Wodka, Oliven und der Fluch der Erinnerung.
Adrian Kasnitz‘ Debütroman „Wodka und Oliven“ ist nicht nur das erste längere Prosawerk des Kölners, der bislang vier Lyrikbände veröffentlicht und mit seiner Parasitenpresse ein feines verlegerisches Gespür für gute Texte bewiesen hat. Es ist zugleich das erste Buch in der Reihe „neudeutsch“ im Lindlarer Kunstbuchverlag Ch. Schroer – in der ausschließlich Debüts deutscher Autoren erscheinen sollen.
Protagonist Moritz ist neu in Berlin. Etwas verloren tappt er durch die Straßen und Viertel mit ihren klingenden, geschichtsträchtigen Namen und versucht, Anschluss zu finden, anzukommen im Neuen, doch es mag ihm nicht recht gelingen. Zu anders ist das hier als in der westfälischen Provinz, wo er aufgewachsen ist, und immer wieder schweifen seine Gedanken ab zu dieser Geschichte, die seine Geschichte ist, und die ihn nicht loslässt. Fast zwanghaft erzählt er sie seinen Zufallsbekanntschaften, allen voran der attraktiven Kellnerin Ella, in der er sich so etwas wie Heimat zu sehen einbildet. Aber im Grunde klammert er sich doch nur an etwas, das er nicht bestimmen kann. Zuviel Unverdautes rumort in ihm, und wenn er versucht, es mit dem von Ella georderten Wodka und den Oliven herunterzuspülen, ganz hinten in dieser dunklen Kneipe, dann bricht es nur umso mehr aus ihm hervor.
Es geht vor allem um das Haus. Seit die Gegend planiert wurde steht es allein, wie ein Fremdkörper, verfällt immer mehr und mit ihm die Geschichten seiner Bewohner, all diese tragischen deutsch-deutschen, deutsch-polnischen, deutsch-griechischen, deutsch-türkischen Geschichten, deren Hoffnung von Tag zu Tag verblasst wie die Erinnerung selbst. Dieses Haus, das auf ein schreckliches Ende zusteuert, ist der eigentliche Protagonist in Kasnitz‘ Roman: „Das Haus am Klingenweg ragte empor. Erkennbar an seinem Umriss. Womöglich machte es sich größer, als es war, griff nach den Sternen, spottete über den mickrigen Park, die paar Bäume, die Siedlung, das ganze Ballungsgebiet. Atmete.“ Immer sind von drinnen Stimmen zu hören, es klappern Töpfe, Mausefallen schnappen zu. Das Haus, in dem Moritz seine Kindheit verbrachte, die heißen, ewigen Sommer und die kalten, dunklen Winter.
An all das erinnert er sich und wird die Frage nicht los, wie es soweit kommen konnte. Und er trinkt noch einen Schluck und ist nicht sicher, ob er noch gerade stehen könnte, würde er sich jetzt erheben, während die Gesichter all der Menschen von damals an ihm vorbeiziehen…
„Wodka und Oliven“ ist ein stilles Buch, das genau beobachtet und nach den kleinen Rissen im Alltäglichen sucht, die nach und nach größer werden, bis die Realität zerbricht – sei es durchs Älterwerden oder aufgrund eines einschneidenden Ereignisses. Vor allem ist es ein Buch, das sich dem Drang von Geschwindigkeit und Hipness entzieht. Berlin steht hier keineswegs im Zentrum, ist nur eine Randfigur ohne Glanz, ein Fluchtort, der keinen Unterschlupf bietet – ebenso wie das sommerliche Griechenland, das in der Erinnerung verklärt wird, ebenso wie das Haus. Und am Ende laufen Lebenslinien dort zusammen, wo man es nicht erwarten würde, obwohl es das Naheliegende ist…
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