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Kritik

Spürsam erschnüffelte Spuren

Mit Andreas Altmann auf dem „Weg zwischen wechselnden Feldern“
Hamburg

Wer einen Gedichtband von Andreas Altmann aufblättert, betritt eine Gemäldegalerie. Jedes Gedicht skizziert eine kleine Szene, vor der man sinnierend steht, alles wirkt ein wenig zurückgenommen aus der Alltagswelt, bloß eine winzige Verschiebung fort aus dem mondänen Empfinden, aber sie genügt, daß man eine merkwürdige Verzauberung spürt — sie ist nicht surreal oder magisch, jedoch von einer Heiterkeit und Melancholie, wie sie aus Träumen nachwirkt. Alles läuft hier langsamer, bedächtiger, jede Bewegung gleicht einer flüchtigen Wellenspitze in einem Meer der Stille. Die Dinge sind häufig belebt, als ginge ein animistischer Geist durch alles und würde es miteinander verbinden. Dann sinken die Dinge wieder zurück in eine bedächtige Distanz zum Betrachter, dem es unterdessen mehr und mehr vorkommt, als verblassten die Rahmen um diese Gemäldeskizzen, so daß die Gedichte ins unbegrenzte Offene ausfasern.

Eingerahmt von zwei „wortfelder“ betitelten Gedichten breiten sich sechs Zyklen aus. Diese Wortfelder stecken den Weg durchs Gelände ab, reine Aufzählungen, Litaneien eines Wortrosenkranzes. Eines endet auf das Wort „licht“, das andere auf die Synästhesie „geruch auf der zunge“. Diese beiden motivischen Konglomerate umklammern seltsame zwielichtige Zwischenwelten, halb wach, halb schlafend, zum Teil imaginativ, zum Teil deskriptiv genau, noch in der Vergangenheit, aber schon hier, denen sich Andreas Altmann mit nicht nachlassender Insistenz zuwendet. Ihr Zusammentreffen auf einer hauchfeinen, papierdünnen Fläche namens Gedicht erschafft während des Lesens die Illusion einer Tiefe, die bestürzt.

Altmanns Gedichte sind großenteils Fügungen einfacher, kurzer Sätze. Man könnte einzelne Bilder und besonders gelungene Metaphern beispielhaft herauslösen — „der weg vergreist, geht an seinem horizont / schon über meine leiche“; „häuser nehmen / ihre wände zurück und halten die zimmer / aus den fenstern“ —, doch entfaltet sich die Wirkung jeden Gedichts erst in seinem steten Fluß, seinem allmählichen Verschlieren, unmerklichen Ineinanderübergehen der Bildstationen, seinem oft kaum erkennbaren Wechsel zwischen Außenwelt und Innenwelt. Jedes Gedicht ist genau gefügt und doch nie vollkommen zwingend weitergeführt, es entwickelt sich irgendwie organisch, nach klaren Regeln, aber mit nicht zu unterschätzenden rein assoziativen Anteilen. Nicht nur dies macht es lebendig, denn die Wege der Gedichte führen sehr oft nach draußen, in die Natur, zu den Tieren, Pflanzen, Jahreszeiten; von unbedenklichen Idyllen kann allerdings keine Rede sein, eher von einer Stille aus abgeklärter, heiterer Melancholie. Dies trifft auch auf die Erinnerungen an die Mutter und den Vater zu, die in großer Eindringlichkeit heraufbeschworen werden, verloren und doch immer gegenwärtig.

Seit Jahren bleibt Altmann seinem Stil, seinem typischen Sound treu; dennoch stellt sich, wie man leicht vermuten könnte, das Gefühl, einer ausgetrampelten Wegspur zu folgen, ganz und gar nicht ein. Alles wirkt unmittelbar und frisch, vielleicht weil es immer klar und unverstellt daherkommt. Altmann ist sozusagen ein lyrischer Minimalist, der seine Motive — zu denen u.a. Schnee, Regen, Felder gehören — mit unzähligen kleinen Abwandlungen und Verschiebungen in immer neue Kontexte stellt. Das buchstäblich utopische Potential solcher Dichtung ist beträchtlich: der Traumwandler weiß nie, an welchem Ort er aufwacht und ob die Realität durch seine betrachtende Anwesenheit schöner oder untröstlicher wird, denn

mein gedächtnis geht in gestalten spazieren, die ohne mich
aufeinandertreffen. ich bin nur ein wort, das ihnen nahe kommt
und von dem sie nicht wissen, woher sie es kennen.

Andreas Altmann
Weg zwischen wechselnden Feldern
poetenladen Verlag
2018 · 88 Seiten · 18,80 Euro
ISBN:
978-3-940691-92-7

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