Hinterwäldlerweisheit statt Weltgewandtheit.
Realismus - Amerikanischer Realismus.
Realismus ist schon immer eine Geisteshaltung. Ob im 19. Jahrhundert in der Literatur, ob in der Neuen Sachlichkeit der Malerei des 20. Jahrhundert oder heute hier wie dort. Auch Realismus existiert noch in der Postmoderne. Realismus ist einfach betrachtet für alle und jeden das Fassbare, Objektive. Aber Realismus ist weit mehr.
Der amerikanische Realismus des Autors Breece D'J Pancake ist erst einmal einordenbar in klassische Amerikanische Story. Exakter Realismus und keine weiteren Ismen. Aufmerksamer betrachtet: Präziserer Realismus lässt sich kaum schreiben. Bei der Annäherung an Pancake lässt sich zudem begreifen, dass es Abstufungen im Realismus gibt. Und dass Pancake sehr weit gegangen ist. So weit, dass er es offenbar nur ertrug ein Werk vom Umfang eines Buchs zu schaffen.
Scheint beispielsweise des Öfteren Automatismus risikobeladen für einen Autor und Künstler gewesen zu sein, so sollte man vielleicht sagen: Sei vorsichtig mit dem Realismus. Mit realistischen Sichtweisen und darin verschieden mögliche zu kombinieren. Eine Vielzahl realistischer Positionen kann wissenschaftlich erörtert und diskutiert werden.
Hillbilly
"Almost heaven, West Virginia / Blue Ridge Mountains, Shenandoah River / Life is old there, older than the trees / Younger than the mountains growin' like a breeze..." (John Denver, Sommer 1974).
Breece D'J Pancake lebte ab 1952 in West Virginia. 1979 nahm er sich mit 27 Jahren in Charlottsville das Leben. Nachdem er 12 Geschichten geschrieben hatte.
Mit Namen Breece Dexter Pancake in Milton geboren studierte er in Buckhannon und Hurlington, unterrichtete Englisch und besuchte Schreibkurse. Als Hillbilly distanzierte er sich gerne von anderen. Pancake schätzte den Singer-Songwriter Phil Ochs, der sich als singender Journalist bezeichnete mit topical songs und der das Umfeld von z.B. Joan Baez, Pete Seeger and Bob Dylan und auch die Metropole New York frequentierte. Der Begriff Hillbilly gilt nicht nur in der Musik. Vielleicht kann man Pancakes Literatur old time literature nennen. Bewusst der Country Music, der Mountain Music nicht abgewandt. Das Getümmel von New York schien Pancake nicht anzuziehen. Er blieb in West Virginia, auch The Mountain State genannt. Einer der ärmsten Staaten Amerikas. Seine ersten Geschichten veröffentlichte Pancake in The Atlantic Monthly. Erst vier Jahre nach seinem Tod erschienen seine Stories als Buch. Und wurden nun bei weissbooks erstveröffentlicht in deutscher Übersetzung von Katharina Böhmer.
Pancakes Kulturkosmos
Pankaces literarische Welt war der raue, harte Alltag von Arbeiter-, Bergleuteexistenzen in der Provinz. Oder Hilfsarbeitern, die beruflich lieber unterwegs waren als in einer Heimat. Nicht der "american dream" war Pancakes Thema, sondern die Welt des einfachen Mannes. Nennt Jayne Anne Phillips die Stories von Pancake die amerikanischen "Dubliners" ( James Joyce), so hat sie was die Qualität angeht sicherlich recht. Und Pancake hätte auch ein umfangreicheres, großartiges Werk vorlegen können. Aber er wäre vermutlich in eine andere Sphäre als die des Joyceschen"Ulysses" vorgedrungen. Er war zu sehr, zu tief Realist. In völlig frei fließende Assoziationen wäre Pancake wahrscheinlich literarisch nicht gegangen.
Pancake schrieb über ein pures aber eher grobes Leben ohne das dekadent Verfeinerte einer Großstadt. Ohne sophisticated Kosmopolitismus mit einzubeziehen. Das unterschied ihn von jemandem wie Hemingway. Auch wenn er diesem nicht ganz fern war. Pancake stand einem wie Faulkner näher. Auch Faulkner schrieb über Provinzler. Aber Pancake war purerer Realismus als Faulkner. Faulkner hatte eine zusätzlich reflektierende Ebene, die Pancake wegließ. Pancake war direkter, noch schnörkelloser. Ländliches, Menschen, Dialoge. Das genügte für einen reduzierten aber perfekten, exzellenten, schonungslosen Realismus.
Wieder einmal vielleicht bei amerikanischem Realismus den Maler Edward Hopper erwähnen. American Scene. Als Anhaltspunkt, Hinweis. Hopper war analytischer, klarer, Realismus. Wie ihn Pancake in der Sprache anlegte. Pankake ging nur im Härtegrad weiter. Pancake war spröder, aber wohl auch noch einfühlsamer. Wie mit einer Lupe betrachtete er alles und gab dann seine Beobachtungen in seiner Literatur weiter.
Abenteuer der Wirklichkeit
Die Frage nach der Realität stellte kürzlich auch die Münchner Hypo-Kunsthalle mit der Ausstellung "Das Abenteuer der Wirklichkeit". Die Moderne spricht auch vom Zweifel an der Darstellbarkeit der Realität. Davon, dass Objektivität zum Paradoxon wird. Realismus ist ein komplexes Phänomen. Realität ist Konstruktion. Selten detailliert und genau jedenfalls ist Pancake in die literarische Darstellung von Realität gegangen. Und ab einem bestimmen Maß an Genauigkeit der Realität ist das für einen Künstler vielleicht schwer ertragbar. Warum brachte ein Talent wie Pancake sich um? Vielleicht sah er zu präzise?
Abenteuer des Schreibens
In den Geschichten von Pancake immer wieder auftauchend dominierende Männer und deren Grausamkeit. Gegenüber der Welt der Frauen. Und überhaupt. So war das damals in der Provinz. Wohl nicht nur damals und dort.
"...Er fühlte sich leer vom vielen Reden mit ihr und wollte nicht da sein, wenn sie wach wurde..." ("Der Schläger") Pancake, wach, schrieb. "...Ottie hört Sheila lachen, aber tiefer, als er es in Erinnerung hat. Früher war ihr Lachen höher, und die alte Frau scheuchte sie über die Veranda und sagte: "Bitte nicht Schätzchen. Ein Lebewesen kann fühlen."..." ( "Bei dieser Trockenheit") Pancake, fühlend, schrieb.
Pancake, sensibel aber unpathetisch, knallhart beobachtend, schrieb. Und brachte sich dann um. Ihm als Autor war Brutalität gegenüber anderen, wie sie etwa seine Protagonisten ausführten, fremd. Pancake, ein Realist, der der Welt zu früh abhandenkam.
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