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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Zu viel Wort, zu wenig Geruch und Klang

Alissa Walser schreibt übers Schreiben und googelt gern
Hamburg

Die Farben des Covers ähneln denen der Spannlaken, die man diese Woche bei Aldi kaufen kann, pastellige Bonbonfarben. Auch das Lesebändchen hat eine Prinzessin Lilifee-Farbe. Bin ich jetzt schon konsumversaut oder versucht uns der Piper-Verlag mit rosa und anderem Pastell zu locken?

Man kann sich gar nicht vorstellen, dass die äußere Aufmachung des Buches der Autorin Alissa Walser gefällt. Sie hat in New York und Wien Malerei studiert und verschiedene Phasen selbst durch „malt“ und öffnet nun in „Von den Tieren im Notieren“ - das Buch hat keine Genrébezeichnung - ihr Nähkästchen. In einem Großteil der knapp zwei Dutzend sehr kurzen Texte, denen man die Bezeichnung Essay nicht nur aufgrund der Kürze fast verweigern möchte, schreibt Alissa Walser übers Schreiben.

Nach einigen Erzählbänden, einem Roman, Übersetzungen und verschiedenen Gemeinschaftsarbeiten mit ihrem berühmten Vater Martin Walser nun - schon - wie ich finde, ein „Making of“, so auch der Arbeitstitel eines Theaterstücks, das in Basel 2013 aufgeführt wurde. Natürlich interessiert mich das als selbst Schreibende. Steht sie früh auf? Wie lange schreibt sie? Wie findet sie ihre Figuren, wie verbaut sie ihr ICH? Beispielsweise in „The making of“ heißt es immer wieder in verschiedenen Variationen: „die Frau, die das gedacht hat, das bin nicht ich“. Ich sehe das als Versuch, dem Leser sehr deutlich mitzuteilen, das erzählende ICH ist nicht das schreibende ICH. Die alte Wunde aller Schriftsteller, in der die Germanisten vorsichtig, und die Feuilletonisten lustvoll bis gnadenlos herumstochern. Mit diesem Buch bietet Alissa Walser selbst den Blick durchs Schlüsselloch an.

Doch, sie steht früh auf und hat zwei Arbeitsphasen, eine am Morgen, eine am Nachmittag. Sie hat viele Arbeitsplätze und geht, wenn sie nicht mehr weiter weiß, auf Reisen. Und sie hat, wenn sie eine neue Arbeit beginnt, viel Material als Anregung um sich, weil sie befürchtet, ihre Vorstellungskraft lasse sie im Stich. Je weiter sie im Manuskript vorankommt, desto leerer wird der Raum um sie. (Das überrascht mich, bei mir ist es genau umgekehrt, am Anfang die Leere, das Schöpfen aus sich, dann füllt sich der Arbeitsraum, bis ich nicht mehr treten kann.)

„Das Publikum liebt Einblick in die Romanfabrik“, sagt Alissa Walser in einem der Texte. Es klingt ein wenig herablassend, aber vielleicht ist das so, wenn man in einer Familie aufwächst, in der das Schreiben mit allen Konsequenzen, auch den Kritiker- und Publikumsreaktionen zum alltäglichen Kosmos gehört. Ja, wir lieben den Einblick in die Dichterwerkstatt, wir wollen wissen, wie es der Autor, die Autorin macht. Doch gibt es letztendlich wenig tatsächliche Einblicke, etwa wie im Titeltext „Von den Tieren im Notieren“, wo wir erfahren, dass der auf dem Teppich der Autorin träumende Hund es in ihren im 18. Jahrhundert spielenden Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ schaffte. Alissa Walser weiß es selbst: „die mögliche Enttäuschung kenne ich, die dem Blick durchs Schlüsselloch oft folgt“. Hier beugt sie den Erwartungen der Leser vor. Spielt sie mit uns, indem sie diesen Blick anbietet, um dann zu sagen, das gibt’s nicht, was Ihr erwartet? Ist es etwa (der Leser ist empfindlich) ein Spiel?

Nein, Alissa Walser gibt uns sogar mehr: sie lässt uns teilhaben an ihrem Schöpfungsprozess, von den ersten Zetteln bis hin, dass die Figuren die Autorin fordern, weil sie inzwischen ein Eigenleben entwickelt haben. Dieses ist wohl der schönste Text in dieser Sammlung: „Wer schreibt wen“. Schon der Titel überzeugt. Hier zitiert sie auch die von ihr ins Deutsche übersetzte Sylvia Plath, die beschreibt, wie die Arbeit mit ihr durchgeht wie ein flüchtendes, nicht mehr zu haltendes Pferd. Von der Amerikanerin hat sich Walser auch das Motto für ihren Band entliehen: „Sie sind alle umhüllt und behandschuht; warum hat mir das keiner gesagt.“

Dieses rätselhafte Motto (aus Plath: Das Bienenmeeting) passt unerwartet gut. Alissa Walser gibt natürlich nicht viel preis. Das würde auch gar nicht zu ihr passen. Sie analysiert sich. Doch ihr Blick durchs Schlüsselloch, den sie gewährt, zeigt Umhüllungen und Handschuhe, viel Kopf, wenig Bauch. „Wort, Geruch, Klang“, heißt es beschwörend an einer Stelle. Ja, zu viel Wort, zu wenig Geruch und Klang.

Vielleicht hat das mit ihrer Herkunft aus der Malerei zu tun. Wo sie mit großen Ölgemälden begann, um dann nach verschiedenen Stadien bei kleinformatigen Strichzeichnungen anzukommen, die ja der Schrift am nächsten kommen und die sie nun in ihre Bücher streut. Fast die Hälfte der essayartigen Kurztexte befasst sich mit der Malerei. „Die Absolutheit, mit der ich meinem Material vertraute, entsprach meinem Misstrauen gegenüber Worten und Texten.“ Vor dem Wort war das Bild, postuliert sie und zeigt dies an der eigenen Entwicklung von den Ölgemälden hin zu den Schrift-Linienzeichnungen. Das Misstrauen zu Worten und Texten scheint überwunden, sie beginnt sich auf einer Assoziationskette treiben zu lassen beispielsweise im Eingangstext „An eine Lärche denken“: Lärche - Nadelteppich - Nadelkissen - Ruhekissen - Vorstellung, die Tagseite bewacht die Nachtseite, aber Erkenntnis, wir bewachen nicht den Schlaf der anderen, sondern rauben sie im Schlaf aus. Und googelt dann nach der Lärche. Überhaupt werden uns oft Googleergebnisse mitgeteilt oder sogar Links angeboten. Alissa fordert einen wachsamen Leser, der bereit ist, sich auf die verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung, auf das „Spiel mit der Wahrnehmung“ einzulassen: Bilder, in diesem Buch bis auf eine Ausnahme, die in den Text einfließt, in die Innenseite des Umschlags gedruckt, und das world wide web. So liest sich jeder Leser sein eigenes Buch. Ein Angebot. Doch wer es annimmt, wird stauen, dass einiges mit untergeschoben wird, das dann doch aus dem Kontext herausfällt, so ist unter anderem eine Laudatio dabei. Da kann der Leser schon empfindlich werden: Ich werde gelockt mit dem Blick durchs Schlüsselloch: „Was Sie schon immer übers Schreiben wissen wollten, aber nie zu fragen wagten“, so im Klappentext, und bekomme eine Laudatio vorgesetzt? Ja, na und, könnte der Verlag mit der Schulter zucken, handelt die etwa nicht vom Schreiben?

Alissa Walser
Von den Tieren im Notieren
Piper
2015 · 160 Seiten · 16,99 Euro
ISBN:
978-3-492-05668-7

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