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Kritik

Die Neigung, Bäume zu umarmen

Hamburg

Man lernt ihn von Mal zu Mal neu kennen, den Autor Beat Brechtbühl, den Verleger in Frauenfeld, vom Waldgut Verlag. So auch hier. Unter dem launig gedachten Titel Böime, Böime! Permafrost und Halleluia hat er – nach vielen Kinder- und anderen eigenen Büchern, auch Lyrikbänden mit Gedichten in verschiedenen Formen, darunter gern japanische Tanka und Haiku – eine neue Gedichtsammlung vorgelegt, der in seinem „Motto, vorher“ noch schnell ein eigenes Spottwort im Heine-Nachklang beigibt, bevor’s direkt an die Bäume geht:

Der Professor für altes Latein
rief außer sich:
„Ich sehe nur ‚Böime, Böime!’
und nicht mal einen Wald oder sonst etwas
Ordentliches.“

Dann ließ er sich
schnurstracks oder halt fadengerade
in die Weltstadt zurück chauffieren
und lehrt
neuerdings
Altes Latein.

Tja. Abgehoben ist das nicht als Auftakt. Direkter und zur Sache spricht Brechtbühl anderswo:

Reden über was oder zu

Mein schwäbischer Großvater
sagte mir kleinem Bub:

Rede nicht über oder zu Sachen,
von denen du nichts kennst oder verstehst.

Zu Dingen, die
du kannst oder von denen du viel weißt,
darfst du reden,
wenn du gefragt wirst,
wenn du magst. 

Beat Brechtbühl, man entnimmt es dem Band, ist wohl heute selbst Großvater und in einem Alter, in dem man dazu neigt, Bäume zu umarmen, sich an ihnen zu halten. In dem ersten Teil des Buches, das der Autor den Bäumen widmet, ist davon sehr direkt und anrührend zu lesen:

Geschäkere

Ich liebe eine Linde
niemandem sag ich welche.

Die Linde liebt mich
niemandem sagt sie welchen.

Wenn der Lärm der Welt weit
weg gerannt ist
lieben wir uns.
Mit dem Geräuschele ihrer Blätter
umarmt sie mich,
und ich streichle ihre Rindenhaut.

Und wenn sie blüht
atme ich die Linde ganz 
in mich hinein.

Dies ist, mit gebührendem zeitgenössischen Abstand, beinahe der Claudius-Ton.  Und „Geräuschele“ ist schön erfunden.  Brechtbühl gibt sich offen für die Natur, „Weit offen die Poren wie meine Augen“ („Bin die Haut selber im Auenwald“).  Er zelebriert die „Erotik der Bäume“ („Motto, nachher“), er liebt das „Räuscheln“ der Blätter und er hat ein Verhältnis mit der Birkenrinde:

Birkenrinde. Fass sie doch
an mit vollen Händen und Lippen und
Augen, rieche.
Rieche die Blätter, streichle durch die
Haare der Bäume und Pflanzen,
schmecke alles & noch viel mehr. 

(Aus “Motto, nachher“)

Brechtbühl liebt diese „deutlichen Zweideutigkeiten“ in diesen Baumgedichten, er ist – so ein Gedichttitel, „Ein Baumriecher“.  So kannten wir ihn noch nicht und sind überrascht.

Im zweiten Teil des Buches, in „Permafrost & Halleluia“, geht es nicht so reißerisch zu, wie der Titel verheißt, sondern oftmals deutlich autobiografisch.  Hier legt einer Rechenschaft über sich ab und darüber, wie er geworden ist, was er ist.  So etwa im ersten Teil der sechsteiligen einführenden Litanei „Weil ich nicht“:

Weil ich nicht

Weil ich nicht öffentlich reden kann
    und im Live-Interview nicht viel tauge,
bin ich Schriftsteller geworden.

Weil ich nicht singen kann,
bin ich Lyriker geworden.

Weil ich nicht zeichnen und malen kann,
bin ich Gestalter geworden.

Weil ich eine charakterlose Handschrift habe,
bin ich Typograf geworden. 

So entwickelt sich, laut Brechtbühl, aus dem einen Unvermögen ein anderes Können. Aber so eindeutig ist das nicht: „Weil ich nicht lügen kann / bin ich Dichter geworden.“  Dies ist zugleich zu treuherzig und zu gewitzt.  Neigt der Autor zu Larmoyanz? 

Konkurs

Die Jagd auf dich
ist eröffnet.
Alle können über dich
alles behaupten und belegen. Nur
du nicht. Bist kein Zettelsammler,
kein Dealer.

Hast alles hergegeben: dich,
deine Arbeit, deine Begabung, deine Zeit,
auch das, was du nicht kannst.
Fast ein Viertel Jahrhundert lang.

Das alles verzeihen dir
nie
die Jäger,
die reichen Menschen,
und die Versager.

Nein, Brechtbühl steht zu sich und seine Klarsicht und Ehrlichkeit berührt. Man kennt diese Alltagskulissen und Abgründe, wenn man älter geworden ist. 

Beat Brechtbühl hat mit dem etwas unglücklich benannten Gedichtband Böime, Böime! Permafrost und Halleluia eine sehr heterogene, aber auch immer anregende und manchmal anrührende Gedichtauswahl zusammengestellt.  Die ihn kennen, werden ihn gern wiedererkennen und wieder lesen. Anderen wird er die Entdeckung wert sein. 

Beat Brechbühl
Böime, Böime! Permafrost & Halleluja
Wolfbach Verlag
2014 · 96 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
9783905910452

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