Das Sprechen der Sedimente
Klaus Anders ist ein emsiger Übersetzer vor allem aus dem Norwegischen. Seit 2006 hat er Werke zahlreicher Lyriker ins Deutsche übersetzt und manche Entdeckung ermöglicht. So hat er uns etwa die Dichter Kjartan Hatløy, Rolf Jacobsen, Olav H. Hauge und zuletzt Ulrik Farestad mit seinem Band „Staub, Sterne, Pixel“ (Edition Rugerup 2018) nahegebracht. Klaus Anders ist aber genauso emsiger Verfasser eigener Texte. Er hat spät als Lyriker debütiert, nämlich erst 2003 im Alter von 51 Jahren, und legt nun mit „Sappho träumt“ seinen siebenten Lyrikband vor. Hier ist nicht der Platz, um die (heikle) Frage zu erläutern, ob und, wenn ja, welchen Unterschied es macht (oder machen kann), ob man als junger Mensch oder erst in gesetzterem Alter mit eigenen poetischen Werken in die Öffentlichkeit geht. Man würde diese Frage an Beispielen erläutern müssen und sich vor leichtfertigen Generalisierungen hüten. Für den vorliegenden Gedichtband zumindest wage ich zu behaupten, dass es einen Unterschied gibt. Im Gedicht „Gezeiten“ heißt es:
Gebrechlich musstest du werden,
zerbrochen, damit aus der Schale konnte, was
in dir schlief und reifte.
Klaus Anders hat bestimmt sein ganzes Leben lang gedichtet und es wird den Lebensumständen geschuldet sein, dass er nicht früh mit einem eigenen Lyrikband an die Öffentlichkeit trat. Dies hat ihn vor Schnellschüssen bewahrt, seiner Poesie stilles und langsames Reifen und ihm eine gewisse Ernüchterung, ja, auch Souveränität erlaubt, die bereits in seinen früheren Lyrikbänden zu bemerken war. Anders hat Eindrücke, Gelerntes, Erlebtes und Widerfahrenes in sich gesammelt, gab und gibt diesen Schätzen reichlich Zeit für die Verwandlung in Poesie. Sie ruhen, Sedimenten gleich, in ihm. Konsequent und bedächtig rückt Anders nun seine Gedichte Band für Band ins Licht, um
... dennoch das Schöne zu schaffen
In einer Zeit, die es rechnend zertritt ...
Das vorliegende Buch ist gegliedert in fünf Kapitel, die von zwei Grundmotiven durchzogen sind. Da sind zum einen die Geschichten der antiken Mythologie und antike Dichtungen, etwa die Argonautensage, die Anders variantenreich in seine Gedichte einwebt, oder die titelgebende Sappho, die von einer zweiten „Fahrt ins Exil“ träumt. Und da ist zum anderen die reiche Welt der Natur, die in vielerlei Weise Eingang ins Gedicht findet, das sich dem Kleinen und Unscheinbaren genauso aufmerksam zuwendet wie dem Großen.
Mimosen blühen und zartfleischig,
Noch ohne Dornen, treiben die jungen Sprosse
Der Opuntien, liebste Speise der Ziegen.
Hier oben zaust Nordwind
Pflaumenblüten, taumeln die Hummeln
Suchend von Mausloch zu Mausloch,
bis sie ein freies finden, Moos eintragen
für das künftige Nest.
Es sind Gedichte ohne simple Romantik und ohne Kitsch, die, zuweilen nostalgisch umweht, das Lebendige wahrnehmen, dabei Vergänglichkeit, Sterben und Tod nie ausschließen.
Wie Rauch die Zeit, zuerst die jetzt,
Dann künftige, und die schon war, zuletzt.
Manche Texte geben Betrachtungen und Momentaufnahmen wieder, die Anders’ Annäherungen, seine Bereitschaft zum Schauen und Horchen verdichten. Einige Gedichte erzählen kleine Geschichten, etwa vom Martyrium eines Kastraten, dem Leiden eines Hirntumorpatienten oder von einer Demenzerkrankung. Andere Texte wiederum verdichten die hingebungsvolle Aufzucht von Truthähnen oder das Aufpäppeln eines jungen Bussards. Der Lyriker spart Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und Verhältnissen nicht aus, doch er poltert nie, bleibt leise, subtil und lässt manchmal seinen Kulturpessimismus anklingen.
Zwei Gedichtzyklen ragen als geschlossene Einheiten heraus. Im „Tarot-Zyklus“ hat Klaus Anders jeder Tarot-Trumpfkarte ein Gedicht gewidmet und erläutert im Nachwort, welche Personen ihm Auslöser für einige dieser Texte wurden, etwa Paul Cézanne, eine alte Frau in Frankfurt oder Fanny Brawne, die über den Tod ihre Verlobten John Keats klagt. Der zweite Zyklus „Beckmanns Speicher“ wendet sich dem deutschen Maler und Grafiker Max Beckmann zu, dem ein Visum für Amerika, damit die Flucht aus Europa verwehrt wurde und der während des 2. Weltkriegs deshalb einige Jahre in Amsterdam verbringen musste. Anders verschneidet dessen Geschichte hier eindrücklich mit der Argonautensage.
Die Gedichte in „Sappho träumt“ sind zum Teil kurz, manche bis zu drei Seiten lang und oft in Strophen gegliedert. Anders Stärke ist nicht das Erfinden von neuen Wörtern, nicht avanciertes Sprachspiel oder gar Hermetik, sondern ist das sorgfältige Abwägen einzelner Begriffe, die er zu auf den ersten Blick klar verständlichen, nie simplen Einheiten fügt. Interessant ist, seinen Bildern und Motiven nachzuforschen. So verwendet der Lyriker häufig die Worte Licht und Sonne, ohne die es keine Schatten gibt, aber gern auch den Gegenpol des Lichts, die Nacht. Obwohl manches mit Ohren wahrgenommen wird, ist es allein der Begriff „Auge“, der als Nomen wiederholt von ihm verwendet wird. Ein wiederkehrendes Motiv sind Gewässer, zumeist das Meer, deutlich weniger häufig See und Fluss, und ist auch die Bewegung auf dem Wasser per Boot oder Schiff. Wir lesen von Wesen, die Gott anrufen, von Seelen wissen und Göttern vertrauen. Und wir begegnen einer erstaunlichen Vielheit von kleineren und kleinsten Tieren, denen er Platz in seinen Gedichten einräumt, von denen manche bisher selten Aufnahme in poetische Texte fanden. Und nicht nur „Sappho träumt“ in diesem Buch, sondern zahlreiche andere, deren Träume in den Texten aufleben und blühen, oft verstören oder ermüden und die doch für manche das Einzige sind, was ihnen blieb.
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