Bild und Begriff
Im immer spannender werdenden Verlag diaphanes sind im Herbst des vergangenen Jahres zwei Bücher erschienen, die, je auf ihre Weise, einen kunst- und literaturtheoretischen Diskurs auf der Höhe unserer Zeit abbilden. Über Podorogas Buch Mimesis wurde auf dieser Seite bereits berichtet. Dem zur Seite steht das in gleicher Ausstattung erschienene Buch Poesie und Begriff. Auch dieses Buch trägt auf dem Einband eine Zeichnung von Andreas Töpfer, die selbst schon philosophische Reflexion ist, die Selbstreflektion als Verdoppelung und Verschiebung begreift, begriffliche Identität als Identität des voneinander Geschiedenen. Logik versus Dialektik, als widerspräche das Bild selbst seiner Bildlichkeit. Es scheint ohnehin im nicht zu unterschätzenden Vermögen des Zeichners zu liegen, paradoxe Sachverhalte bildlich zu fassen. Die Illustration wird an dieser Stelle selbst zur These.
Im Gegensatz zu Podorogas Mimesisbuch, dass sich mit der literarischen Produktion Dostojewski beschäftigt, kommen in Poesie und Begriff Dichterinnen und Dichter zu Wort, entwerfen eine Autorenpoetik beziehungsweise reflektieren auf poetische Verfahren von Kollegen. Im Untertitel heißt das Buch Positionen zeitgenössischer Dichtung.
Allerdings sind die Statements Positionen der Dichterinnen und Dichter in Hinsicht ihres Tuns und nicht die Positionen der Dichtung selbst.
Wie in der Titelgrafik Töpfers weisen die Blicke auf eigene und fremde Dichtung Brüche auf. Doch diese Brüche machen die begriffliche Perspektive zuallererst möglich. Plastisch wird das vor allem im Beitrag Elke Erbs, die eigene Texte kommentiert. Die Begegnung mit dem Text spannt einen Kosmos auf, der Selbstanalyse ermöglicht, weil das Zusammentreffen mit dem eigenen Text wie das Aufeinanderprallen von Fremden funktioniert. Die Erkenntnischocks der Autorin vermitteln sich dadurch dem Leser, der Text gewinnt eine höhere Authentizität.
Kaum ist der Anlass-Satz abgegolten, überrascht mich die Fortsetzung sozusagen selbstständig mit der Sicht: aus der Bildfläche, dem realen Bild – wandern die Figuren in den Raum zurück. Schluss mit der Oberfläche.
Während sich Erb, Popp, Rinck und Czernin eigenen Texten zuwenden, steuert Oswald Egger einen metapoetischen Text bei, der ein Paralleluniversum eröffnet. Er enthält gewissermaßen die Bauanleitung für eine Faltfigur. Aber der Falttext erschöpft sich nicht an Analogien, sondern gewinnt eine eigene künstlerische Struktur. So kehrt der Metatext zum Text als Text zurück. Eine Faltung.
Doch da ich fast exakt so verfahren bin, ist stets etwas ständig anderes herausgekommen.
So leitet Eggers den letzten Abschnitt ein, und auch hier findet sich die Motivik der Töpferschen Titelzeichnung aufgehoben.
Stolterfoht liest Pastior und Falb liest Pound. Das sollte als Empfehlung eigentlich genügen. Und während Stolterfoht sich in der Lektüre selbst begegnet, sieht man Falb sich von der Dichtung entfernen in die irrwitzigen Sphären einer Ökonomie des negativen Zinses. Spannender ist kein Roman.
Gegen die eingeführte Annahme, dass Kunst denken in Bildern sei, richtet sich bereits der russische Formalist Viktor Schklowski in seinem 1921 in russischer Sprache erstmals veröffentlichten Aufsatz Kunst als Verfahren. Darin heißt es:
Künstlerisch im engeren Sinne wollen wir nennen, was mit Hilfe besonderer Verfahren entstand, die darauf abzielen, Dinge möglichst eindeutig als Kunst wahrnehmbar werden zu lassen.
Letztlich knüpft der gegenwärtige Diskurs, der in diesem Buch zum Vorschein kommt, willentlich oder unwillentlich an diese Position an und führt sie weiter und immer weiter aus. So heißt es beispielsweise im Eingang zu Steffen Popps Text:
Entsprechend hat man es bei Gedichten vor allem mit Sätzen zu tun – genauer mit der Perspektive, der Haltung, dem Temperament einer Rede, die Narrationen, Aussagen, Beschreibungen, Zweifel und andere satzförmige Leistungen gestisch organisiert.
All denen Kunst und insbesondere Lyrik mehr ist als seelische Erbauung, sei dieses Buch mit Nachdruck empfohlen.
Fixpoetry 2015
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