Die Frauen in der Gruppe 47
Die Gruppe 47 wurde von Hans Werner Richter 1947 gegründet und über 20 Jahre von ihm und seiner Einladungspolitik bestimmt. Die letzte Arbeitstagung fand 1967 statt, gefolgt von zwei Jubiläumstreffen aus Anlass des 25. bzw. des 30. Jahrestages. Die Treffen waren durch männliche Autoren und Kritiker geprägt. Namen wie Günter Grass, Heinrich Böll, Martin Walser und viele andere gehören mit ihren Werken heute zum literarischen Kanon. Doch wie sah, wie sieht es mit den Literatinnen aus? Welche Rollen spielten sie in der Gruppe, welche wurden ihnen zugeschrieben?
Literaturwissenschaftlich waren die Themen Frauen und weibliches Schreiben im Kontext der Gruppe 47 bisher nur in Einzelstudien untersucht und bislang noch nie umfassend erforscht worden. Knapp 70 Jahre nach Gründung und 50 Jahre nach dem Ende der Gruppe 47 widmet sich Wiebke Lundius nun im Rahmen ihrer Dissertation der Stellung der Frauen innerhalb der Gruppe und deren Bedeutung für die Positionierung der Gruppe im literarischen Feld. In acht Kapiteln stellt sie das Fazit ihrer Quellenstudien vor, wobei ihr Fokus auf jenen Frauen liegt, die von Richter zu den Treffen eingeladen wurden und dort auch gelesen haben. Lundius erzählt die männlich strukturierte Geschichte der Gruppe 47 und die Veränderungen im Lauf der 20 Jahre chronologisch nach. Sie macht die Namen der wenigen eingeladenen Autorinnen sichtbar, geht der Rezeption ihrer Texte und den Zuschreibungen im Rahmen der Gruppe nach. Während bei den Lesungen männlicher Schreibender die Qualität der Literatur im Mittelpunkt stand, wurden Werke der Schriftstellerinnen selten unabhängig von der Person bewertet. Tendenziell berichtete man auch eingehender von der Frau, ihrer besonderen Weiblichkeit oder Unweiblichkeit, als vom vorgetragenen Werk der Literatin.
Lundius zeigt in ihrer Dissertation auf, welche Bedeutung der Auftritt bei den Tagungen für manche der Schriftstellerinnen hatte, zuweilen geht sie etwas näher auf die Wirkung der dort geäußerten Urteile auf das weitere Werk ein. Kritisch reflektiert Lundius Richters Einladungspraxis, die insgesamt sehr wenige Autorinnen berücksichtigte, doch von Anfang an Ehefrauen teilnehmen ließ. Deren Funktion war, dem damals vorherrschenden traditionellen Rollenverständnis entsprechend, eine des Aufputzes, ihre Aufgabe beschränkte sich darauf, weiblich zu sein und den geselligen Part der Tagungen für ihre Männer angenehm zu gestalten. Nicht jedoch wurden von Richter die Ehemänner der teilnehmenden Schriftstellerinnen eingeladen.
Außerdem thematisiert Lundius die Problematik der männlich dominierten Kritik, erinnert etwa an Marcel Reich-Ranicki, Walter Jens oder Walter Höllerer, und weist auf das Fehlen von Frauen in der Literaturkritik hin, ein Thema, das bis heute aktuell ist. Und sie erwähnt die Bedeutung des zehnmal verliehenen Preises der Gruppe 47, der 1952 und 1953 an Ilse Aichinger bzw. Ingeborg Bachmann ging, während mit den anderen acht Preisen Autoren der Gruppe ausgezeichnet wurden.
Leider belässt Wiebke Lundius es in ihrer wissenschaftlichen Untersuchung nicht dabei, sich auf die noch kaum erforschte Position der wenigen Autorinnen in der Gruppe 47 zu konzentrieren und die Bedeutung dieser Zugehörigkeit für die Entwicklung literarischer Werke ausführlich zu explorieren. So breitet sie im ersten Drittel dieser knapp 350 Seiten starken Dissertation zunächst die Vorgeschichte der Gruppe 47 aus. Für Unkundige mag es durchaus interessant sein, diese Entwicklungen nachzulesen, die Verstrickung einiger Schriftsteller in den Nationalsozialismus, die Gründung der Gruppe 47 aus einer soldatischen Haltung heraus, die sich die Erneuerung der deutschen Literatur zum Ziel setzte und sich gegen Literatur im Kontext der inneren Emigration und des Exils abgrenzte.
Lundius lenkt ihren Blick auch auf Geschlechterverhältnisse und weibliches Schreiben im 20. Jahrhundert, wenn sie etwa das Werk von Irmgard Keun oder Vicky Baum oder jenes von Elisabeth Langgässer oder Marieluise Fleißer antupft - ein Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand „Frauen in der Gruppe 47“ erschließt sich allerdings nur, wenn man der Meinung ist, alles hänge mit allem ja doch irgendwie zusammen. Zuweilen lässt die Germanistin in dieser Arbeit dem Werk und/oder Wirken männlicher Proponenten ungleich mehr Aufmerksamkeit zuteil werden. Dies steht in eklatantem Widerspruch zum eigentlichen Thema dieser Arbeit. Wohl räumt Lundius den erfolgreichen Autorinnen Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann Raum ein und auch der einen oder anderen heute weniger bekannten Autorin, etwa Ilse Schneider-Lengyel, die in den ersten Jahren regelmäßig bei den Tagungen war. Doch anderes gerät ihr in Hinblick auf das Ansinnen einer wissenschaftlichen Arbeit zu oberflächlich, die Biografien etlicher Literatinnen der Gruppe 47 sind inhaltlich dürftig, die Verweise auf deren Werke deutlich zu knapp. Man wünscht sich, nein, ich wünschte mir einen radikaleren wissenschaftlichen Zugang, einen Forscherinnenblick, der nicht bloß anderswo bereits Nachzulesendes zusammenträgt, wiederholt und das eine oder andere kleine Detail hinzufügt, sondern einen, der darüber hinaussieht und dabei die männliche Brille ablegt, die Literatinnen der Gruppe 47 prononciert zu Wort kommen lässt, ihre Meinungen zur Gruppe, ihrer Teilnahme an den Tagungen und deren mögliche Bedeutung für das eigene Werk deutlich mehr in den Mittelpunkt rückt, als es hier der Fall ist. Diese Dissertation ist nicht mehr als ein erster Versuch, Werk und Wirken von Literatinnen in einer Gesamtschau der Gruppe 47 anzureißen. Die Frauensicht kommt letztendlich zu kurz und muss erst noch anderswo erforscht werden.
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