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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Beschwörungszauber der Worte

Hamburg

Es waren einmal Wörter, die sich herausschlichen aus der Sprache der Kinder. Sie verschwanden so leise, dass es kaum jemanden auffiel – ein Verdunsten wie von Wasser auf Stein.

So beginnt das Vorwort des Buches Die verlorenen Wörter des Schriftstellers Robert Macfarlane und der Illustratorin Jackie Morris, das in aufwendiger Aufmachung in Wort und Bild diese verlorenen Wörter festhält. Das Buch ist bei Matthes & Seitz in der Reihe Naturkunden erschienen und daher geht es um verlorene oder seltene Wörter im Bereich der Natur.

Weil es auch um den Klang der einzelnen Silben geht, habe ich den Rat befolgt, die Texte (keine Gedichte, sondern vielmehr Sprüche, die allerdings sehr poetisch daherkommen) laut auszusprechen.
Über das Buch kann man viel und gleichzeitig sicherlich zu wenig schreiben. Viel, weil es sprachliche Schätze birgt, wenig, weil man es nicht nur lesen, sondern auch anschauen muss, denn die Texte und die großflächigen Aquarelle (größer als DINA 4) gehören zusammen. Und als ob Robert Macfarlane und Jackie Moris den Wörtern zusätzlichen Raum gewähren wollten, gibt es zwischen Texten und bunten Aquarellen luftige, größtenteils in Weiß gehaltene Doppelseiten, auf denen sich die Buchstaben beispielsweise von Eule, Amsel, Heide, Otter noch einmal raumgreifend ausbreiten dürfen.

Alphabetisch geordnet von Blauglöckchen bis Zaunkönig erfahren wir allerlei Neues über Bäume, Tiere und Pflanzen.

Heide

Heide ist nie einfach Heide,
..wie Moor nie bloß Moor ist.

Einmal in Heide gebettet, ihr Wetter
..geschmeckt, wie sie alles teilt mit den

Ihren: Affodill und Mollbeere, Wollgras und
..Krähenbeere, gemeinsam wächst mit

Durmentill, Mooskissen, der Flechten Gefieder?
..Bewahr die Heide, lass sie nicht welken,
..reist du auch fern von Fluss und Felsen ‒

Erinnere Heide, ihre Gemeinschaft,
..ihren Schatz.

So wie hier werden in allen Texten die entsprechenden Namen durch die Anfangsbuchstaben zusätzlich betont.

Was erfahren wir noch? Dass Efeu ein wahrer Luftpirat mit Himmeldraht ist. Stare Hiphop singen, Otter die Strömung untergraben und Molche wie Kids auf whatsapp sprechen. »LOL, zu goldig?!«, tobt der Molch. »Du mega / Clevere Ralle ..

Vor Blauglöckchen wird gewarnt:

Blaue Blumen in blauer Stunde ‒
Laues Spätnachmittagslicht
Auf dem Blauglöckchenlaub.
Unter Zweig, unter Blatt
Glimmt ein Blau so tief,
Lichtjahretief,
Öffnet Ozeane mit jedem Schritt,
Chiffriert Himmelfarben.
Klaftertief Blau durchrauscht die blaue Stunde:
Coloriertes Strömen, Sog
Hab Acht im Blauglöckchenwald, mein Schatz.
Es zieht dich hinunter, unter Töne und Tau,
Nimmt dich, ersäuft dich im Blau.

Die Lyrikerin und Verlegerin von kookbooks Daniela Seel hat die Texte von Robert Macfarlane ins Deutsche übertragen. Wie bei Blauglöckchen enthalten sie zahlreiche lyrische Elemente und würden meiner Meinung oft auch als Gedichte durchgehen. Nicht nur, wenn wie bei der Weide mit Alliterationen gearbeitet wird:

Weide, wenn der Wind so weht, wogen deine Zweige.

In deinen Händen hältst du ein Buch der Beschwörungszauber für diese verlorenen Wörter, steht im Vorwort. Willst du es lesen, musst du suchen, finden und sprechen. Es könnte eine Suche für die ganze Familie sein. Eine Suche, die Spaß macht. Und wer sich von den vielen neuen Wörtern ausruhen möchte, kann auch einfach die schönen Bilder betrachten.

Robert Macfarlane · Judith Schalansky (Hg.)
Die verlorenen Wörter
Reihe: Naturkunden Bd. 049
Übersetzung: Daniela Seel; Illustration: Jackie Morris
Matthes & Seitz
2018 · 134 Seiten · 38,00 Euro
ISBN:
978-3-95757-622-4

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