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Kritik

Autobiographie als iranisch-bundesrepublikanische Geschichte

Bahman Nirumand hört nicht auf zu hoffen

1967 mobilisierte Bahman Nirumands Buch „Persien – Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der freien Welt“ im Zusammenhang mit dem Shah-Besuch in Deutschland das politische Bewusstsein vor allem der jungen, links-orientierten Studenten. Er lenkte den Blick der Öffentlichkeit erstmals darauf, wie sehr der Westen seine eigenen proklamierten Ideale mit Füßen tritt, wenn es um wirtschaftliche und geostrategische Interessen geht. Und der Spiegel unter Augstein bewies mit einem gegen Nirumand und auf die Rehabilitierung des Shah gerichteten Kampagnenartikel überdeutlich, dass er als kritisches Nachrichtenmagazin nicht ernst zu nehmen ist – woran sich bis heute kaum etwas geändert hat. Bei Nirumand hingegen hat sich viel geändert in den Jahren des Pendelns zwischen Heimat und Exil, des Lebens in zwei Kulturen, des Erlebens von politischen Umbrüchen hier wie dort, von gescheiterten Revolutionen und immer wieder aufflammender Hoffnungen. Seine nun erschienene Autobiographie „Weit entfernt von dem Ort, an dem ich sein müsste“ (Rowohlt) ist ein erlebtes Stück iranisch-bundesrepublikanischer Geschichte.

Bahman Nirumand war, neben Rudi Dutschke und den Initiatoren der APO, eine der treibenden Kräfte hinter dem Sinneswandel, der schließlich zu den Studentenprotesten von 1968 führte. Dabei war er ursprünglich auf einem anderen Feld aktiv, als Mitbegründer der studentisch geprägten iranischen Exilopposition CIS/NU. Weil er ein schlechter Schüler war, hatte ihn sein Vater – ein enger Vertrauter des Shah – zum Studium nach Deutschland geschickt. Aus dem anfänglichen Kulturschock entwickelte sich eine Annäherung und der Wille, sich die positiven Aspekte sowohl der orientalischen als auch der westlichen Kultur zu Eigen zu machen.

In den frühen Fünfziger Jahren kehrte Nirumand nach Teheran zurück, mitten hinein in eine turbulente Zeit des Umbruchs, als Briten und Amerikaner den demokratischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh stürzten und die von außen gesteuerte Militärdiktatur wieder installierten – wohl der Moment, in dem die USA ihr Ansehen in Iran gänzlich einbüßten. Die, die nach außen Freiheit und Demokratie predigten, stürzten eine noch junge Demokratie zugunsten einer brutalen Monarchie aus rein wirtschaftlichen Interessen. Später folgten die Massaker in Vietnam, die eine breite Front des Protests gegen den westlichen Imperialismus befeuerten. Dass die damaligen Linken den ideologisch verblendeten Schulterschluss mit Massenmördern wie Mao oder Stalin eingingen, sieht Nirumand heute distanziert und kritisch. Die Geschichte der Linken in Deutschland und Iran ist auch seine Geschichte. „Einer, der sich nicht angepasst hat“, schrieb der Stern über ihn, und das stimmt im doppelten Sinne. Denn nie hat er sich, wie viele Ex-68er, in den dann doch recht warmen Schoß der kapitalistischen Wohlstandsgleichgültigkeit zurückgezogen. Zugleich ist er aber auch nicht in der radikal-ideologischen Verblendung des links-marxistischen Milieus mit seinen weltfremden Romantizismen hängengeblieben. Begründet ist das sicher in seinen Erfahrungen im iranischen Schicksalsjahr 1979.

Wie so viele seiner vor dem Shah-Regime geflüchteten Landsleute kehrte er voller Hoffnung auf ein Ende der Unterdrückung nach Iran zurück, um die lange ersehnte Revolution mitzuerleben und mitzugestalten – nur um zu erleben, wie innerhalb weniger Monate sämtliche demokratischen Bestrebungen von einem neuen, radikal-klerikalen Regime brutal niedergetrampelt wurden. Schlimmer noch war es vermutlich, mitanzusehen, wie die linke Tudeh Partei sich dem Despoten Chomeini andiente, und wie es Chomeini spielend gelang, die Massen für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Die Wunschvorstellung, dass alles besser würde, wenn das einfache Volk die Macht in der Hand hätte, brach in sich zusammen. Gerade die Unterschicht, die unter dem Shah gedarbt hatte, folgte nun Chomeini, aus den Slums rekrutierte er seine Schlägertrupps, als wäre er bei Hitler in die Lehre gegangen. Freunde und Weggefährten Nirumands wurden ermordet. Iran war von einer Diktatur in die nächste geschlittert. Und als die USA den irakischen Machthaber Saddam Hussein zum Krieg gegen Iran anstachelten, festigten sie die Basis der neuen Machthaber endgültig. Mit der Mobilmachung zum Krieg ließen sich kritische Stimmen endgültig mundtot machen. Nirumand blieb nichts anderes, als die erneute Flucht nach Deutschland.

Was Nirumand hier vorlegt, ist nicht bloß eine Autobiographie. Er zeigt deutlich, wie sehr sein eigenes Leben und dessen Wendungen verknüpft sind mit seinem Engagement und den Erfahrungen im Zuge der politischen Wirren beider Länder. Was er präsentiert ist gelebte Geschichte. Seine Perspektive ist dabei betont subjektiv, aber niemals plakativ. Im Gegenteil – es ist ein Buch, das so bedacht und reflektiert ist, dass es seinen Gegnern von vornherein den Wind aus den Segeln nimmt. Nirumand lässt sich nicht festnageln. Das Label „links“, das ihm immer wieder von populistischen Zeitgenossen aufgedrückt wird, funktioniert einfach nicht. Er ist ein aktiver Beobachter, dessen zentrale Triebkraft die Hoffnung ist, die einen Menschen dazu antreibt, die menschgemachten Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten nicht zu akzeptieren. Dieser Kraft ist er fünfundsiebzig Jahre lang gefolgt. Er hat dabei Fehler gemacht, zu denen er offen steht – etwas, wozu seine Gegner aus dem bürgerlich-konservativen Lager eher selten fähig sind. Dabei ist das Reflektieren von Fehlern die einzige Möglichkeit für Weiterentwicklung. Was Nirumand auszeichnet ist aber vor allem, dass er seine Grundhaltung nie aufgegeben hat. Bei einer Lesung mit Mahmud Doulatabadi in Köln im Herbst 2010, wurden beide gefragt, wie sie es mit der Hoffnung halten. Doulatabadi sagte: „Ich hoffe nicht mehr, deshalb werde ich seltener enttäuscht.“ Nirumand sagte: „Ihr wisst, wie ich bin. Ich gebe die Hoffnung nie auf, auch wenn sie noch so gering ist.“

Bahman Nirumand
Weit entfernt von dem Ort, an dem ich sein müsste
Rowohlt
2011 · 384 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-498046934

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