Provinzblues
„Katzen im Sack“ heißt der neue Roman des in Burgdorf bei Hannover lebenden Stefan Heuer. Der Autor, der auch als Lyriker und bildender Künstler sehr aktiv ist, entführt den Leser in die niedersächsische Provinz. Plastik-Enten zieren den Einband des Buches, das im November 2017 im Nettetaler ELIF-Verlag erschienen ist und geben einen Hinweis auf das Schaustellergewerbe, in dem die Protagonisten tätig sind.
Frank zieht mit seinem Geschäftspartner Rolf von Rummelplatz zu Rummelplatz. Beide teilen sich einen Stand, ein Wohnmobil und einen sehr gemütlichen Lebensstil. Abend für Abend steht Frank an seinem Jahrmarktstand, an dem Kinder nach Plastikenten angeln und dabei billige Artikel gewinnen können. Eines Tages stellt er ein Schild auf: „Junge Frau zum Mitreisen gesucht“. Das als Scherz gemeinte Gesuch hat Folgen. In Göttingen schließt sich Sybille den beiden Schaustellern an, die nach eigenen Angaben 19 Jahre alt ist, keinen Job und keine Verpflichtungen hat. Sie zieht mit Frank und Rolf als mitreisende Hilfskraft zu den Jahrmärkten und Frühlingsfesten Niedersachsens. Zwischen Sybille und Frank entspannt sich eine Liebesgeschichte. Nach dem Ende der Sommerpause, die Sybille bei ihren Eltern in Göttingen verbringen will, kehrt sie nicht mehr zu Frank zurück. Frank und Rolf machen sich auf die Suche nach Sybille, die über Göttingen, Hameln, Hannover nach Gifhorn führt. Frank bekommt den Blues und seine Sehnsucht nach Sybille wird zum Ausdruck einer Lebenskrise, in die der nicht nur im geografischen Sinne ziellose Schausteller hineintreibt.
Ich hätte nicht gedacht, dass Möbel in der Lage wären, eine eigene Traurigkeit auszudrücken, aber so war es. Das Sideboard stand da, als wartete es darauf, dass sich ein Schleier aus neuer Hoffnung über seine ehemals glänzende Oberfläche legte. Der Wohnzimmerschrank verharrte trotz der von innen beleuchteten Elemente in einer Dunkelheit, die den gesamten Raum noch kleiner, noch enger scheinen ließ. Sogar das über dem Sofa hängende Ölgemälde, eine Alpenlandschaft mit steinerner Hütte und prächtiger Blumenwiese im Vordergrund, schien sich bedeckt zu halten und sein ursprüngliches Strahlen eingestellt zu haben.
Rolf und ich saßen auf dem Sofa und schwiegen. Zu schweigen und zuzuhören war das Einzige, was Sinn machte … und das taten wir nun schon seit über einer Stunde.
Im Roman finden sich detaillierte Schilderungen des Schaustellerlebens, als habe Stefan Heuer sein Leben lang nichts anderes getan, als mit einer Schießbude und einem Enten-Angelstand in Niedersachsen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zu ziehen. Dabei zeichnet er seinen Protagonisten Frank in einem melancholischen bis ironischen Erzählton. Neben der lebendigen Figurenzeichnung finden sich umfangreiche Darstellungen des Lebens auf Jahrmärkten, Sommer- und Winterruheplätzen, und es ist alles andere als eine Camping-Romantik, von der dort zu lesen ist. Die Sprache kommt dabei mal poetisch, mal ungeglättet daher. Die präzisen Schilderungen, die genauen Beschreibungen bilden die Ödnis ab, in der sich die Protagonisten in der norddeutschen Tiefebene bewegen.
Ja und es wird sehr viel gefahren in diesem Buch, in einem Pick-Up und in einem Wohnmobil, das im besten Sinne ein On the Road-Roman ist. Dabei entwickelt der Norden seine eigene melancholische Atmosphäre. Stefan Heuer gelingt es geschickt, mit wohlgesetzten Cliffhangern am Ende der mehrheitlich kurzen Kapitel, einen Spannungsbogen aufzubauen. Lange hält er „Katzen im Sack“. Die On the Road-Liebesgeschichte entwickelt sich zu einer Odyssee durch die niedersächsische Provinz und überraschend zu einem Krimi mit fulminantem Ende.
„Katzen im Sack“ ist ein kurzweiliges Buch, das vom Unterwegssein handelt und das ich jedem Leser empfehlen möchte, der auch gedanklich gern auf Reisen geht.
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