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Kritik

Intime Nähe zu einem der Großen der deutschen Literatur

Andreas Heuslers Biographie Lion Feuchtwangers
Hamburg

Zweifelsfrei gehört Lion Feuchtwanger zu den Großen der deutschsprachigen Literatur, und das ganz zurecht. Denn Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, die „Brüder Lautensack“, die „Josephus“-Trilogie, „Die Füchse im Weinberg“ oder „Goya“ gehören zu den besten und erfolgreichsten Büchern deutscher Sprache. Von Anfang seines Romanschaffens an war die Wirkung Feuchtwangers international, in einem Maße, dass Kurt Tucholsky darüber spöttelte, dass irgendwann ein besonders findiger deutscher Verleger sich die Rechte an Feuchtwangers Büchern bei seinem amerikanischen Verleger sichern werde. Nachzulesen ist das jetzt in einer Biographie Andreas Heuslers, die im letzten Jahr erschienen ist.

Mit seinen ersten beiden Romanen, „Jud Süß“, 1925 erschienen, und „Die häßliche Herzogin“, die 1923 gar in einem deutschen Buchclub die Erstauflage erlebte, startete der damals bereits vierzigjährige Feuchtwanger eine Karriere, die Ihresgleichen sucht. Gerhart Hauptmann wurde lange Jahrzehnte angefeindet, bevor er in der deutschen Kultur Akzeptanz fand, Thomas Mann war ein Langsamstarter, ehe er 1925 zum Repräsentanten der deutschen Literatur wurde und 1929 sogar den Literaturnobelpreis erhielt, Bertolt Brecht brauchte die Kooperation mit einem modernen Komponisten und eine Erfolgsoper, um sich als Autor an die Spitze der Entwicklung der deutschen Literatur setzen zu können.

Lion Feuchtwanger, der sich zuvor bereits als Theaterkritiker und -autor einen gewissen, aber begrenzten Ruf erarbeitet hatte, musste von ausländischen, vor allem amerikanischen Verlegern entdeckt werden, damit man ihn auch in Deutschland als außergewöhnlichen Erzähler wahrnahm. Oder anders: In dem Moment, in dem es ihm gelungen war, seine Romane zu veröffentlichen, war Feuchtwanger ein internationaler und zudem höchst erfolgreicher Autor.

Dass ein Bestseller immer ein soziales Experiment ist, hat bereits Siegfried Kracauer gewusst und konnte dabei auf eine Reihe von Exempeln zurückschauen. Feuchtwanger gehört zu ihnen.

Dass dieses Experiment im Fall Feuchtwanger gelungen ist, ist auf ein Bündel von Faktoren zurückzuführen, auf seinen Riecher für zeitgenössische Themen, auf die Konjunktur des historischen Romans, der in den 1920er Jahren einen ungeheuren Aufschwung erlebte, und auf den Zufall, dass gerade seine Bücher international für Aufmerksamkeit sorgten. Die Qualität seiner Texte selbst kommt als Baustein zweifelsohne dazu.

Keine Frage, sie sind eingängig und stringent erzählt, einem gewöhnlich realistisch genannten Duktus verpflichtet, der seine Leser mitnimmt und ihnen keine formalen Hürden errichtet. Anders als Bertolt Brecht, mit dem ihm eine lebenslange Freundschaft und eine Reihe von gemeinsamen Projekten verbanden, versuchte Feuchtwanger nicht, bereits in der Erzählweise den Denkprozess seiner Leser anzuregen. Er war ein Geschichtenerzähler, der sich im Zeitroman ebenso souverän bewegte wie im historischen Genre. 

Dieser Erfolg blieb ihm durch die Brüche seiner Biographie seit Mitte der 1920er Jahre hindurch treu. Feuchtwanger gehörte neben Thomas Mann und Franz Werfel zu den wenigen deutschsprachigen Autoren, die zwar exiliert waren, dabei aber nicht auf einen Schlag verarmten. Anders als Heinrich Mann, der gegen Lebensende von seinem Bruder Thomas alimentiert werden musste, blieb Feuchtwanger ein begehrter Autor – und sein Haus wurde zu einem der Treffpunkte des deutschsprachigen Exils.

Keine Frage also, dass ein solcher Autor die biographische Neugierde auf sich zieht. Immerhin ist es nicht ohne Interesse, was diesen Autor derart attraktiv machte, und wie es ihm gelang, sich im umkämpften deutschen und internationalen Markt durchzusetzen.

Andreas Heuslers Biographie ist mithin nicht das erste Buch zu Leben und Werk Feuchtwangers. Aber es nimmt immerhin für sich den Anspruch, doch einiges Neues zum Wissensfundus über Feuchtwanger beitragen zu können. Insbesondere will er die Deutungshoheit, die Feuchtwangers Frau Marta über die Biographie ihres Mannes bis zu ihrem Tod hatte, unterlaufen. 

Außerdem kann er einige, wie er sie nennt, Mythen der Feuchtwanger-Biographistik zerstören: dass der Vater den Erstgeborenen enterbt habe zum Beispiel oder das die Münchener Universität ihrem jüdischen Studenten die Doktorwürde aberkannt hätte.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Das väterliche Erbe versetzte den bis dahin um sein Einkommen intensiv streitenden Autor in die Lage, ein relativ wohlsituiertes Leben zu führen. Die Feuchtwangers gehörten immerhin zu den erfolgreichen jüdischen Kaufmannsfamilien Münchens – was sie nicht immer glücklich werden ließ mit dem literarisch aktiven Sprössling, der sich zudem radikal von seiner orthodoxen Herkunft gelöst hatte. 

Und dass Feuchtwangers Doktorwürde nicht entzogen worden war, liegt anscheinend vor allem daran, dass niemand – auch nicht seine nationalsozialistischen Feinde – daran gedacht hatte, dass Feuchtwanger promoviert worden war. Sonst wäre es allerdings zweifelsfrei zu dem peinlichen Akt gekommen, den die Münchener Universität dann in den 1950er Jahren in zwei pannenreichen Akten zu beheben suchte. 

Beide Korrekturen mögen zwar marginal erscheinen, verweisen aber darauf, dass die Biographistik sich die Tatsachen gern so gestaltet, dass sie zur Person und zu seinen Verhältnissen passen. Was die nachfolgenden Bearbeiter, die sich die Quellen erneut anschaun, dann korrigieren müssen.

Das Klischee ist zwar passgenau, aber oft genug nicht korrekt: Der große jüdische Autor muss sich naheliegend zum Erfolg gekämpft haben (Feuchtwanger hat das zweifelsfrei trotzdem tun müssen), und selbstverständlich hat man dem „Staatsfeind No. 1“ aus der Münchener Uni geworfen. 

Wenn dem dann doch nicht so ist, bricht auf einmal so etwas wie das wirkliche Leben in die so rund gestaltete Biographie ein.

Dem hat sich Heusler weitgehend entzogen. Seine Biographie ist in sich geschlossen, lesenswert und angenehm zu lesen, dabei informativ – und lädt doch zur Kritik ein.

Da ist zum Beispiel das Phänomen, dass Biographen ihren Objekten sehr, sehr nah rücken. Das ist nicht verwunderlich, beschäftigen sie sich doch oft jahrelang mit dieser Person, die ihnen besonders schildernswert erscheint. Dass es dabei zu einseitigen Intimitäten kommt, überrascht nicht, gehört sich aber dennoch nicht. Stärkster Ausdruck einer solchen Intimität, gegen die sich die Autoren nicht mehr wehren können, ist die Neigung, sie beim Vornamen zu nennen, statt es bei einer etwas distanzierteren Formel zu belassen. So wird dann aus dem Herrn Lion Feuchtwanger einfach nur Lion (nunja, der Lion wird’s immer nicht).

Auch die sexuellen Vorlieben geraten dabei schnell in den Blick, bei einem anscheinend äußerst aktiven Protagonisten wie Feuchtwanger, der sich auch nicht an die Grenzen seiner Ehe hielt, bleibt das nicht aus. Was das allerdings mit seinem werkbiographischen Profil zu tun hat, ist fraglich. Man gönne den Autoren (und auch den Autorinnen), was das angeht, ein bisschen mehr Privatsphäre, wenn es denn nicht zur Erhellung der Persönlichkeit und deren literarischem wie intellektuellem Wirken beiträgt. Was es nicht tut. 

Statt aber sich von Intimitäten fernzuhalten, heben sie in der Darstellung unversehens ein wenig ab: Wenn, wie im Fall Feuchtwangers, die langjährigen (allerdings auch nicht exklusiven) Beziehungen mit dem Tod der Tochter in den frühen 1910er Jahren kurzgeschlossen wird, feiert die Küchenpsychologie fröhliche Urständ. Plausibel oder erhellend ist allerdings nichts davon.

Aber damit nicht genug: Die Nutzung autobiographischer Materialien im Werk Feuchtwangers wendet Heusler einigermaßen gegen seinen Autor: In einem Fall blickt man im Roman genauso ins Gelände wie im wirklichen Leben, im anderen werden Figuren arg schnell mit lebenden Vorbildern, am liebsten aber mit ihrem Autor selbst identifiziert. Die Figur „ist“ dann die reale Person – und begründet wird das methodisch mit dem Verweis auf den Schlüsselroman, bei dem sich die Germanistik immerhin gern auslebe. Was im Übrigen kein Zeichen guter Germanistik wäre. 

Was davon zu halten ist, hat aber bereits 1905 Thomas Mann in einem kleinen Essay beschrieben, mit dem er auf die Nestbeschmutzervorwürfe seiner Lübecker Landsleute antwortete. „Bilse und ich“ macht eigentlich ein für allemal klar, dass im Kunstwerk aus der Vorlage etwas anderes, eigenständigeres werde, das mit seiner Herkunft nichts, mit dem Kontext, in dem es steht, aber alles zu tun hat. Die Lektüre sei anempfohlen. 

Aber auch in einigen Einschätzungen wird man Heusler nicht folgen. Sein Unverständnis darüber, dass Feuchtwanger seinen ersten Roman „Jud Süß“ fast vier Jahre lang vergeblich unterzubringen versucht hatte, ist ja nachvollziehbar. Aber immerhin war Feuchtwanger als Romanautor bis dahin unbekannt. Dennoch gelang es, den Roman bei „Drei Masken“ unterzubringen, weil er im Gegenzug auf einen attraktiven Redaktionsvertrag verzichtete, der dem Verlag auf die Tasche drückte. Aber was erwartet man beim Erstling eines Autors, dass alle schon vorher wissen, wie erfolgreich das Bucht werden wird? Schön wärs.

Auch mag es sein, dass der Verlag dem Erfolg anfangs nicht wirklich traute. Aber immerhin setzte er zwischen 1925 und 1930 eine Auflage von 100.000 Exemplaren ab, was nicht dafür spricht, dass er die Chance, die sich ihm da bot, nicht wahrgenommen hat. Dass Feuchtwangers Roman dann 1931 von Knaur publiziert wurde (und Drei Masken keine Neuauflage mehr wagte), ist aber Teil des beginnenden Bestsellergeschäfts, in dem Knaur eine antreibende Rolle spielte. Immerhin hätte nicht viel gefehlt, und auch die Volksausgabe von Thomas Manns „Buddenbrooks“ wäre bei Knaur gelandet und nicht von Fischer Publiziert worden. Aber gegen die Massenauflage, die Knaur über die Kaufhäuser in den Markt drückte – Startauflage war 100.000 Exemplare –, und gegen den Preis hatte ein kleiner Verlag wie „Drei Masken“ keine Chance. 

Lässt man solche Petitessen, die sich teilweise auch nur in Wertungen und Nebenbemerkungen Heuslers verbergen, beiseite, dann bleibt dennoch ein brauchbarer Kern über, was wahrscheinlich auch dem porträtierten Autor gefallen hätte. 

Andreas Heusler
Lion Feuchtwanger
Münchner – Emigrant – Weltbürger
Residenz Verlag
2015 · 364 Seiten · 24,90 Euro
ISBN:
9783701732975

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