Dann mal lieber Kleinbürger
Dieses Buch hat, wie wir uns sagen lassen, ein Zerwürfnis zwischen zwei sich irgendwie auf die Romantik beziehende Berliner Textsekten (wo nicht verursacht, so doch) zum Gegenstand feuilletonesker Abhandlung gemacht; die Vokabeln, die bei dieser Gelegenheit in die Ödnisse zwischen taz und FAZ tropften, triggern tendenziell Besorgnis. Also mal sehen – "Sieben Nächte" …
… ein Buch, über das wir positiv ggf. noch vermerken dürfen, dass es eine sinnreich gegliederte freie Prosaform jenseits der ewigen Romanvorgabe aufweist; dass der Duktus stringent durchgehalten wird und der Verfasser gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen fiktionalem Textsubjekt und biographischem-poietischem Authentizitätsanspruch lustwandelt (inklusive der Bewusstheit, dass das gar nicht so einfach sei mit Effekt und Emphase, nichtwahr? Oder muss selbst hier schon gemäkelt und von Koketterie geredet werden?) … das also in den "technischen Preiskategorien", wie es bei den Oscars heißt, schon noch was zu gewinnen hat …
… aber im Übrigen handelt es sich um das sterbenslangweilige und pathosgeladene Lamento einer Made im Speck, die über den Mangel an "gefährlichem Leben" und charakterbildender Grenzerfahrung klagt, den sie (die Made) bzw. es (das Textsubjekt) bzw. er (Strauß) in knapp dreißig Jahren Lebenszeit bisher erfahren hat (oder so ähnlich – Simon Strauß selbst erklärt seine Motivation deutlicher, besser und wortreicher; klar ausdrücken kann er sich ja, und je weniger wir uns mit dem Stuss befassen müssen, der dieses Textsubjekt motiviert, desto besser). Um diesem Missstand abzuhelfen, nimmt er/sie/es sich vor, in Sieben Nächten die sieben Todsünden zu begehen, oder sagen wir kennenzulernen; sich in zorn-, lust-, trägheits- usw.-affine Situationen zu bringen und über diese dann schriftlich zu reflektieren; auf dass endlich, vor dem unvermeidlichen Eintreten in das, was Strauß / dem Subjekt / der Speckmade als "Erwachsenendasein" gilt, noch irgend fruchtbringende Verwundungen und Reibungen aufträten.
Dieser Stoff ist vom Verfasser (Spross allereingefleischtesten Bildungsbürgertums, Privatschulschüler und anschließend Besucher mehrerer renommierter Unis), selbstredend trefflich organisiert und mit den allzeit korrekten Bildungsbezügen bespannt, als sei er ein teures, teures Sofa. Aber das ändert nichts daran, dass es sich um neunzig Seiten Jammern auf sehr, sehr hohem Niveau handelt, von dem wir bloß eine schwülstige Grundstimmung mitnehmen, eine dandy- und/oder herrenreiterhafte Verachtung fürs Normale, Bequeme, Kleinbürgerliche. Wobei Strauß von den tatsächlichen Bedingungen dieser "Normalität" dann allerdings bei genauerem Hinsehen leidlich wenig Ahnung hat; durchgehend bleibt das vom Textsubjekt so gefürchtete Andere diffus und in höchst generische Begriffe gekleidet. Strauß scheint sich nicht vorstellen zu können, dass die Bedingungen des Kleinbürgertums auch als ersehntes Aufstiegsziel erscheinen können: der wachsenden Anzahl an Mitmenschen nämlich, die ganz "rausfallen". Ob das freilich aus mangelnder Empathie oder mangelnder Gelegenheit so gekommen ist … wer weiß? "Sieben Nächte" legt beides nahe.
Lustig ist unter anderem, dass Strauß bzw. sein Textsubjekt tatsächlich zu glauben behauptet, es handle sich bei dem, was er da über sieben Nächte treibt, um echte Tabu-Übertretungen – und zwar just, während sie offenkundig konsequenzlos bleiben und dann auch noch, unter Applaus, in Buchform verpackt werden können. Wenn nur der ganze Budenzauber der Übertretungen wenigstens halten würde, was das Wort "Sünde" uns verspricht, also: Das dunkelromantische Crashen in verwerflichen aber immerhin sexy Situationen, mit verwerflichen, aber immerhin sexy Leuten … aber Pustekuchen! Nicht mal über die obligate Orgie schreibt Strauß sexy. Statt dessen dröges, gelehrtes Plappern, dem nichts einfällt, als noch die kleinstefeinste (Selbst-)Beobachtung wieder in künftiges Herrschaftswissen (Selbstbeherrschungswissen) zu verwandeln … und dabei natürlich auch diesen Umstand selbst verzeichnet, um sich somit (denkt halt das gewitzte Textsubjekt) gegen Kritik wie die hier geäußerte zu immunisieren.
"Sieben Nächte" ist ein Buch über die sehr berechtigte Verachtung von Simon Strauß für sich und seine Lebenswelt; darüber, dass diese Welt besser bald als später überwunden werden muss. Strauß macht dabei aber die zwei entscheidenden Denkfehler, die wir von begabten jungen Männern mit ungünstigem Schnöselhintergrund zur Genüge kennen: Erstens setzt er SEINE Welt mit DER Welt gleich, und zweitens misst er diese Welt dann just an seinem eigen narzisstischen, übersättigten Bildungsromanfiguren-Ego, statt gerade es als erstes in die Tonne zu treten.
Will sagen: Wenn das alles so ist wie in "Sieben Nächte" – wenn das tatsächlich die Richtung ist, in die sich Literatur und Welt entwickeln –; und wenn das einst so stolze Bildungsbürgertum in Deutschland tatsächlich nicht mehr mehr zustande bringt als solche selbstverliebten Stürmchen im Wasserglas – dann werden wir auf Sicht gut daran tun, lieber Prolls und Kleinbürger zu bleiben und unseren Kindern eher Big Brother als Properz zumuten. Wenn Bildungsaufstieg wirklich bloß in solche traurigen Höhen führen würde, gäbe es keinen Grund, ihn anzustreben.
(Nun hat ja der Verfasser dieser Zeilen jüngst mit "Über das Poetische" von Hartmut Lange ein Stück Kunsttheorie besprochen, in dem er wenig außer einer elaborierten Zurüstung zum radikalkonservativen bis rechtsradikalen Rollback erblicken konnte. Und jetzt dieses hier … Da muss wo ein Nest sein … Wobei Simon Strauß zwar Bildungsspießigkeit, nicht aber absichtsvolles Rechtsaußensein, Rassistsein, Identitärsein vorgeworfen werden kann – jeden Anflug davon umschifft er in "Sieben Nächte" löblich weiträumig –; sehr wohl aber hinwiederum vorzuwerfen ist ihm die vorsätzliche Blindheit, die braucht, wer nicht wahrnehmen will, was jene Phänomene u. U. verbindet.)
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NACHTRAG DES VERFASSERS:
Innert weniger Stunden nach Publikation des obigen Textes erreicht mich eine Lesermail, die (verständlicherweise) einmahnt, die Formulierung von der "Made im Speck" sei, als persönlicher Angriff, eine Entgleisung, auf die man verzichten sollte. Um sicherzugehen: Es gehört zu meiner Lesart von "7 Nächte", dass sich dieses Textsubjekt selbst als eine solche "Made im Speck" sieht – wozu dann noch das absichtsvolle Spiel des Texts mit der Frage kommt, wie "authentisch" er gelesen sein will –, und ist natürlich nicht als Herabwürdigung der realen Person Simon Strauß gedacht. Selbstverständlich ist, dass Tiervergleiche und "Parasitenmetaphern" abzulehnen sind, die Menschen das Menschliche absprechen und so die Möglichkeit zur Empathie unterminieren.
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Kommentare
Kurze Kurze Bemerkung zur Sprache des Rezensenten
eine mir nahestehende Person äußerte kürzlich auf einem modernen Kinderspielplatz am Rande in einer „Arrival-Subcity“ Frankfurts (am Main), längere Zeit den Äußerungen halbwüchsiger Kinder von (allem Anschein nach) Immigranten zuhörend: „Ich liebe die deutsche Sprache.“ Sie echauffierte sich darüber, dass in dem hörbaren Ethnolekt, kein Satz mehr vollständig sei. Ich habe sie dann gefragt, was ihre Aussage denn genau bedeute? Wie sich Liebe zu einer Sprache denn äußere?
Als ich die vorstehende Rezension las, ohne das Buch gelesen zu haben, musste ich an den merkwürdigen Spielplatz-Satz denken, empörte mich doch vor allem der entomologische Vergleich, der „Nachtrag“ macht es keineswegs besser. Eine solche Formulierung ist schlicht abstoßend, doch bin ich dem Menschen, der den Rezensenten per Mail auf seinen mangelnden sprachlichen Takt hinwies, sehr dankbar.
Doch schon im ersten Abschnitt vermisse ich jede Ernsthaftigkeit, was soll die Rede von der „Ödnis zwischen (???) taz und FAZ“? Kommt der Rezensent vielleicht in beiden Organen nicht vor? Müssen in einer Rezension persönliche Vorurteile ihren Platz finden? Dann ein offenbar zum neuesten Jargon gehörendes Verb aus der kühlen Welt der Elektrotechnik „triggern“. Täte es nicht auch „auslösen“? Ich weiß, ich weiß, das Verb steht seit 2004 im Duden, aber das macht die Sache nicht besser: Jargon in einer Rezension untergräbt das Vertrauen in die Urteilsfähigkeit des Rezensenten. Was, bitte schön, ist die „ewige Romanvorgabe“? Ich wäre gespannt, die klare literaturwissenschaftliche Definition der Form, sagen wir zwischen dem „Mann ohne Eigenschaften“, „Abend mit Goldrand“ „Rom, Blicke“ und „Schlafende Sonnen“ zu erhalten. „Stuss“ wiederum passt ins erwähnte Feld der Entomologie. Auch bemerkenswert: „zorn-, lust-, trägheits- usw.-affine“… Seltsamerweise muss ich bei den Jargon-Bildungen mit -affin immer an den alipathischen Kohlenwasserstoff Paraffin denken, obwohl ich mit Chemie nun wirklich nicht allzuviel zu tun habe. Ich denke, es reicht: Eine solche Rezension ist nicht ernst zu nehmen, da sie sich keiner kühlen, argumentativen Sprache bedient. Dann doch lieber die Ödnis zwischen (???) nein: in taz und FAZ. Und das Buch nun endlich lesen.
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