die freiheit zwischen finsternis und licht
Der Band Freiheit (isländisch frelsi) ist ein aufwendig gestaltetes Buch, in dem die Lettern des Titels in den Buchdeckel eingelassen sind. „freiheit“ ist 2015 zuerst in Reykjavik/Island erschienen und 2018 von Jón Thor Gislason und Wolfgang Schiffer ins Deutsche übersetzt worden. 2018 erschien die deutsche Übersetzung im Nettesheimer Elif-Verlag.
Das Buch ist in drei Kapitel gegliedert, deren Texte sich aufgrund ihres teils prosanahen Stils und ihrer thematischen Geschlossenheit wie Langgedichte lesen. Die Gedichte sind konsequent klein geschrieben. Sie besitzen keine Interpunktion, ihre Sinneinheiten werden durch die Zeilenbrüche strukturiert. Die Strophen sind in unterschiedlicher Länge gestaltet.
Den drei Kapiteln gehen kurze, aphorismenhafte Texte als eine Art Vorwort voraus. Hier beginnt Linda Vilhjálmsdóttir die Licht- und Schattenseiten der Freiheit aufzuzählen, die in der Vervielfachung menschlicher Möglichkeiten bestehen „wir haben die freiheit vervielfacht/ zu schuften/ zu essen und zu trinken/ vervielfacht die freiheit/ die stunde zu bestimmen“ und Freiheit bedeutet für die Autorin auch die Freiheit, sich selbst auf der Hauswiese daheim lebendig zu begraben.
Die Gedichte im ersten Kapitel thematisieren vordergründig die Vorbereitungen zu einem Grillfest „wir hatten bereits/…/ das fleisch entbeint/ und es in öl und kräuter eingelegt/ bereits den wein in karaffen gegossen/ und den grill angeworfen…“. In diese Vorbereitungen hinein lässt Linda Vilhjálmsdóttir die ökologischen und ökonomischen Probleme der Welt in wahrhaft apokalyptischem Ausmaß einbrechen „es wird als gegeben angesehen/ dass die menschliche rasse zugrunde gehen wird/ dass sie in kürze in einer flut versinkt/ oder verbrennt mit haut und haar“. Gleichzeitig kritisiert sie im ersten Kapitel die Versprechungen einer neoliberalen Wirtschaftsordnung, die sich im Angesicht der globalen Finanzkrise von 2008 gerade in Island nicht erfüllt haben „was aber war mit dem/ so sanft sprechenden gärtnermeister geschehen/ der einen goldregen versprochen hatte und grillfeste/ mit unseren nächsten und freude am eigenen besitz“.
Alle Bilder des ersten Kapitels nehmen Bezug auf den Garten und die Veranda, auf dem das Grillfest stattfinden wird. Sie stehen stellvertretend für einen Lebensstil, der die Natur belastet und in der die „Generation Latte“ einen Weg finden muss, die Welt vom Treibhauseffekt zu befreien. Damit gerät das Kapitel zur Metapher über den Zustand dieser Welt.
und unsere verstockten knochen
dürfen im garten noch eine weile
hinter dem windschutz mürbe werdenmütter und töchter
nördlich vom gasgrill
väter und söhne südlich von ihmund die letzte mahlzeit wartet
auf göttlichere zeiten und vornehmere
abendgäste
In Kapitel II führt uns die Lyrikerin mit auf eine Reise durch Israel, denn „mit blick auf den anfang der zeitrechnung/ ist es logisch/ in bethlehem zu beginnen“. In die Geburtskirche „durch die feuchten labyrinthe des christentums/ … /kommen ausschließlich die registrierten seelen/ die der freiheit des handelns entsagt haben.“ Es ist ihr Fremdenführer Musa, der um seinen eigenen Ursprung herumtanzt und sich Moses nennt, wenn es ihm passt und das lyrische Subjekt durch ein Meer von Pilgern auf der Via Dolorosa führt. Auf dem Tempelberg treffen die Protagonisten des alten und des neuen Testamentes mit den persischen Kaisern, den römischen Statthaltern, den Kreuzrittern und dem Propheten Mohammed zusammen. Sie alle warten gemeinsam auf den jüngsten Tag. Und es ist diese Verdichtung von Vergangenheit und Gegenwart auf einige wenige Orte konzentriert, die die Autorin so treffend beschreibt. „mitten auf dem tempelberg/ unter dem grundstein der welt/ der eingerahmt ist in marmor und gold/ ist ein weit geöffnetes grab und eine grube/ worum die seelen der väter kreis um kreis/ zu einem ewigen trauerpsalm marschieren“
Die Gedichte in Kapitel III behandeln das Thema Freiheit in einer mehr abstrakten Form. Dabei nimmt die Autorin Motive der ersten beiden Kapitel wieder auf und scheut auch nicht vor drastischen Bildern für den Klimawandel zurück. Linda Vilhjálmsdóttir zählt die Konsequenzen auf, die die Ausübung der Freiheit für die Umwelt und für den Menschen selbst hat. Dabei spricht sie immer in der zweiten Person Plural, um ihre Mitverantwortung zu unterstreichen. Bei der Entfaltung seiner Freiheit ist der Mensch in ökonomischen, ökologischen und ethischen Fragen sehr weit gegangen, ohne die Auswirkungen seines Handelns wirklich abschätzen und verarbeiten zu können. „wir haben unseren nachwuchs/ unbehelligt auf den überflussgrill/gelegt/ wir sind/ so weit gegangen/ im namen des vaters und des sohnes/ so weit/ in raum und zeit/ dass die seele zurückblieb/ in einer anderen dimension“.
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