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Kritik

Wenn die Worte versagen

Hamburg

Longlist Deutscher Buchpreis 2017
Nominiert Schweizer Buchpreis 2017

Anstatt an seiner philosophischen Dissertation zu arbeiten, hat Jonas Lüscher mit seinem Romandebut Kraft eine zynische Abrechnung mit der kalifornischen Startup-Kultur und eine amüsant-boshafte Charakterstudie seines  Titelhelden entworfen.   

Richard Kraft, Rhetorikprofessor aus Tübingen, wird von seinem Studienfreund Ivan zu einer Preisausschreibung im Silicon Valley eingeladen, die ihn in eine tiefe Sinnkrise stürzen wird. Zum (vordergründigen) Anlass des 307. Jahrestages des Leibniz’schen Essays zur Theodizee sollen sich die klügsten und besten Köpfe weltweit überlegen, warum die Welt gut aber trotzdem verbesserungswürdig ist. Internetmogul und Milliardär Tobias Erkner lockt mit einem geradezu anstößigen Preisgeld von einer Millionen Dollar. Der erst zögernde Kraft (er stößt sich wohlgemerkt an der unempathischen Rhetorik, nicht am Inhalt, obwohl „jede Prämisse falsch war“), sagt schließlich zu – glaubt er doch sich durch das mögliche Geld aus seiner gescheiterten (zweiten) Ehe freikaufen zu können – und quartiert sich bei seinem Freund in Kalifornien ein, um in 14 Tagen der gewünschten Frage auf den Grund zu gehen.

In clever arrangierten Zeitsprüngen erzählt Lüscher aus einer auktorialen, ja erhabenen Perspektive von dem bisherigen Leben Krafts, welches sich aus durchweg amourösen Fehlschlägen, ständigen Selbstzweifeln und finanziellen Schwierigkeiten zusammensetzt. Kraft selbst, ausgemachter Schwafler und ehemals glühender Reagan-Verehrer, wird dabei zwar als hochreflektierter Geist geschildert, gekoppelt allerdings mit nicht abflauenden Gefühlen von Selbsthass und Größenwahnsinn. Glaubt er sich den IT-Nerds und oberflächlichen Startuppern im Silicon Valley moralisch und intellektuell weitaus überlegen, wird ihm gleichzeitig schmerzlich bewusst, dass er ihnen in seiner Scheinheiligkeit doch näher steht als zunächst angenommen. Sein Unbehagen kulminiert aber nicht in Form von direkter Abwehr, sondern in Mord- und Totschlagfantasien auf der Hoover Institution on War, Revolution and Peace der Stanford Universität. Lieber ist ihm ein Blutbad auf dem Campus oder ein Tsunami, der das ganze Valley unter sich begräbt, als auf der nahenden Veranstaltung seine Rede zu halten.

Lüscher inszeniert hier auf sehr humorvolle Weise den sich immer deutlicher abzeichnenden Wahnsinn Krafts. Als sich auf dem Campus beispielsweise ein vermeintlicher Amokläufer aufhält, bringt sich Kraft nicht etwa in Sicherheit, sondern doziert vor einer Rodin Statur im Garten über die Unglück verheißenden Folgen der zunehmenden Technisierung und zitiert hierzu passend Baudelaire („Es ist der Tod der tröstet und belebt / In dem ich einzig Ziel und Hoffen seh“). Er sehnt sich nach dem erlösenden Knall und nach dem großen Aufschrei danach, den dieser doch sicher auslösen würde. Kraft ist Sklave seiner selbst; es gelingt ihm nie, nicht einmal in einer Extremsituation, die Perspektive von außen nach innen zu legen. Was zählt, ist seine Biographie, was die Leute von ihm denken, nicht aber was er auf sich hält. Sein gestörtes Persönlichkeitsbild wird dabei vom Autor nicht subtil in den Text eingearbeitet, sondern offen kommentiert. Diese richtende Funktion des Erzählers ist es auch, die an manchen Stellen etwas über die Stränge schlägt: Man wünscht sich manchmal den scheiternden Kraft ganz für sich im Stillen begleiten zu können. Nichtsdestotrotz gewinnt die Geschichte auch dadurch an Witz, wenn der Autor etwa seinen Helden dabei zusieht wie er aus seiner „Melancholie eine pathosgetränkte Katharsis“ züchtet oder er im Zeichen seiner Verzweiflung mit Klebeband und Schere die gewünschte Rede zerfleddert um sie wieder neu zusammenzusetzen, ganz im Sinne der Cutup-Methode Burroughs (allerdings ohne das nötige künstlerische Talent).  

Ihm sind zwar die Visionen Erkners, der davon träumt, dass sogenannte Work-Life-Habitats  den Ozean besiedeln und neue Imperien aufbauen, mehr als suspekt, ihm fehlt aber letztlich der nötige Mut, Haltung zu bewahren um ihm die Absurdität dessen aufzuzeigen. Im Gegensatz zu seinem charmanten Kollegen Bertrand Ducavalier, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bevorstehende Veranstaltung zu korrumpieren und die Schlechtigkeit der Welt demonstrieren will, gibt der Antiheld Kraft klein bei. Seine Profession, wie er sie selbst nennt, das scharfe Nachdenken über die Welt, bleibt nur Theorie. Gegen die sich zu Göttern erhebenden Jungspunde, die um Zeit zu sparen gerne zu einer Flasche Soylent (ein nachgebildetes Nahrungssubstitut, das 6,43 Tage satt machen soll) greifen, hat der alternde Professor das Nachsehen. Sogar seine sonst nie versagende Eloquenz hilft ihm nicht dabei, seine Bedenken in die richtigen Worte zu fassen. Er sieht ein, dass ein neues Zeitalter angebrochen ist, in dem es sich „der Mensch auf dem Beifahrersitz der Evolution bequem“ machen wird und die Technik das Sagen hat. Kraft kapituliert. Seine Familie bildet ebenfalls keinen Halt mehr, sind seine Vatergefühle gegenüber seinen Teenie-Zwillingstöchtern doch immer gepaart mit Verunsicherung und Versagensängsten.

Das Scheitern Krafts bildet Lüscher in einem überspitzten Drehbuch-Stil nach, geschmückt mit ironischen Mottos vor jedem Kapitel, in dem oft keine Zeit für ein tiefergehendes Psychogramm des Protagonisten bleibt. Der Roman ist durch seine gelungene Abbildung des herrschenden Zeitgeists, in der Ökonomisierung durch Rationalisierung die oberste Maxime geworden ist, trotzdem uneingeschränkt zu empfehlen.

Jonas Lüscher
Kraft
C.H. Beck
2017 · 237 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-406-70531-1

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