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Kritik

Wundblühende Lieder

Hamburg

Was braucht man, um Glut zu erhalten? Antwortet man „eine Zündquelle und brennbares Material“, wird man damit nicht falsch liegen. Wenn etwas lange genug brennt, man sie dann endlich hat, diese Glut, wird sie gewiss wärmen. Aber kann man sie schnitzen? Wenn ja, zu welchem Zweck und mit welchem Anspruch? Was wird dabei geschehen? Dass man sich verbrennt? Dass man versehentlich etwas zum Glosen oder Brennen bringt, gar die Bude abfackelt, einen Flächenbrand entzündet, eine Katastrophe auslöst? Oder dass einem beim Schnitzversuch alles zerbröselt, was man eben noch zwischen den Fingern hielt? Bleibt einem letztendlich etwas anderes als Holzkohle und Asche in der Hand?

Die Antwort ist kompliziert und simpel zugleich: Denn Dinçer Güçyeter vermag es, Dinge begreifbar zu machen. Er kann Worte entfachen, sie lichterloh brennen und schließlich Poesie aus dieser Glut entstehen lassen, mehr noch: Er brennt selber,

ich, ach ich
der Märchenfänger, das feuergeile Strohrad!

mit Leib und Seele. Mag er auch feuergeil sein, so ist er kein Strohfeuer, das schnell hochlodert und gleich wieder verglimmt, sondern ein verlässlich Brennender als Ermöglicher in seiner Arbeit als Regisseur, Verleger und die eigene Kunst Schaffender, ein Schauspieler und Schriftsteller, der an die Kraft des Wortes glaubt und in sich jene Glut der Leidenschaft bewahrt und immer wieder anfacht, aus der er seine Poesie schöpft. Denn

die Stimmen: die Flammensprösslinge
auf Feldwegen
die den Gaumen in Brand stecken

wollen brennen und wahrgenommen werden. Es ist eine Glut, aus der stete Sehnsucht und Hoffnung glimmt. Der Dichter erlaubt sich, leidenschaftlich Kind zu bleiben und zugleich so verantwortungsvoll wie empfindsam als erwachsener Sohn, Vater und Ehemann zu brennen. Er ist ein Glühender, der Ängste, Ohnmacht und Verunsicherung kennt, der um die Vergeblichkeit weiß und sich der Gefahr des Ausbrennens bewusst ist. Zudem ist er einer, der oftmals zweifelt, ob sein Brennen genügt, ob (um in dieser für das Buch wichtigen Motivkette zu bleiben) ihm etwas anderes als Asche gelingen wird, und ist einer, der diese Zweifel dann und wann direkt in seinen Gedichten anspricht.

... mit jedem schlechten Gedicht stirbt ein Schwan in / diesem See. sag den Schwänen, es tut mir leid, es tut mir leid. / sag den Schwänen, dass ich nach diesen Zeilen den Dichter mit / dem Bogen eines Tyrannen in eine andere Galaxie schießen / werde. anders ist ein Überleben in dieser Zeit nicht möglich, / weder für die Schwäne noch für den Dichter.

„Aus Glut geschnitzt“ ist der dritte Lyrikband von Dinçer Güçyeter. Vergleicht man das Buch mit dem Erstling „anatolien blues“, so tauchen dort bereits etliche Orte (Anatolien, Istanbul) und Motive (Feuer, Vögel, Märchen, Götter, Karussell, usw.) auf, das nun vorliegende Buch ist jedoch komplexer und in sich geschlossener. Und es ist zutiefst persönlich, ohne jemals ins rein Private abzugleiten, im Gegenteil: Der Dichter legt ein zeitaktuelles, welthaltiges „Konzeptalbum“ in acht Kapiteln vor, das er aus Erinnerungen an Verletzungen und empathisch Erlebtes, aus gesichertem Wissen, Reflexionen und Wünschen komponiert und das bildmächtige Poesie ist.

Erinnern ist das Heiligste, doch vieles muss ich vergessen. / deshalb schreibe ich auch, nur um zu vergessen.

lesen wir im letzten Text dieses Buchs. „vergessen“ ist hier mit „befreien“ gleichzusetzen. Denn Dinçer Güçyeter erzählt in „Aus Glut geschnitzt“ eine männliche Emanzipationsgeschichte in Gedichten, die exemplarisch für das Ringen mit Rollenzuschreibungen in patriarchalischen Gesellschaften gelesen werden kann, nein muss, als Distanzierung und Lossagung von Erwartungshaltungen sowie als Ringen um Benennung und die poetische Sprachfindung. Und er erzählt von der mühevollen Suche nach einer anderen, neuen männlichen Identität, vom Fehlen von Vorbildern, vom tastenden Suchen, von Ängsten und kleinen Erfolgen, vom Scheitern und vom Glück.

Das Buch beginnt mit der Geschichte seiner Eltern, die einst als Gastarbeiter von Anatolien nach Deutschland kamen.

knote deine Zunge / und folge diesem Mann /nimm deine Jugend, deinen Koffer / und geh nach Alymanya / rette mich / rette deine Brüder / du musst dich jetzt opfern, Fatma / höre auf deine Mutter!

lautet die Überschrift des dritten Kapitels. Es sind nicht die eigenen Hoffnungen der jungen Frau, denen sie folgt, sondern jene des Mannes, den sie heiratet, und jene ihrer Mutter und der Verwandtschaft, für die sie sich (auf)opfert. Ihr bleibt die Rolle des gehorchenden Objekts, dem nie Subjektstatus zugesprochen wird, dessen Leben der Dichtersohn im Gedicht „der Koffer“ durch beklemmende Aufzählung aneinandereiht, ein Objekt, dessen Existenz in Alymanya zitternd „mit sprachlosen Ankünften“ beginnt, das vieles (er)trägt, sich aufreibt mit schwerer Schichtarbeit, 2 Söhne gebiert und großzieht, gesundheitlich zunehmend angeschlagen ist und das auch die Pleiten jenes Mannes hinnehmen muss, der ihr bis zuletzt „der“ Mann blieb. Die einzige Konstante dieses Frauenlebens ist das Schweigen. Der Vater des Dichters hingegen ist einer der „Könige“, die „Arschlöcher“ sind und lügen, dann erscheint er wieder als einer jener vielen männlichen „Götter, die das Gebet „bepissen“, ihre Lust „ausrollen“ und wenig verlässlich sind. In zwei Gedichten adressiert Dinçer Güçyeter seinen Vater direkt, die eindrücklich zeigen, wie wenig vorhanden dieser für ihn war. Und in einem anderen konstatiert er

der Tod eines Vaters ist die zweite Geburt des Sohnes

Die Geschichte der Eltern ist mehr als die Historie der eigenen Eltern, sondern eine exemplarische Einwanderungsgeschichte. Sie erzählt von Menschen, die, in patriarchalischen Gesellschaften geprägt, einst nach Deutschland kamen, und ihren frustranen Versuchen, hier anzukommen und Zufriedenheit zu finden. Eingebettet ist die persönliche Tragödie in eine größere Erzählung, die den Blick auf heutige Fluchtgeschichten richtet, zudem einen weiten Bogen zwischen orientalischen und deutschen/europäischen Eindrücken bzw. Prägungen zieht. Sie ruft Anklänge an Mesopotamien und das historische, blühende Ionien wach, spielt mal in Konstantinopel und erinnert schon durch das Aufrufen dieses historischen Namens an die frühe, weltgeschichtliche Bedeutung des heutigen Istanbuls, dann wieder am Rhein, erinnert an Märchen und Mythen, etwa die Geschichten um Schahmaran, Rotkäppchen, das Dschungelbuch, Werke von Homer, Shakespeare und Rilke, und lässt am Rand auch den Einfluss von Religion kritisch anklingen.

Der Gedichtband ist vielstimmig, häufig aus der Ich-Perspektive des Dichters geschrieben, doch es kommen auch andere Ich-Stimmen zu Wort, etwa seine Mutter oder im dreiteiligen Gedicht „Ophelia à la turca“ eine Mutter und ihre Tochter, die das Verstummen von Frauen in patriarchalischen Gesellschaften eindrücklich vorführen.

Einige Motive durchziehen das ganze Buch, dazu gehören die schon erwähnten Märchen, Träume, verschiedenste Stimmen, der Staub, die Scham. Das am häufigsten verwendete Motiv allerdings ist jenes des Vogels als Sinnbild für Freiheit oder deren Einschränkung, sind Vogelarten (Nachtigall, Schwan, Taube, Schwalbe Spatz und Kanarienvogel) oder Vogelteile, etwa Flügel und Federn. Dinçer Güçyeter verwendet gern repetitive Sequenzen, die manchmal refrainartig eingesetzt werden, häufiger jedoch unmittelbar aufeinander folgen und wie ein Mantra oder ein Zauberspruch wirken, Sätze („hast du den Mut, hast du den Mut“) oder Satzteile („es ist mein Wort, meins, meins, meins“, „und schnell und schnell und schnell“), die man jemand anderem oder sich selbst vorsagen, an die man sich anklammern, deren Rhythmus man in sich einschrauben kann. Denn der Dichter ist „der Junge im Blaumann“, der gegen die Vorsehung aufgebrochen ist, „nicht auf bessere Zeiten“ gewartet, sondern sich auf seinen „vielschneidigen Weg“ der Kunst gemacht hat. Er glaubt an das Wort, das geschriebene wie das gesprochene, fordert und bittet um offene Ohren („hör zu ...“, „hörst du“, „höre“), mahnt vor Einflüsterern („höre nicht auf diese Stimmen“). Einer seiner Zuhörer ist Birdy, eine Figur aus dem gleichnamigen amerikanischen Antikriegsfilm, mit dem der Dichter die Faszination für Vögel und Vögelmetaphern teilt. Ihm wendet er sich im letzten Kapitel zu, das fünf Briefe aus dem Jahr 2017 enthält, in denen er noch einmal die poetische Essenz seiner Dichterwerdung rekapituliert. Als Lyriker und Künstler musste er sich von seiner Herkunft lösen und fliegen lernen. Und auch als Vater will er sich konsequent von patriarchalischen Haltungen abwenden und eine neue Rolle als liebevoller Begleiter seiner Kinder aneignen. „der Junge ist heute Vater“ heißt der Titel eines Gedichts, in dem er resümiert:

jeder blutet in seinem Wissen, jeder ist ein Fremder seiner Stille

Darin bezeichnet er sich als „der verlorene Dichter“. Zugleich ist es ein Aufruf zum Mut der Zuversicht, den er (nicht nur) an seine Kinder wendet:

höre auf deinen Papa: sei ein Schmetterling, finde die Blütenlichter
nimm nicht den gleichen Weg, aber höre auf den verlorenen Dichter
im Schutz des Decks sah er das Versinken der gestundeten Revolution
er sah, wie seine Jugendhelden zu Krüppeln wurden
sah, wie große Heldensprüche im Hauch einer Ameise versagten
höre auf deinen Papa: nimm das Kind, das ich dir hinterlege
warte nicht auf bessere Zeiten, nie auf das milde Wetter
springe auf den Schlitten, spalte den Schneesturm
ruhe nie im süßen Apfel, die Messer sind scharf
ach ... die Messer! sei nie der leichtgläubige Wurm
sei Schnitt, sei Schlitz, sei Wunde
heile dich mit eigenen Liedern
in der Röte des Morgenlichts

***
Anmerkung der Redaktion:  Dinçer Güçyeter liest am 12.04. 2018 im Rahmen der 14. Hafenlesung im Nachtasyl in Hamburg.

Dinçer Güçyeter
Aus Glut geschnitzt
Elif Verlag
2017 · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-946989-09-7

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