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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Poetisches Gegenprogramm

Hamburg

Bäume strukturieren die Kapitel von Usama Al Shahmanis Buch „In der Fremde sprechen die Bäume arabisch“ (Limmat Verlag, Zürich 2018): „Der Baum der Liebe“, „der Baum der Hoffnung“, „der Ungewissheit“, „des Todes“, „der Heimat“, „des Traums“ und schließlich „der Geduld“ – Usama, der gleichnamige Erzähler des Buches befindet sich im Asylverfahren in der Schweiz, er hat gerade geheiratet, doch er hat keine Arbeit, wenig Aussicht wieder als Literaturwissenschaftler für moderne arabische Literatur zu arbeiten und dann sind da die bedrückenden Nachrichten, die ihn aus dem Irak erreichen.

Als „Gegenprogramm“ entsteht eine Poesie der Bäume und des Wanderns, wobei die Hinwendung zu den Bäumen, welche in der Heimat des Erzählers eher als feindselig wahrgenommen wurden und das freiwillige Zu-Fuß-Gehen, gar Wandern, welches als überflüssig und absurd angesehen wurde, nicht nur als Zeichen der Anpassung an die Schweizer Umgebung, sondern auch als Ausdruck eines betonten Kunstwillens zu lesen sind. Vor allem aber geht es um den Wunsch nach Ruhe und Sicherheit, um den Wunsch nach einem Leben, in dem die Gesetze der Zivilisation unhinterfragt gelten – eben dem, was im Herkunftsland des Erzählers (und auch des Autors) so schmerzhaft fehlt.

Doch auch in der Schweiz erreicht ihn dieses Fehlen auf brutale und unauflösbare Weise. Der jüngere Bruder, Ali, weigert sich das gefährliche Bagdad zu verlassen, er will weiter studieren, weiter das Leben eines dreiundzwanzigjährigen Studenten führen und verschwindet dann von einem Tag auf den anderen. Es gibt noch das Fragment einer Handynachricht, dann nichts mehr. Ali bleibt verschwunden wie so viele andere Menschen im Irak.

Und das ist auch die eigentliche Geschichte. Das Verschwinden des Bruders, die Verzweiflung der Familie, die erfolglosen, aufwändigen, gefährlichen und auch teuren Versuche, Informationen zu bekommen, die Strohhalme der Versprechen an die sich die Mutter klammert und die Geschäfte, die dubiose Sicherheitsbeamte mit der Verzweiflung der Familie machen. Und immer wieder: Das Entsetzen über eine Gesellschaft, in der Menschen einfach so verschwinden können, in der die grundlegendsten Regeln des Zusammenlebens und der Menschlichkeit nicht (mehr) gelten – bis das Leben selbst in Frage steht.

Auf der anderen Seite die Schweiz. Wanderer grüßen sich, Türen werden nicht verschlossen und wildfremde Menschen auf der Wohnzimmercouch beherbergt. Immer wieder wundert sich der Erzähler, wie so etwas überhaupt möglich sein kann, dass es diese Normalität geben kann – und eben, dass es Menschen gibt, für die dieses Leben normal ist.

Die Diskrepanz zwischen der friedlichen und sicheren Schweiz, den Schwierigkeiten aber auch, dort einen Platz zu finden und den bedrückenden Nachrichten und Erinnerungen aus dem Irak, zu denen der Zerfall der Zivilgesellschaft ebenso gehören, wie die lieblose Ehe der Eltern und der autoritäre und sprachlose Vater überwindet der Erzähler durch den Rückgriff auf die Natur, durch lange Wanderungen, wie der am Ende des Buches, an dem Tag, an dem der verschwundene Bruder 33 Jahre alt geworden wäre. Erst im Nachhinein bemerkt er, dass er das Schweizerdeutsch seiner Mitwanderer versteht – er ist angekommen in der neuen Heimat. Wieder zu Hause erreicht ihn ein Telefonanruf der Schwester aus dem Irak: Die Mutter hat endlich zugelassen, dass ihr noch ungeborener Enkel den Namen des verschwundenen Sohnes tragen darf. Das Leben geht – irgendwie – weiter. Es wird wieder einen Ali geben, ein neuer Mensch wird geboren werden und damit auch die Hoffnung auf ein Leben, in dem einer wie Ali, der Französisch studierte und davon träumte, einmal im Leben nach Paris zu fahren nicht einfach verschwinden kann. In diesem Leben können die Studenten beiderlei Geschlechtes so sein, wie die Schweizer Studenten, die der Erzähler vor seinem Arbeitsplatz in der Mensa beobachtet: „Sie brauchen keine Wahrsagerin (wie sie der Erzähler vor seiner Flucht noch in Bagdad aufsuchte), denn sie haben vor der Zukunft weder Angst noch gibt es größere Unsicherheiten. Sie erschaffen sich ihre Träume selber mit der Zuversicht, dass niemand ihre Träume stehlen darf.“ Ein versöhnlicher Schluss und ein Ja! zum Leben und doch trägt schon der poesiebetonte Rückgriff auf die Natur den Abgrund zwischen der behüteten Schweiz und dem in Flammen stehenden Irak in sich.

 

Usama Al Shahmani
In der Fremde sprechen die Bäume arabisch
Limmat
2018 · 192 Seiten · 25,00 Euro
ISBN:
978-3-85791-859-9

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