Dunlop-geschwellte Lethargie
Große Popularität in der Prosa hat D.H. Lawrence in vielen Sprachen dieser Welt, doch seine Lyrik, die besonders im englischen Mutterland ein Klassiker des frühen 20. Jahrhunderts zu sein beliebt, ist bisher kaum auf Deutsch zu lesen gewesen. Bis auf eine nette Weidle-Veröffentlichung seiner Vögel, Blumen und wilde Tiere ist nichts zu finden gewesen. Letzteres hielt der argwöhnische W.H. Auden für seinen besten, weil reinsten Band. In der Tat zeigt die finale Veröffentlichung der Stiftung Lyrik Kabinett München Nimm mein Wort in die Hand aus dem letzten Jahr, was an D.H. Lawrence' Lyrik so kirre macht: sie ist vollkommen formlos, obwohl von tiefem Formwillen durchzogen, als ob der Autor sich nie dazu hat durchringen können, den Transit wirklich zu wollen oder das unbekannte Ufer genießen zu können. Werner von Koppenfels, der als Übersetzer und Editor der taubenblauen, haptischen Publikation wirkt, gebührt die Ehre, nahezu fehlerlos das lyrische Oeuvre dieses Dauerschwärmers in seiner Bandbreite aufzuzeigen und stellenweise fantastisch in ein schräg-verformtes Deutsch zu übertragen. Lawrence zeigt sich in seinen unterschiedlichen Phasen, die zusammengefasst werden in Sektionen wie Gegen Tod und Krieg, oder Das Unheil, beinahe durchgehend als ein esoterisch wandelnder Verglüher, der im selben Gedicht genial und schrecklich zugleich dichtet, stets geleitet von Emotionen, proto-psychologischen Krudismen und verfressenem Engagement.
und die kleinen elektrischen Blitze
begleiteten uns im Gras
Ständig auf Reisen, Flucht oder Neugier, entdeckt Lawrence, das ist wohl wahr, in der Prosa seiner Romane, Erzählungen und Essays, die nötige Ruhe, sich mit den Menschen und ihren wirren Wicklungen zu befassen, in der Lyrik aber die Möglichkeit, Fotos zu machen.
TOURISTEN
Es gibt nichts mehr anzusehen,
alles ist schon zu Tode geschaut.
[aus] EIDECHSE
Wenn Menschen so sehr Menschen wären wie Eidechsen Eidechsen sind,
könnte es sich lohnen, sie anzuschauen.
Ob über Münchner Liebschaften, Sizilianische Brunnenflora, Schildkrötensex, Krieg, sich selbst als Maler, Tod, Verdammung der Mensch-Maschine – D.H. Lawrence schmeißt sich an seine Themen wie Raupen in den Salat. Mit vielen interessanten Mustern.
[aus] KAHLE MANDELBÄUME
Was machst du da im Dezemberregen?
Hast ein seltenes Gespür für Elektrisches in deinen Stahlspitzen?
Tastest die Luft ab nach elektrischen Impulsen
wie eine seltsame magnetische Apparatur?
Empfängst Botschaften in einem fremden Code
aus der wölfisch wildernden Elektrizität des Himmels, die ständig um den Ätna lauert?
Nimmst du das Wispern des Schwefels auf aus der Luft?
Lauschst auf den chemischen Tonfall der Sonne?
Telefonierst das Tosen der Wasser über die Erde?
Und stellst aus alldem deine Berechnungen an?Sizilien, Dezember-Sizilien, ist eine einzige Regenmasse
über schwarz verzweigtem Eisen, rostig wie altes verbogenes Gerät,
das sich aufschwingt und neigt über dem Winterflaum der Erde, und erklimmt die Hänge
von weichem, uneßbarem Grün.
Es ist Lawrence' rebellischer und anti-bürgerlicher Gestus, der ihn zum Dichtkünstler macht, ob er schimpft, besingt oder sich an Dingen betrinkt. Dass er, ausgebrochener Stern, in der Literatur seinen Sitz hat, zeigt erneut auch diese vorzügliche Edition des Lyrik Kabinetts. Dass man so lange warten musste...
NEIN! MR. LAWRENCE!
Nein, Mr. Lawrence, so ist es nicht!
Sie täuschen sich da ein bisschen.
ich weiß übers Lieben so allerlei,
vielleicht mehr noch, als Sie wissen.Und ich weiß, dass Sie es zu schön, ja,
zu verführerisch machen:
Nein, so ist es nicht, Sie schwindeln da –
's ist im Grund eine fade Sache.
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