«Viele sind sehr sehr gut zu mir»
Else Lasker-Schülers Zürich-Aufenthalt zwischen 1933 und 1939 ist in der deutschsprachigen Exil-Literaturgeschichte ein wohlvertrauter Topos, der zwei in sich widersprüchliche Begleitumstände des Schutzraums ‚Schweiz’ aufgegriffen hat. Es ist der zeitlich begrenzte Aufenthalt, um den Verfolgungen der jüdischen Dichterin durch die Nazi-Behörden und den wiederholten Schikanen der Schweizer Fremdenpolizei gegenüber der seit Oktober 1938 staatenlosen Autorin zu entgehen. Beide Begleiterscheinungen des geduldeten Exil-Aufenthalts der Dichterin sind wiederholt mit dem Verweis auf das Schicksal anderer prominenter Flüchtlinge ausgiebig kommentiert worden. Dass jedoch Else Lasker-Schüler seit 1917 wiederholt zu längeren Aufenthalten in Zürich weilte und dort seit diesem Zeitpunkt ein breites Netz von Bekanntschaften und begüterten Gönnern geknüpft hat, ist mit der vorliegenden Publikation nun auf eine forschungsrelevante Ebene gebracht worden.
Die aus Anlass des 150. Geburtstags der Dichterin im Zürcher Limmat-Verlag erschienene Publikation aus der Feder von Ute Kröger bedient sich einer Fülle von Quellen und Literaturangaben, eines Bildverzeichnisses und enthält eine detaillierte Chronologie der wichtigsten Lebens- und Schaffensdaten von Else Lasker-Schüler zwischen 1917 und 1939. Sie setzt ein mit dem Eintrag: 24.08. 1917. Paul Lasker tritt in das Sanatorium Kilchberg ein, und signalisiert damit den rund sechs Wochen später einsetzenden ersten Aufenthalt der Dichterin und Mutter von Paul in Zürich. Es folgen zehn Jahre, in denen sie ihren kränkelnden Sohn mit aller Liebe und Zuneigung umsorgt. Auf diese Weise bewahrt sie ihren künstlerisch begabten Paul (Jg. 1899) vor der Einberufung in den Militärdienst auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs; sie finanziert mit Müh’ und Not seine künstlerische Fortbildung in der Schweiz, sie lebt zwischen 1919 und 1923 zeitweilig in Berlin. Von 1925 bis 1927 betreut sie die Klinikaufenthalte ihres Sohnes in der Schweiz so lange, bis er am 14. Dezember 1927 in Berlin stirbt. Es ist ein seltsam liebevolles Verhältnis von Seiten der Mutter, der es als geschickte Netzwerkerin gelingt, in Zürich ein breites Feld von begüterten Freunden und Bekannten als Spender für die Unterstützung ihres Sohnes und ihrer eigenen Lebenskosten zu gewinnen. Hoffen und leiden – unter diesem Motto steht das erste Kapitel. Es sind jene zehn Jahre, in denen sie auch als Protegé ihres Sohnes auftritt, meist jedoch vergeblich versucht, seine künstlerischen Arbeiten an ihre Bekannten zu verkaufen oder sich um Ausstellungen seiner Werke zu bemühen. Dabei tritt sie gegenüber ihren Bittstellern oft ziemlich aufdringlich auf, bewegt von ihren mütterlichen Gefühlen, die sie in ihrem Gedicht ‚An mein Kind’ so zum Ausdruck bringt:
„Die Liebe zu Dir ist das Bildnis/ was man sich von Gott machen darf.“ (S.19)
Diese zehn Jahre in Zürich, oft unterbrochen von Deutschland-Aufenthalten, waren aber im wesentlichen von der Entfaltung eines treuen Unterstützer-Kreises geprägt, der ihre Aufenthalte finanziell abgesichert hat, ungeachtet ihrer bescheidenen Honorare für Lesungen und die schmalen Einkünfte für die Veröffentlichung ihrer Werke, darunter auch für eine zehnbändige Ausgabe ihrer Werke im Jahre 1919. Es ist nun das besondere Verdienst von Ute Kröger, dass sie aufgrund ihrer sorgfältigen Recherchen in Zürcher und Berner Literaturarchiven wie auch einer umfassenden Auswertung der Briefkorrespondenz von Lasker-Schüler die bislang weitgehend literarischen Rezeptionsstränge beträchtlich erweitert hat. Auf diese Weise gelingt es ihr, die schwierigen Lebensumstände, unter denen die Lebenskünstlerin gelitten hat, eindringlich zu schildern, allerdings zu Lasten eines Werkes, dessen literarhistorische Bedeutung bei Kröger nur dann und wann aufleuchtet. Immer dann, wenn in den wenigen abgedruckten Gedichten das eigenwillige mythologisch und religiös anmutende Weltbild von Lasker-Schüler zum Tragen kommt, immer dann, wenn ihre gerührten Zürcher Gönner aus den Händen der Dichterin einen eben erschienenen Gedichtband in Empfang nehmen durften oder wenn die Verfasserin der biografischen Studie an Gottfried-Benns Aussage von der sicherlich größten deutsch-jüdischen Dichterin erinnert. Doch diese legendär gewordene lyrische Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts wurde vor allem in den 1930er Jahren, als ihr Schutzstatus besonders bedroht war, von der Schweizer Fremdenpolizei immer häufiger schikaniert, so lange, bis sie in ihr geliebtes und zugleich so fremdes Palästina am Ende der 1930er Jahre vertrieben wurde, obwohl sich dutzende renommierter Schweizer Freunde und Bekannte für sie eingesetzt hatten. „I am verry allone in my ungemütlich heart“ sagt die Verscheuchte nach ihrer Ankunft in der jüdischen, leider auch sprachlichen Fremde, und der Rezensent klappt verbittert mit einem Blick auf die Abbildung dieser so eigenwilligen Dichterin das Buch zu. „Viele waren sehr sehr gut zu mir“, liest er noch, ach ja, und wie haben sich ihre „Landsleute“ in der deutsch-nationalistischen Fremde ihr gegenüber verhalten?
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