Violinschlüssel der Magie
In seinem Roman „Hochzeiten im Haus“ hatte der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal einst darauf aufmerksam gemacht,
dass das Schreiben eigentlich nicht besonders schwierig sei dass man dazu nicht mehr brauche als diese gewisse Frechheit diesen Entschluss die ersten Zeilen zu schreiben danach laufe alles wie am Schnürchen als trenne man einen alten Pullover auf.
Es scheint, als hatte sich bereits beim jungen Hrabal diese Methode etabliert, wenngleich sie in den frühen Jahren seines Schaffens ihre Anwendung im Genre der Lyrik gefunden hat. Die versammelten Gedichte bergen allerdings jede Menge Geschichten und sind in späteren Jahren zuweilen tatsächlich auch in Prosa umgeschrieben worden.
Der vorliegende und konsequent zweisprachig gehaltene Band stellt erstmals in vorzüglicher deutscher Übersetzung von Maria Hammerich-Maier frühe Gedichte Bohumil Hrabals vor. Die vom Autor zusammengestellten Texte hätten einst in der Druckerei Hrádek im mittelböhmischen Nymburk/Nimburg erscheinen sollen. In Folge des kommunistischen Putsches im Februar 1948 war jedoch das Zustandekommen dieser Ausgabe unterbunden worden.
Hrabals poetisches Verfahren einer Beobachtung ohne inneren Zensor hat sich offensichtlich über die Zeiten hinweg erhalten. Die Wahrnehmung ist unverstellt und hat sich einen geradezu kindlichen Blick auf die Umgebung bewahrt. Im abgedruckten Gedicht „Stadt im Regen“ ist diese Hrabalsche Wahrnehmungstechnik nachzulesen:
Es regnet. / Tränen kullern über Fensterlider, / und Qualm / begießt die Stadt blaugrau mit Scham. / Doch sieh! / Ein Wagen fließt still durch die aufgeschlitzte Straße / wie eine Barke im Kanal, / und Klepper, / zwei braune Kleckse, / rudern im Rhythmus der nickenden Nacken(…)
Unschwer lässt sich feststellen, dass sich Hrabal nicht viel ausdenkt und noch weniger konstruiert. Er greift das von ihm Gesehene auf und schreibt es nieder, allerdings schöpft er dabei die ganze Bandbreite der Sprachkraft aus. Und da jeder Augenblick mit vielen Bildern und Möglichkeiten angefüllt ist, entfalten sich in Hrabals Texten
vom Violinschlüssel der Magie erneut verführt,
eine Vielzahl von Wahrnehmungen und Mitteilungen.
In den Gedichten plaudert der Ich-Erzähler mit sich selbst oder auch mit anderen und kommt zuweilen, wie der reife Hrabal in seiner Welt der Kneipen, vom Hundertsten ins Tausendste.
Doch es gibt auch Konstanten in Hrabals mitunter exotisch anmutenden Bilderwelt. Immer wieder werden Liebesbeziehungen thematisiert, Erinnerungen an zumeist vergebliche Sehnsüchte.
Überhaupt werden alle diese gesammelten Gedichte, ebenso wie Hrabals spätere Erzählungen und Romane, von einer wehmütigen Grundstimmung beherrscht. Das „Städtchen am Wasser“ in Bohumil Hrabals gesamtem Werk ist Nymburk/Nimburg an der Elbe, in welchem er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Seine lebenslange Nostalgie wird von der eigenartigen Kippfigur eines unbedingten Vitalismus genährt, der zugleich von der Endlichkeit aller irdischen Pracht weiß. Auf diese Weise fügen sich zu den lebensfrohen Bildern zuweilen Eindrücke von Abscheu und Hässlichkeit, ohne dass diese zu einer inneren Entfremdung oder gar zu einem Bruch führten. Der Bilderbogen spannt sich von betörender Zartheit bis zur unverhohlenen Apokalypse.
Obwohl Bohumil Hrabal sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte in der Tschechoslowakei zu einem der bedeutendsten Schriftsteller seines Landes entwickelte, konnte „Das verlorene Gässchen“ erst 1991 mit einer über 40-jährigen Verspätung in Prag veröffentlicht werden.
In seiner abgedruckten Vorrede äußert sich Hrabal nicht zuletzt zu den historischen Schicksalsschlägen seiner böhmischen Heimat, welche er in einem geradezu provokativen Bekenntnis kulturell und politisch im Herzen Europas verortet. Ein ausführliches Nachwort des Essayisten und Kunsthistorikers Josef Kroutvor unterstreicht die sorgfältige Aufbereitung dieser ansprechenden Ausgabe.
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