Püppchen im Wald
Sie ist unterwegs geboren. Im Wald. Und sie flüchtete mit ihrem Clan vor den Nationalsozialisten, Wagen und Pferde zurücklassend – nicht aber ihre Harfen, die sie sich auf den Rücken schnallten – in den Wald. Wo sie der Sage nach die Harfen als Waffe gegen die Deutschen richteten, worauf diese die Flucht ergriffen haben sollen. Die mit dem Wald verwandtschaftlich Verbundene ist Papusza. (Sprich: Papuscha) Die Zigeunerin schreibt: „Wald, mein Vater, mein schwarzer Vater, Du hast mich erzogen“ Kein Trinker und Kartenspieler, wie es ihr Stiefvater war, nein: „Lieb gehabt hat mich der Wald.“ Vom Wind lernte sie singen, der Fluss weinte mit ihr.
Wann Bronisława Wajs geboren ist, weiß man nicht genau, in ihren Papieren steht 1910, wahrscheinlich aber ist sie 1908 geboren. Vielleicht hat ihre Familie sie jünger gemacht, als sie mit 15 Jahren verheiratet wurde. Als sie „dünn und flink wie ein Waldeichhörnchen“ war. Zigeunermädchen wurden bereits vor der Pubertät verheiratet. Und Papusza (Sprache der Roma für Püppchen) musste dringend verheiratet werden, damit ihr die Flausen aus dem Kopf getrieben werden. Die Flausen: sie las und las und las. Und wollte schreiben. Doch wenn man zu einer Familie gehört, deren Vorfahren am Hofe Sobieskis bereits Musik gemacht haben, wie der Clan der Wajs, dann muss man nicht lesen können. Sondern singen und aus der Hand lesen.
Papuszas viele Jahre älterer Mann war der Bruder ihres Stiefvaters, die Familie gehörte zu einem der vier Zigeunerstämme, die Polens Tiefland durchwanderten. Wo Musik und Wahrsagerei gewünscht wurde, hielten sie mit ihren Wagen. Und sie überlebten die Verfolgung durch die Nationalsozialisten im Wald bei Wolhynien, wo auch Juden unterkamen, mit denen sie sich solidarisierten. Papusza schrieb darüber eines ihrer balladenartigen „gesprochenen Lieder“. „Blutige Tränen. Was wir unter den Deutschen in Wolhynien im Jahr 43 und 44 erduldet“. Hunger, Kälte, Tod. Dagegen: Hoffnung. Rachegedanken. „Ach, du mein Sternchen! / Wie scheinst du so mächtig! / Blende die Deutschen!“
Das kommunistische Polen versuchte nach dem Krieg die Zigeuner sesshaft zu machen. Papusza hatte keine Kinder bekommen, wie es von einer Zigeunerin erwartet wurde, um den Erhalt des Clans zu sichern. Als sie und ihr Mann sich in Gorzów ansiedelten, begann sie zu schreiben: „Zigeunerlieder, aus Papuszas Kopf gefertigt“, wie der Titel eines ihrer Lieder lautet. Sie schrieb ihre Sehnsucht nieder, nach dem Wald, dem Feuer, um das die jungen und alten Zigeunerfrauen saßen und leise sangen: „Mein prächtiger Ohrring / du machst mich noch schöner / raubst allen die Herzen“ Einem jungen Mädchen fällt beim Singen ein Eichenblatt mit Galläpfeln in den Schoß. „Aus ihnen werden wir herrliche Zigeunerohrringe machen!“ Die Galläpfel als Edelsteine.
Der Wissenschaftler Jerzy Ficowski beschäftigte sich seit vielen Jahren mit Zigeunern in Polen. Er beriet in den 1950er Jahren die polnische Regierung bei ihrem Bestreben, den wandernden Zigeunern Wohnung, Arbeit, und eine Schulausbildung zu ermöglichen. In dieser Zeit begegnete er Papusza. Eine schicksalhafte Begegnung, die Ficowski so beschreibt: „Ich hatte das Glück, Papusza zu kennen. Sie hatte das Unglück, mich zu kennen.“ Er sorgte für die Herausgabe von Papuzas wenigen Liedern, übersetzte sie aus dem Romani-Dialekt ins Polnische und fügte eine biografische Skizze hinzu, die Papusza wohl auf sein Betreiben selbst anfertigte. Von der Regierung wurde dies Büchlein benutzt, das Sesshaftwerden der Zigeuner voranzutreiben. Für Papuszas Clan war dies Verrat und sie wurde aus der Gemeinschaft als „unrein“ ausgeschlossen.
Sie hatte ein Tabu gebrochen und „Geheimnisse der Zigeuner“ verraten. Eine Katastrophe für Bronia Wajs-Papusza. Das Püppchen aus dem Wald zerbrach. Ihrer Identität beraubt, aus der sich ihre Poesie speiste, kam sie nun immer öfter in psychiatrische Abteilungen von Krankenhäusern. Sie schrieb nicht mehr. Sie adoptierte ein schwieriges Zigeunerkind, den Waisenjungen Tarzan. Der bekannte polnische Schriftsteller Julian Tuwin ermunterte sie, wieder zu schreiben. Er und Ficowski boten ihr Geld an, das sie, die in Armut lebte, stolz ablehnte. Doch im Krankenhaus, wohin sie immer wieder musste, umsorgte man sie wie eine Dame, erwähnte sie nur den Namen Tuwin. Nach zwanzig Jahren Pause schrieb sie in den 1970er Jahren noch einige wenige ihrer gesprochenen Lieder, die letzten. „Herr, wo ist mein Rock, / dieser rote und weiße / aus allen Blumen der Welt? / Wer hat ihn mir zerfetzt?“, beklagt sie ihr Ausgestoßensein. Und wieder Sehnsucht nach ihrem Ursprung, dem Wald. In „Wald, mein Vater“ heißt es: „Oh Gott, wohin gehen? Was tun, woher nehmen / die Märchen und Lieder?“ Ihre eigenen Lied-Gedichte stellte sie weit unter die mündlich überlieferten Lieder ihrer Jugend und doch knüpft sie an ihre Lieder die Hoffnung, dass etwas von ihr überliefert wird: „Heut oder morgen vergeht mein Leben, / und in meinem Wald zurück / bleiben meine dummen Lieder. / Und der Wald wird sie singen – / der schwarz, grün, rote.“
Bronia Wajs-Papusza starb 1987. In Gorzów, wo sie lange lebte, hat ihr Neffe, der Komponist Edward Dębrecki seiner Tante ein Festival gewidmet, das alljährlich stattfindet. Eine andere, eher zweifelhafte Ehrung erfährt Papusza in dem 2007 erschienen Roman „Zoli“ des irischen Bestseller-Autors Colum McCann. Er benutzt ihre Biografie zu einer einerseits fiktiven Erzählung, andererseits zitiert er Papuszas „Blutige Tränen“. Seine „Zoli“ lernt das Lesen und Schreiben bei ihrem Großvater, der auch dafür sorgt, dass nur der Mann sie heiraten darf, der ihr Schreiben akzeptiert. In Wirklichkeit hielt keiner seine schützende Hand über das Mädchen Bronia, das im Alter von zwölf Jahren das Schreiben von polnischen Schulkindern lernte, die ihr das a und das b usw. auf die Straße kritzelten. Mit einem gestohlenen Huhn „bezahlte“ sie eine jüdische Buchhändlerin, die ihr das Lesen beibrachte. Das hat Papusza selbst so beschrieben. Auch ihre biografische Skizze sollte einmal ins Deutsche übersetzt werden.
Dass wir überhaupt von ihr erfahren, haben wir der in Frankfurt lebenden Übersetzerin Karin Wolff zu verdanken, die bereits vor 20 Jahren in einem kleinen Berliner Verlag einige Gedichte von Papusza veröffentlichte, die längst vergriffen sind. Karin Wolff hielt nicht verbittert ihre Schubladen verschlossen, in denen wohl noch so manche Entdeckung schlummert, sondern erinnerte immer wieder mündlich an die in Deutschland noch gar nicht entdeckte Papusza. Und sie fand bei dem Leiter des Kleistmuseums Wolfgang de Bruyn einen engagierten Herausgeber der kleinen kostbaren Reihe „Poesievolle Nachbarschaft“. Hier erschienen im Sommer 2011 in Karin Wolffs Übersetzung 13 von Papuszas gesprochenen Liedern, manche nur in Auszügen. In dem kleinen besonderen Verlag Czarne, tief im polnischen Wald, erscheint 2012, im Jahr ihres 25. Todestages, ein Buch über Papusza. Auf polnisch
DORT, WO DER WIND (1952)
Dort, wo der Wind Lieder singt,
beten im Herbst goldene Blätter
und eine schwarze Zigeunerfrau
zu Gott.
In Wäldern,
an Scheidewegen,
wo die Winde Lieder singen,
fleht die Zigeunerin zu Gott,
und ein goldenes Blatt fällt herab.(Übersetzung: Karin Wolff)
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