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Kritik

Kerouacs Gedichte auf Englisch, Griechisch oder Deutsch?

Hamburg

Jannis Livadas, Jahrgang 1969, ist ein griechischer Dichter, der in Paris lebt. Er hat zahlreiche Bücher der Autoren der Beat Generation ins Griechische übersetzt. Dabei mehr als zehn Bücher von Jack Kerouac. Es fällt auf, dass gerade in den letzten Jahren viele Bücher von Kerouac ins Griechische übersetzt worden sind. Dagegen tut sich im deutschsprachigen Raum relativ wenig. Der Gedichtband Mexico City Blues von Kerouac ist zum Beispiel 2009 von Livadas ins Griechische übersetzt worden. Dagegen sind nur acht der insgesamt 242 Chorusse von Mexico City Blues ins Deutsche übertragen worden, und zwar in der Beat-Anthologie von Karl O. Paetel im Rowohlt-Verlag, das war 1962! Bezüglich Beat-Literatur in Deutschland bzw. auf Deutsch verfügbar zu  machen, kann man in erster Linie die sehr engagierten Kleinverlage Stadtlichterpresse von Ralf Zühlke und altaQuito Verlag von Ingrid und Reinhard Harbaum nennen.

Generell kann man sagen, dass die Gedichte von Kerouac gegenüber seiner vielbeachteten Prosa doch recht stiefmütterlich behandelt werden. Zu Lebzeiten Kerouacs ist neben der Veröffentlichung von einzelnen Gedichten lediglich Mexico City Blues erschienen. Posthum sind in den USA mittlerweile viele Gedichte von Kerouac verfügbar: Scattered Poems, Trip Trap - Haiku on the Road (zusammen mit Albert Saijo und Lew Welch), Heaven & Other Poems, American Haikus, Pomes All Sizes, Old Angel Midnight, Book of Blues, Book of Haikus.

Das Langgedicht Rimbaud ist übrigens als "Broadside", also als eigenständige Flugschrift 1960 bei City Lights Books von Lawrence Ferlinghetti erschienen. Es besteht lediglich aus einem gelben Blatt mit den Maßen 12,5 x 62,5 cm² und ist viermal so gefaltet, dass es zehn Seiten ergibt. Das Gedicht - in roter Schrift - ist quer über die Seiten hinweg gedruckt. Man muss es zum Lesen also auseinander falten und hochkant halten. Es beginnt auf der einen länglichen Seite und setzt sich auf seiner Rückseite in umgekehrter Richtung fort. Damit erinnert es ein wenig an die endlose Telegraphenrolle, auf der die Originalfassung von On the Road geschrieben worden ist. Kerouac hat auf die Beibehaltung seiner ursprünglichen Satzsetzung gegenüber Ferlinghetti bestanden, wie man in mehreren Biographien über Kerouac nachlesen kann. Ansonsten fällt auf, dass dieses Langgedicht in keiner der einschlägigen Biographien inhaltlich besprochen worden ist.

Eine wirkliche Auseinandersetzung mit Rimbaud kann man erst hier nachlesen: Damian Paul Catani, Re/Deconstructing the Rimbaud Myth: Kerouac and Mallarmé. In:  AmeriQuests, Vol 11 No 1, Februar 2014: Cultural Modernism in the Americas 1: Québec, ISSN 1553-4316. Available at: http://ejournals.library.vanderbilt.edu/index.php/ameriquests/article/view/3887. Date accessed: 16 nov. 2017. doi: https://doi.org/10.15695/amqst.v11i1.3887.

In dem vorliegenden Band Rimbaud und 18 Haiku sind das Langgedicht Rimbaud sowie 18 ausgewählte Haiku zweisprachig abgedruckt, also auf Englisch und auf Griechisch. Rimbaud ist eine gedichtete kurze Biographie, die die starke Identifikation von Kerouac mit Rimbaud deutlich zeigt. Und in der Tat gibt es frappierende Ähnlichkeiten zwischen den beiden: ihre inneren Konflikte zwischen der Suche nach Freiheit und Skandal als rebellische Künstler und einem repressiven bzw. autoritären Katholizismus (Rimbaud ist erst sehr spät zum Katholiken konvertiert). Beide hatten sehr dominante Mütter. Und beide waren kulturelle Ikonen ihrer Zeit gewesen. Kerouac geht im ersten Teil des Gedichts auch auf das Schwulsein Rimbauds ein, orientiert sich im zweiten Teil aber lieber an dessen heterosexuelles Leben mit einer Schwarzen. Seine Warnung am Ende des Gedichts

            "So, poets, rest awhile
            & shut up:
            Nothing ever came
            of nothing."

kann als Resignation über die vermeintliche Sinnlosigkeit des dichterischen Handwerks verstanden werden. Oder als Desillusion über seinen eigenen Ruhm, hervorgerufen durch die Publikation von On the Road, an dem er ja auch später zugrunde gegangen ist.

Auch die Haiku von Kerouac sind in den einschlägigen Biographien so gut wie gar nicht thematisiert worden. Dabei ist es schon ein wesentlicher Verdienst von ihm, diese uralte japanische Schreibtradition in den Westen adaptiert oder "amerikanisiert" zu haben. Ursprünglich muss in diesen Dreizeilern, bestehend aus fünf plus sieben plus fünf Zeilen, zwingend ein Naturbild auftauchen. Kerouac hat sich nicht nur von dem starren (Silben-) Korsett ein Stück weit befreit, sondern gerade auch das (Häßlich-) Industrielle, Maschinenmäßige, Städtische der westlichen Zivilisation als Bild und Thema im Haiku eingeführt. Interessant ist, dass Kerouac ja als Verfechter der spontanen Prosa gilt, das heißt der erste Gedanke zählt, und solcherart entstandene Texte sollten nach Möglichkeit überhaupt nicht überarbeitet werden. Diese Technik hat er für seine Prosa eingesetzt, aber für Gedichte und insbesondere Haiku gilt das gerade nicht, hier kam auch er nicht ohne sorgfältige Überarbeitung aus. Denn es gilt, so Kerouac,

"Above all, a Haiku must be very simple and free of all poetic trickery and make a little picture and yet be as airy and graceful as a Vivaldi Pastorella."

Und so findet man in diesem Gedichtband eine wenn auch kleine, aber feine Auswahl an Haiku von Kerouac.

Aber warum sind diese Gedichte so viele Jahre nach Kerouacs Tod jetzt ins Griechische übersetzt worden? Vielleicht, weil das Gedicht Rimbaud sogar zwei Bezüge zum Griechischen hat: "Rimbaud is writing poetry in Greek French" und "but immediately he goes again, to Cyprus", also Zypern. Auch in einem der Haiku gibt es einen weiteren Bezug:

            "Huge knot in the
            redwood tree
            looking like Zeus' face."

Diese Rezension möchte übrigens in keinster Weise empfehlen, sich diesen kleinen griechisch-englischen Gedichtband zu besorgen. Er ist vielmehr der Aufhänger, um anzuregen, sich doch auch im deutschsprachigen Raum mit den Gedichten von Kerouac näher zu beschäftigen. Das Langgedicht Rimbaud ist übrigens auch in Scattered Poems vollständig abgedruckt worden. Es ist sogar als zweisprachige Ausgabe unter dem Titel Verstreute Gedichte in der Stadtlichterpresse erschienen. Hierin sind auch 26 Haiku zu finden, die sich nicht mit den 18 des griechischen Gedichtbands decken. Aber in beiden Fällen kann man sich als Leser einen Eindruck verschaffen, was Kerouac unter "Western Haikus", als Fortentwicklung der japanischen Tradition, verstanden hat. Wer sich näher mit Kerouacs Haiku beschäftigen möchte, dem sei das von Regina Weinreich herausgegebene Book of Haikus empfohlen (2003 bei Penguin Books erschienen). Hierin sind mehr als 500 Haiku zu finden (darunter auch alle 18 des vorliegenden Gedichtbands), eine große Auswahl der knapp 1000 Haiku, die Kerouac insgesamt geschrieben hat.

Τζακ (Jack) Κέρουακ (Kerouac)
Ρεμπό και 18 Χάικου (Rimbaud und 18 Haiku)
Übersetzung:
Jannis Livadas
Koukoutsi, Athen
2015 · 49 Seiten · 10,00 Euro

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