Die Blaue Fledermaus der Trauer
Sie ist sehr früh verlassen und kennt das Ruhelose mehr als das Verläßliche. Und die Welt lehrt sie, daß das so bleibt, daß sie immer wieder verlassen wird. „Zwischen halb geöffneten Koffern und Uhrzeigern“ heißt 1938 ein Vortrag, den sie in Montevideo hält – das ist ihr Leben, sie hat Brustkrebs, ihr Herz ist ein verwundetes Geschwür, was sie geben will an Liebe verknotet sich, was sie von der Welt erhofft, bleibt wie ein Vorwurf an sich selbst in ihrem Innern zurück. Zwei ihrer Freunde, die Dichter Horacio Quiroga und Leopoldo Lugones, haben gerade den Freitod gewählt. Quiroga nimmt Zyankali, als er erfährt, daß er Prostatakrebs hat. Lugones trinkt Blausäure mit Whiskey, weil er das Argentinien der späten dreißiger Jahre nicht mehr erträgt, das unaufhaltsam von der Generalität und ihren bourgeoisen Marionetten in eine Depression gedrängt wird. Alfonsina Storni schreibt am 22. Oktober 1938 in einer Pension in Mar del Plata das Gedicht „Ich geh schlafen“, steckt es in ein Couvert, schickt es an die Zeitung La Nación und geht ins Meer. „Ach eine Bitte noch“, heißt es darin, „falls er wieder anruft, / sage ihm, sein Beharren sei vergebens, ich sei gegangen ...“. Weil er sie ohnehin nicht erreicht hätte. Ihr Thema war immer die Liebe und der Verlaß. Diesmal geht sie.
Alfonsina Storni wird 1892 im schweizerischen Tessin geboren, dort gibt es kaum Arbeit, die Menschen fliehen aus den kleinen Bergdörfern, Kinder gehen als Schornsteinfeger ins unweite Mailand und kriechen durch die Kamine. Familien emigrieren nach Südamerika. Storni ist vier Jahre alt, als es die ihre in der argentinischen Provinz versucht, der Vater braut Bier und Soda und ist Alkoholiker. Alles mißlingt ihm, seine Brauerei geht pleite und das Caféhaus danach auch. 1906 stirbt er, da ist das Töchterchen noch 13 Jahre alt und muß nun arbeiten gehen in einer Hutfabrik. Als ein fahrendes Theater die Stadt besucht, reist sie mit ihm weiter. Hier begegnet sie lebendiger Literatur. 1909 entschließt sie sich Lehrerin zu werden, finanziert ihr Studium als Sängerin in einem Theater. Als dies bekannt wird, kommt es zum Skandal und Alfonsina Storni versucht sich das Leben zu nehmen. Es mißlingt, sie geht ihren Weg weiter und erhält ihr Diplom.
Erste Gedichte entstehen, romantisch, symbolistisch, im Gusto und Gestus der Zeit. Für einen Moment sieht es aus, als würde alles gut werden. Mit ihr und dem Leben. Sie lernt einen älteren Mann kennen, einen konservativen Politiker, der zwar verheiratet ist, aber Ruhe und Verläßlichkeit gibt. Der eigene Nicht-Vater schmerzt plötzlich nicht mehr so sehr. Das könnte klappen. --- Bis sie schwanger wird und alle Träume zerstieben wie heiße Luft. Plötzlich ist das Kind nur das ihre und die Schande folgt auf den Fuß. Also flieht sie in die Hauptstadt. Buenos Aires brodelt unter den Fortschritten der Zeit, die europäischen Wurzeln saugen das Tempo und die modernen Gesichter der Industrialisierung auf und bringen die Stadt zum Blühen. Nachdem ihr Sohn geboren ist, nimmt sie alle möglichen Arbeiten an: Kassiererin in einer Apotheke, Handelsfirmentippse. Und schreibt weiter. 1913 erscheinen die ersten Gedichte in einer Zeitung, sie bekommt sogar Geld, 25 Pesos das Stück. Alfonsina Storni wird Dichterin und kann freilich noch lange nicht davon leben. Aber man hört ihr zu.
Ihre Gedichte nehmen sehr schnell ihr inneres Wesen auf und entfernen sich vom Gewöhnlichen. Obwohl sie formal zunächst verwandt sind dem Zeitgeschmack und mit Reim und Rhythmus Anschluß finden am Üblichen, verstärkt in ihnen der Wille zur Klarheit unbequeme Kritik und überraschende Aussprache von Dingen, die man zu ihrer Zeit bestenfalls tuschelt oder in romantische Formeln zwängt. Sie begehrt einen Mann. Aber sie will diesen Mann anders. Sie kennt das Geschäft des Patriarchats und weiß aber auch von den völlig anderen, den insgeheim wirklichen Dingen.
Du willst mich weiß
Du willst mich ganz weiß,
willst du mich aus Schaum,
willst du mich aus Perlmutt.
Keusch vor allem,
wie eine Lilie, soll ich sein.
Von zartem Duft.
Mit geschlossener Blüte.
Kein Mondesschein soll
mich je durchdrungen haben.
Kein Gänseblümchen soll
sich meine Schwester nennen.
Schneeweiß willst du mich,
weiß willst du mich,
ganz weiß willst du mich.Du, der alle Schalen
in die Hand bekam und
von Früchten und Honig
dunkelrote Lippen.
Du, der auf dem Festmahl,
von Weinlaub überrankt,
dem Fleische abschwor ,
um Bacchus den Hof zu machen.
Du, der in den schwarzen
Gärten der Untreue,
rotgekleidet,
der Zerstörung zurannte.
Du, der unversehrt
die Knochen sich bewahrt;
noch verstehe ich nicht,
durch welche göttlichen Wunder
du mich weiß verlangst
(Gott vergebe dir),
du mich keusch verlangst
(Gott vergebe dir),
du mich ganz weiß verlangst!Flieh in die Wälder,
geh in die Berge,
reinige deinen Mund,
lebe in Hütten,
berühre feuchte Erde
mit deinen Händen,
nähre deinen Körper
von bitterer Wurzel,
trinke aus Felsen,
schlafe auf Raureif,
richte deine Kleidung,
mit Wasser und Salpeter,
sprich mit den Vögeln
und steh im Morgengrauen auf.
Und wenn dein Fleisch
dir dann zurückgegeben,
und du mit der Seele
es versehen,
die in Schlafgemächern
sich verfing,
dann, guter Mann,
dann verlange mich weiß,
verlange mich schneeweiß,
verlange mich keusch.
„Deine erprobte Zärtlichkeit lass sein“, schreibt sie und will das nicht. Sie will nicht da sein, wie die Männer wollen, daß sie vorhanden ist, sondern will den Mann anwesend und verläßlich dort wo sie ist. Und diese Anwesenheit hat längst den betrunkenen, den hutgrüßenden und den klug dozierenden Mann hinter sich gelassen und entlarvt als billige Mimikry einer staubigen Lüge in den Tiefen des Seins. „Zwei und zwei sind vier ... / Wer weiß denn so was / Und überhaupt ... was ist, wenn ich sage / daß eins nicht eins ist?“ schreibt sie. Was ist, wenn aus eins und eins ein Einziges wurde. Für den Moment und damit für immer. Weil es möglich ist. Weil die Liebe möglich ist selbst im Frack und selbst im verschwitzten Hemd auf der Plantage, wenn man das eigene Gespinst zerstößt und sich einläßt, wenn man rein ist und nicht zugekleistert mit Ideologie oder Chapeau, Sekt oder Selters. „Inmitten der Lüge des Lebens / gibt es eine Wahrheit“ sagt Alfonsina Storni. Und dieser klare Blick für die Lügen kennzeichnet ihre Gedichte. Alles ist benannt ohne Umschweif, alles steht in klarer Beziehung. Und das Leiden an der Liebe ist ein Leiden, das von der Verneinung der Lüge kommt. Der Kompromiß gehört nicht zu ihren Dingen. „... nein, ich glaube nichts“ – schreibt sie. Der Glaube ist ein Rucksack, den sie auf den Schultern des Mannes spürt, der in ihren Armen liegt. Der Glaube und das angebliche Wissen. „Ich bin schon die Frau, die wachsam lebt, / du der schreckliche Mann, der erwacht.“ Weil sie spürt, wie er mit jedem Stoß aus dem einen in das andere, das gemeinsame Leben dringt, wie er den Rucksack hinter sich läßt und schweißnass aus dem Alten drängt, wie er umarmen lernt und vereinen, glaubt sie doch manchmal an die Liebe. Die Liebesgedichte von Alfonsina Storni gehören zu den intensivsten und schönsten, die man in der Weltliteratur finden kann.
„Nicht du bist es, der mich betrügt; der mich betrügt, ist mein Traum“ – oft klingt sie, als habe sie aufgehört zu hoffen und eine tiefe Trauer liegt in ihrer Stimme. Die Inhalte ändern sich, die Gedichte verändern sich, werden ab 1925 expressionistisch gefärbt, ohne Wortgewalten loszutreten. Die klare Linie bleibt ihr treu, aber die Stadt wird zum Thema, der schlammschwangere Fluß, die Straße als Passage zwischen eingezimmerten Träumen und toten Gedanken. Dennoch taucht die Liebe wieder auf, bleibt und geht, kommt und flieht. „Die Männer laufen frei herum, / wie Hunde ohne Herrn“. Sie kleiden ihr animalisches Erbe in einen Frack und furzen in Champagnerlaune Weltpolitik in die zigarrenschwere Luft. Die dreißiger Jahre sind dekadent und egoman. Der Mann weiß noch nicht, daß er ein Trottel ist und hält sich für den Herrscher der Welt. Er glaubt sich fast alles und anderen nichts.
Die Eumeniden von Buenos Aires
Mit dem Wind, der den Unrat mitnimmt
gelangen sie zum Stadtrand, gleiten
gelb durch Regenrinnen hinab
und horten sich in schwarzen Hauseingängen.Sie hinterlassen Markierungen an den Mauern,
hängen auf den langen Avenidas
wie Spinnen von niedrigen Bäumen,
und lümmeln sich auf dem Grünspan der Brücken.Vorsicht! Als Landstreicher verfolgen sie dich auf regennassen Füßen
wenn du im Morgengrauen an ihnen vorbeigehst
und schütteln die Knospen, die auf dich herunterfallen.Erhebe keinen Schild, setz dich nicht zur Wehr! Sie ducken sich,
das Gesicht von grauen Augen durchbrochen;
und eine gibt es, die in deinem Körper ein ungezügeltes Leben führt.
Die letzte Zeile heißt im Original „y hay una una que se escurre por tu sexo“, und auch dem Nicht-Spanischsprechenden wird sofort klar, daß die Übertragung nicht ganz gelungen sein kann und tatsächlich nicht ist. Es ist das einzige Manko des Buches. Der Übersetzer Reinhard Streit ging eigenwillige Wege und kommt damit manchmal nicht dort an, wohin die Autorin eigentlich zielte. Oft fehlen die gereimten und rhythmischen Strukturen des Originals völlig, werden kurze Ausrufe in Sätze verwandelt und kurze Sätze in lange Passagen. Da die Gedichte zweisprachig abgedruckt sind, kann man einiges wieder gerade denken, was der Übersetzer glaubte verbiegen zu müssen, und kommt über diesen Umweg zu einem Wissen über die ursprüngliche Melodie und Geste, die bei Alfonsina Storni wesentlich sind.
Alles in allem ist mit dieser Auswahl aus ihrem Gesamtschaffen doch ein Buch entstanden, das man nur empfehlen kann, weil man sich mit ihm das innere Leben dieser bemerkenswerten Dichterin viel intensiver erschließen kann, als es jede Prosa und jede biographische Schilderung zuläßt. Das Wesen ihrer Lyrik ist es, ein Abbild zu schaffen vom inneren Wesen eines Menschen, der liebt und scheitert am Lieben, weil die Berührung eine unvollkommene ist. Alfonsina Storni bleibt allein zurück, weil sie immer verlassen wurde.
Fixpoetry 2009
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