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Kritik

Weltfrieden oder Freiheit?

Özgür Mumcus Debütroman ist wahnwitziger Cyberpunk
Hamburg

Man stelle sich vor: Eine Friedensmaschine, die mittels elektromagnetischer Wellen die Menschen so beeinflusst, dass sie auf Krieg keine Lust mehr haben. Weltfrieden auf einen Schlag. Der Haken: Die Sache mit dem freien Willen.

Klingt irre? Vielleicht. Ist aber nur ein winziger Bruchteil der schrägen Einfälle und irren Plotkapriolen in Özgur Mumcus Debütroman „Die Friedensmaschine“, der ursprünglich 2016 in der Türkei erschien, wo er auf Anhieb zum Bestseller wurde, und der nun in Übersetzung von Gerhard Meier auf Deutsch vorliegt. In der Türkei ist Mumcu keineswegs ein unbekannter Autor. Der Sohn des 1993 bei einem Bombenattentat ermordeten Journalisten Ugur Mumcu arbeitete bei der Tageszeitung Cumhuriyet, bis auch diese 2018 auf AKP-Linie gebracht wurde. Noch 2016 nahm er stellvertretend für die Redaktion den Alternativen Nobelpreis entgegen. Eine seiner regierungskritischen Kolumnen hätte ihn kurz zuvor fast wegen Präsidentenbeleidigung ins Gefängnis gebracht – doch zum Glück gab es damals noch vereinzelt unabhängige Richter. „Verglichen mit der aktuellen Lage in der Türkei war der Prozess gegen mich nicht weiter wichtig“, sagte er dem Guardian. Er wurde freigesprochen. Bis heute unterrichtet er Internationales Recht an der Galatasaray Universität in Istanbul.

Wer nun erwartet, „Die Friedensmaschine“ sei ein Buch über eben jene Zustände in Erdoganistan, wird enttäuscht. Ein durch und durch politischer Roman ist es dennoch, eine intelligente und wortgewandte Satire obendrein. Das Buch spielt im Jahr 1914. Das Osmanische Reich liegt schon in den letzten Zügen, und in Europa rückt der Erste Weltkrieg näher. Doch davon ahnt Protagonist Celal erstmal nichts. Er schreibt pornografische Romane unter Pseudonym, die er mit Hilfe eines Komplizen in Frankreich vertreibt, wo die Kaskaden an Haremsklischees bei all jenen auf fruchtbaren Boden fallen, die einem verrucht-exotischen Orientalismus anhängen, wie es zu jener Zeit üblich war. Doch Celal ist ein neunmalkluger Draufgänger, und als er einen Mitarbeiter der italienischen Botschaft beleidigt, fordert der ihn zum Duell – was Celal veranlasst, seinen Kontrahenten eine seitenlange Abhandlung darüber zu schicken, weshalb Duelle im Islam verboten und für seine Ehre jeder selbst verantwortlich ist. Am Ende einigt man sich auf einen Ringkampf, in dem Celal sich überrumpeln und unter Drogen setzen lässt. Er landet auf der Matte. Der Preis der Schmach: Er muss Istanbul verlassen.

Und das keine Sekunde zu früh: Denn wie er bei seiner Ankunft in Frankreich erfährt, wurde sein Kompagnon Jean ermordet und das gut gefüllte gemeinsame Konto geplündert. Aufklärung erwartet er sich von Jeans Tochter Celine, seiner heimlichen großen Liebe, Muse, seiner ultimativen Fantasie, die auch seine schlüpfrigen Bücher illustriert. Doch daraus wird erstmal nichts, denn der zwielichtige Sahir hat ganz andere Pläne mit Celal. Er will ihn für nichts weniger als die Weltrevolution einspannen – und die soll mit Hilfe eben jener ominösen Friedensmaschine gelingen. Zuvor aber müssten ein paar Umstürze eingefädelt werden. Celal und Celine sollen, mit einem Wanderzirkus als Tarnung, durch Europa ziehen. Aber sind Sahirs Absichten wirklich so friedlich? Und ist der Weltfrieden ein hinreichender Grund, den freien Willen zu opfern?

Es entspinnt sich eine absurd-rasante Cyberpunkstory, die ihren Bogen von Istanbul über Marseille, Paris, Wien, Belgrad und quer durch ein Europa am Rande des Untergangs spannt und dabei so irre Haken schlägt, dass man mitunter selbst nicht mehr weiß, worauf all das hinauslaufen könnte. Und zwar bis zum Schluss. Folglich: Ja, spannend ist das Buch auch, belebt von skurrilen Figuren und wahnsinnigen Szenarien. Dass Mumcu ein brillanter Erzähler ist, der auf fast jeder Seite Sprachspiele und Metaphern finden, die manches Gedicht erblassen lassen (was hier auch dem Übersetzer zu verdanken ist, dem es gelingt, all das ins Deutsche zu transportieren) ist mehr als eine Dreingabe. 

Özgür Mumcu
Die Friedensmaschine
Aus dem Türkischen von Gerhard Meier
btb
2018 · 288 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-442-75754-1

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