin: der war noch vor allen anderen – äußeren - verpassten Türen da. Ermutigungen kamen – und gingen wieder.
Ich staune sehr, wenn ich in manchen männlichen Biographien vom absoluten Willen lese, Schriftsteller zu werden. Von ihrem unbedingten Glauben an sich als Schriftsteller und ihr entsprechendes Talent. Ich finde das großartig und wünschte, ich besäße diesen Glauben auch, falsch, hätte ihn schon damals besessen. Derweil schrieb ich immer, kurze Geschichten, Gedichte – aber das Diffuse drum herum und in mir blieb. Als Fünfzehnjährige hatte ich in einer Kirchenzeitschrift eine Art Anklagegedicht gegen meine Eltern veröffentlicht. Danach schrieb ich für mich und ein paar Freunde, veröffentlichte in einer von einem Bekannten herausgegebenen Zeitschrift. Aber das öffentlich gezeigte Schreiben war das akademische und journalistische.
Ich hatte mich für die Vermittlung von Literatur an Kinder und Jugendliche entschieden und glaubte, das Diffuse damit zu beenden. War so stolz auf mein erstes selbstverdientes Geld. Ich hörte natürlich nicht, wie sich die Schreibtüren (die öffentlichen, geförderten) langsam schlossen. Lebensentscheidungen begreift man selten in dem Moment, in dem sie getroffen werden. Natürlich trifft man sie in der Hoffnung auf etwas Besseres – auf den Postkartenteil eines Sonnenuntergangs? Oder noch besser: auf einen Sonnenaufgang. Beruf (Unabhängigkeit!), Ehe, Kinder. Und natürlich blieb das Diffuse, begleitet von einem Hunger nach fortgesetztem Ausdruck und seiner Gestaltung, rann von Kind zu Kind zu Kind zu Kind weiter, im Untergrund und oberirdisch, während und nach Schreibkursen. Es liegt nicht an gehirnzellen- oder phantasieabtötenden Kindern oder am Prozess des Kinderkriegens selbst, wenn Frauen, nachdem sie Mutter werden, wenig oder gar nicht mehr schreiben. Allein, es fehlt die Energie, die ein Kind so ganz von morgens über tags durch die Nacht (auf)braucht – Aufmerksamkeit und Energie. Aber vor allem Energie. Und Zeit! – doch Kinder werden größer, Rollen ändern, weiten sich.
Und damit bin ich, endlich, bei den Türen, auf denen so selbstverständlich U35 steht. Natürlich sind sie nicht Schuld daran, dass ich nicht eher schreibend nach vorne trat. Aber jetzt, da ich selbstbewusster trete, ärgern sie mich sehr. Was steckt dahinter? Doch das Leben? Das funkt dazwischen und will so funkenschlagend auch gelebt werden. Welches Schriftstellerbild und Kunstverständnis haben wir, bei dieser willkürlichen Grenzziehung? Entweder durchgängig schreiben ab 12plus, damit sich auch Erfahrung ansammelt, bitte rechtzeitig mit dem Schreiben beginnen, denn mit 35 ist Schluss mit der Förderung, bis dahin seid Ihr als SchriftstellerIn etabliert, oder eben nicht. Oder doch auch leben? Ein Kind lässt sich notfalls noch durchschmuggeln, aber mehrere? Wie soll sich ein Talent in Freiheit und in seinem eigenen Tempo entfalten, wenn es von den Entfaltungshelfern ständig signalisiert bekommt: zu spät! Sei eine andere! Wärst Du doch eine andere gewesen! Das sagen die Türen.
Haben Talent und Ausdruckskraft ein klares Verfallsdatum? Bis wann ist zu Literatur gewordene Wahrnehmung fördernswert? Bis genau 34 ½? Es muss der Glaube dahinterstecken an ein mönchisches, bzw. nonnenhaftes, ziemlich wurzelloses, jedenfalls ganz der Kunst verschriebenes Dasein – den ich, was die Hingabe betrifft, teile. Aber sollte man diese Hingabe nicht auch n a c h 35 fördern? Da das Leben bis dahin nicht nur dazwischengefunkt, sondern sich auch sehr breit gemacht hat? Vor allem bei Frauen, von denen die „Kinderfrage“ nach wie vor überwiegend beantwortet und verantwortet wird, was das physische Für-die-Kinder-Dasein betrifft. Weil es ebenso Mut braucht und Hingabe und Disziplin, dieses Breite schlängelnd, hartnäckig und oft genug in Fetzen zu durchdringen? Die Vormittage, die dem Schreiben gewidmet werden können, während die Kinder in der Schule sind, zählen als ganze, gute Tage.
Ich will nicht klagen. Ich übernehme selbstverständlich die Verantwortung für meine Lebensentscheidungen, sehe auch die Privilegien, die in meinem, weiblichen Lebenslauf stecken, will umgekehrt auch keine bevorzugte Behandlung, aber doch auch keinen rein auf biologisches Alter bezogenen Ausschluss von Förderung und somit möglichem Echo. Ich brauche keine Fanfaren, keine ausgerollten Teppiche, keine VIP-Lounge, aber auf alle Fälle Echo. Und Raum, in dem dieses überhaupt entstehen kann.
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