Auf den Zähnen Aluminium, auf den Lippen Kreide
Kristina Hočevar tut viel gegen den Lyriktourismus, füttert aber die Vereinzelungsmaschine Verzweiflungsmaschine
In Deutschland ist es um die politische Lyrik schlecht bestellt, es geistern ein paar Slogans herum, die auf die Übellaunigkeit ihrer Urheber mehr Aufschluss geben als über das mit den Slogans verbundene Programm. Was sich in der BRD als politische Lyrik zu verstehen gibt, ist erstaunlich gefallsüchtig, will sofort verstanden werden. Es gibt hierzulande nur einen Wettbewerb, der sich explizit dem Politischen Gedicht widmet. Die Selbstbeschreibung dieses Wettbewerbs zeigt das ganze Elend, es soll sich nämlich um „gesellschaftlich relevante“ Texte handeln, denen ein Forum gegeben werden soll. Politische Lyrik heute ist das wiederholen netter Slogans zum Abnicken oder das Herbeisehnen von moralischen Instanzen a.D., wie z.B. Literaturnobelpreisträger und Waffen-SS-Mitglied Günter Grass.
Zwar signalisiert auch der in deutscher Übersetzung von Ann Catrin Bolton vorliegende sechste Gedichtband Auf den Zähnen Aluminium, auf den Lippen Kreide von Kristina Hočevar, und dies schon qua Titel, ein bissiges Exponat literarischer Renitenz zu sein; aber Dichterin und Übersetzerin pfeifen auf politlyrische Konzinnität: Provokation ist für sie keine Sache von Ankündigungen, Kommuniqués, die Verweigerungshaltung manifestiert sich auf der Ebene der Form; die disruptive Struktur der Gedichte wehrt auch den zitierenden Blick ab. Streng genommen müsste ich die Seiten fotografieren oder einscannen, dann würde ich aber nicht zitieren, sondern abbilden; wenn ich zitiere – was ich in diesem Fall muss, nicht? – bleibt der Gestus der Text verborgen und auch der Umstand, dass Anfang und Ende, Verlauf (im Sinne einer Linearität) offen bleiben, und sich mehrere Lektüreverläufe anbieten.
über dem berg kriechen wir zum gipfel, der bricht. meine finger sind eisig,
und dir fegt es jedes mal die tranen fort. ich trete wirklich von einem fuß auf den anderen, wenn ich
herabsteige, ich ordne mich wirklich,
damit kein
filmband reißt.bald ist es abend und die kehle verengt sich zu einer nadel: obwohl ich
weiß,
dass sich die pinguine auf den bauch werfen; wahrend nur wir
auf den berg sehen und aufpassen.
Kristina Hočevar spricht in allen ihren Gedichten über Gedichte, aber sie hat, ähnlich wie die Inuit für den Begriff Eis viel mehr Worte als der Lyriktourist. Hocevar dichtet nicht über – hier geht der fanfarenartige Klappentext komplett am Phänomen vorbei – sie schreibt sich in etwas hinein. Wir sollen keine normalsprachlichen Dinge mehr vor uns haben, sondern poetische Ereignisse. Es geht nicht um die altehrwürdige Verzauberung der Welt, oder dem seichten Pathos des der Welt-abhanden-kommens; aber auch nicht um metaphysisch entkernte Alltagslyrik. Nebenwirkung dieser alles poetisierenden Methode ist ein Habitus, der auf Abstand, auch auf sozialer Distanz, einer Hierarchie, besteht:
einem der seltenen dichter erzähle ich von uns beiden, bestimmt etwas ernstes.
er runzelt die sonst dunkle braue und gibt nichts anderes zurück. er ist gebeugt:
vielleicht
wegen seines schlanken dunkels, vielleicht wegen des weisen herzens auf dem tisch. […]
An anderen Stellen bricht ein zähneknirschender Ekel durch: „beim sprechen mit diesen strichmenschen/ ist jedes/ wort aus meinem mund/ eine abrasio“, die Worte „neger“ und „zigeunerin“ sollen rassistische Rede bloßstellen – Poesie kann mit solchen Autoritatarismen und Dummheitsverdoppelungen nichts zu schaffen haben, sie ist anarchisch, sie ist närrisch; das ist die einzig erträgliche Bedeutung von Nietzsches Ausruf: „Nur Narr, nur Dichter!“ Andernfalls sinkt Poesie auf das Niveau der Lyrik herab; Lyrik kann alles sein vom wohlgeordneten Gesäusel bis zur Ode auf eine despotische Person, mit der die Desintegration aller derjenigen einhergeht, die – auf welchen Ebenen immer – „Unvernehmen“ (Jacques Rancière) betreiben. Mir ist das zutiefst suspekt, aber ich bin nicht Kritiker von wünschbarem Sozialverhalten, sondern von u.a. Gedichten. Und als solcher imponiert mir der Mut Hočevars zur Lakonie; manche Fügungen habe ich schon zigmal so ähnlich gelesen. Schnodderige Verse, die mich an einen Checkerjargon erinnern, der mir aus einigen Berliner Lyrikzirkeln bestens (lest: schlimmstens) vertraut ist. Dieser Jargon verdankt sich dem Siegeszug des Surrealismus, der auch an der Schwelle von Kristina Hočevar nicht Halt gemacht hat.
ich antworte getreu
und strecke die hande aus. aber ich habe kein programm
und auch keine geduld:
für monopoli [sic] und das turmmädchen mit den brüchigen fingerchen.
Dieses Reanactment von bis zum Exzess durchgeprobten Moderne-Szenen entlockt zwar alles andere als Jubelschreie, es kommt aber auch nicht zu häufig vor; stattdessen: helle Freude kommt immer wieder auf, und macht das anti-romantische Egoshooting beinahe ganz vergessen:
gib mir murmeln,
weil ich nicht weis wohin
mit meinen augen.
Kristina Hočevar ist voll und ganz die Trainerin ihrer Poesie, die beharrlich gegen den Strom eines dumpfbackigen Individualismus-Mainstreams schwimmt. Der zuvor von mir inkriminierte Zynismus ist kein unreflektierter; die Allegorie dafür ist probat, deshalb wirkungsvoll, es ist der Hund. Hočevar ist nicht an Effekten interessiert, sondern an Leitmotiven. Das mag zunächst altmodisch wirken. Ist aber nur das Zeichen für handwerkliches Talent, das nicht selbstgenügsam auf Welt zugreift, sondern der Welt etwas schenkt. Ein solches Selbstverständnis dürfte ruhig Schule machen in der Welt des Lyrikjetsets, denn es will hin zu einer „Ethizität der Stimme“, ein Phänomen, das der Medienwissenschaftler Dieter Mersch in kritischer Auseinandersetzung mit Derridas Platonkritik folgendermaßen beschreibt: „Die Stimme appelliert nicht nur daran, mir womöglich Glauben zu schenken und auf dieses Weise das Gesagte entgegenzunehmen, […] sondern sie appelliert daran, mich anzunehmen und anzuerkennen.“ Die Aufzeichnung einer kurzen Lesung Hočevars ist dafür ein geeignetes Beispiel: Die Dichterin setzt gegen die ko-präsente, aber intendierte musikalische Disharmonie, die hier symbolhaft für ihre Wahrnehmung von vergesellschafteter Strukturen („die gezähmten“) stehen könnte, die Konzentriertheit ihrer Anders-Stimme. Sie zeigt – und das sogar wortwörtlich – Haltung gegen schieres Geräusch: Verlautbarung. Mir kam bei der Lektüre öfter der Gedanke, einen Part eines Dialogs zu hören – im Gegensatz zu irgendwelchen Sitcom-Szenen, wo ein Telefonat simuliert wird, ist daran nichts albern, sondern alles von bleierner Traurigkeit.
du bist in meinem berg. und mein berg stirbt.
mein berg stirbt.
mein berg,
du bist in meinem berg, er stirbt.
Der Stil Hočevars hat in der Alterskohorte im deutschsprachigen Raum wenige (und nur näherungsweise) Entsprechungen: Mara Genschel, Crauss, Maren Kames, Tom Bresemann, Simone Kornappel und Dagmara Kraus sind unbedingt zu nennen, die Genannten erproben allerdings noch viel stärker die Textualität von Poesie als Kristina Hočevar dies tut, die vor allem durch der Entgrenzung traditionell-lyrischer Schriftbildlichkeit gegen Rezeptionsklischees opponiert, und sich damit einem Programm anschließt, das Stéphane Mallarmé mit Un Coup de Dés jamais n'abolira le hasard lancierte.
Beeindruckt hat mich, wie die Texte miteinander korrespondieren, so entsteht selten der Eindruck von Beliebigkeit. Das in vielerlei Hinsicht instruktive Nachwort von Tina Kozin kennzeichnet die Besonderheit von Hočevars Verbindung von Schreibstil und Haltung durch ein poetologisches Selbstzeugnis der Autorin:
Mich quält häufig die Frage, was es bedeutet, dass man etwas in Gedichten verwendet und wo die Grenze ist, wenn man dieses Etwas ausnutzt – wie zulässig oder unzulässig das ist. Es erscheint mir nicht gerechtfertigt, alle Ungerechtigkeiten zu beanspruchen, Literatur über etwas Beliebiges auf beliebige Weise zu schreiben, aber das ist meine Sicht. Ich meine, natürlich wird das in der Kunst die ganze Zeit getan, aber mir widerstrebt es dann, wenn ich das Gefühl bekomme, dass etwas missbraucht wird zu dem Zweck, aktuell zu sein, im Trend zu liegen […] (S. 110)
Das eine Extrem für Poesie – wie überhaupt für Literatur – ist sicherlich die Mode; das andere Ende der Kitsch-Skala firmiert die Mystifikation von Dichtung, die die Trennung von Kunst und Leben verwischt; im Nachwort zum vorliegenden Band geschieht genau das:
Kristina Hočevar ist eine jener (seltenen) Autoren, für die das Schreiben kein Hobby ist, sondern eine Art zu leben und in der Welt zu sein. (S. 107)
Niemand lebt von seiner*ihrer Dichtung! Die Verfasserin von Auf den Zähnen Aluminium, auf den Lippen Kreide ist dafür nur ein weiteres Beispiel: Im Brotberuf ist sie Lehrerin. Mit Bohème (analog oder digital) hat das nichts zu tun. Insofern sind fast alle Dichter Hobbydichter, denn wer kann davon leben? Und wer würde alles geben für die Poesie? Expressionisten, Dadaisten, Futuristen, Surrealisten (egal aus welcher Hemisphäre) würden sich über (uns) Dichterinnen und Dichter von heute, die Vorkriegsgeneration von morgen, belustigen.
Ist wirklich nicht mehr möglich, als keinen Lyriktourismus zu betreiben, keine Figur der eigenen Schreibe zu werden, kein objektifizierender Trigorin? Alles tut und ist Kristina Hočevar gewiss nicht; sie wird nicht am eigenen Narzissmus scheitern, denn sie vereint etwas, das scheinbar nicht zusammen passt: Nachdenklichkeit und Agilität.
ich muss nicht auf der bühne stehen, damit sie meine ist.
ich hebe die hände über die stimme, ich hebe das gesicht.
neben mir ist ein kind: es hat seinen buchstaben, seine erinnerung und sein ereignis.
der staub ist puder.
Was ich aber genau deshalb nicht nachvollziehen kann, ist die abgrundtiefe Utopielosigkeit dieser Poesie. Was aber hülfe sonst gegen die Narrative des New Normal, deren fester lookistisch-repräsentativer Bestandteil die Lyrik ist? Fragen sind Gedichte im Kindesalter.
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