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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Zweisprachig einsprachig

erotic poems von E.E.Cummings
Hamburg

In dem äußerst hübschen Aufsatz „Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen“ sagt Niklas zwar leider nichts zu erotischer Lyrik, aber kontrastiert sehr schön die Beobachtung von Pornographie und die Selbstbeobachtung eines liebenden Subjekts. Während man in der Pornographie „nichts zu sehen bekommt, was man nicht zu sehen bekommt“, erkennt der besonnen Liebende, „dass man nicht sieht, was man nicht sieht, und diese Beobachtung ist für das Bewusstsein viel reizvoller als die platte Ansicht der Dinge.“ Erotische Dichtung hält hier gleichsam die Mittelstellung und fundiert eine Grenze zur „platten Ansicht“, indem sie nicht nur das Erleben möglichst deutlich vorstellen, sondern auch die Zusammenhängen der Erlebenskultur und -tradition erschließbar machen und kommentieren kann. Das Verhältnis dieser beiden Seiten zueinander ist wesentlich für die Stimmung einer gedichteten Erotik. Durch dieses Verhältnis werden etwa Provokation oder Idylle möglich. Und von hier aus kann nicht zuletzt das Verhältnis der gestalteten Sprache zur Welt, das heißt eine Poetologie, prägnant bestimmt werden. Insofern kann man eigentlich nicht genug davon genau genug lesen.

Insofern ist jede thematisch zentrierte Auswahl aus dem Oeuvre eines gediegenen Lyrikers begrüßenswert, selbst wenn man eine Schwäche für Gesamtausgaben hat. Im Falle E.E. Cummings sind die gesammelten Gedichte immerhin mehr als tausend Seiten stark – da ist es schon komfortabler, die in der schönen Reihe „textura“ aus dem C.H. Beck Verlag erschienene, zweisprachige Auswahl zur Hand zu nehmen: hier findet sich ein Querschnitt durch Cummings erotische Gedichte auf gut 130 Seiten. So hübsch das Graphikdesign dieses Bändchen auch gelungen ist, so entblößt es doch zugleich auch die Schwäche mancher Auswahlausgabe, namentlich das Fehlen jeglichen (philologischen) Anspruchs an die Ausstattung des Buches. Ich klage hier nicht einen magistralen Kommentar oder eine vielhunderttitelige Forschungsbibliographie ein, aber zumindest ein Inhaltsverzeichnis steht auch einem Gedichtband wohl an. In jedem Falle wäre das ein oder andere Verzeichnis, etwa auch Verweise auf und in die Standardausgaben, angebracht gewesen. Am besten an Stelle des reichlich belanglosen Nachworts von Benjamin Stein.

Es empfiehlt sich also, das Buch nicht bis ganz zum Ende zu lesen und bei den Gedichten zu verweilen. Cummings, wie er von dieser Auswahl präsentiert wird, zählt nicht zu den brachialen Giganten des erotischen Genres, er ist kein Divino Aretino, das heißt die Gedichte sind auf den Textoberflächen jugendfrei. Oder wie es die Herren von „De la soul“einst ironisch gebündelt haben: „The following song does not contain explicit lyrics, but the thought is erotic. “ Was bei Cummings immer wieder überrascht und berührt ist nicht nur der erotische Gedanke, sondern zudem die spracherotische, zärtliche Handhabe der Wörter. Auch aus der hergebrachtesten Jahreszeitenmetaphorik werden hier neue Wendungen geschlagen: „there is between my big legs a crisp city. / when you touch me / it is Spring in the city“. Oder der sehr schöne, vegetabilisch nachschwingende Vers: „while in your eyes there lives / a green egyptian noise.“ Spannende Bilder gibt es in diesen Gedichten in Fülle – aber wie so oft ist es der schlichte Satz, der als Kontrastfolie der Metaphern, die die Körper überwuchern, das Ich konturiert und einen weiteren Horizont öffnet: „i like my body when it is with your / body. It is so quite new a thing. / Muscles better and nerves more. “Vonsolchen Momenten schlichter Intimität bereichert sich die ganze Lektüre.

Etwas weniger Schlichtheit in vielerlei Hinsicht aber hätte der Übersetzung von Lars Vollert gut getan. Über weite Strecken liest sie sich wie eine Interlinearübersetzung: „Muskeln besser und nerven mehr.“ Interlinearversionen sind nicht dafür berühmt, klangliche und sinnliche Potenziale einer Dichtung freizusetzen und das bestätigt sich auch hier. Vollerts Übersetzung aber bringt noch weitere Probleme mit sich und strahlt eine gewisse Nachlässigkeit aus. Einerseits werden nicht nur die klanglichen, sondern auch die syntaktisch stilistischen Valeurs dieser Lyrik verzerrt, wenn Wort für Wort übersetzt wird – weil das Englische schlichtweg andere Satzstellungsgesetze kennt als das Deutsche. Stilfiguren wie Inversionen tauchen so auf und verschwinden ohne Bezug zum Original. Die bloße Genauigkeit der Übersetzung kann hier nicht den Ausschlag geben, denn nicht nur subkutane Klangereignisse, auch der immer mal wieder aufblitzende Reim fallen konsequent unter den Tisch. Irreführungen zeigen sich auch immer wieder, wenn man ins Detail hinein liest. Um im Beispiel zu bleiben: im oben zitierten Gedicht „i like my body“ heißt es weiter: „i like your body. i like what it does, / i like its hows. i like to feel the spine / of your body“ usw. Vollert übersetzt: „ich mag deinen Körper. ich mag was er tut, / ich mag sein so-oder-so. ich mag fühlen das rückgrat / deines körpers“ usw. Nicht nur wird hier eine seltsame stockende Satzfigur hinzugefügt, wo das Original eine unprätentiöse Vorwärtsbewegung bietet. Auch entsteht mit der Übertragung der „hows“ zu „so-oder-so“ ein anderer Sinn, von Singular und Plural vorerst noch zu schweigen. Die offene Vielfalt bestimmter Bewegungen wird zur tendenziell gleichgültigen Beobachtung einer diffusen Masse von Bewegungen: der klare, unprätentiöse Blick auf die Art und Weise wird zur Unfähigkeit das bestimmte „so“ zu erfassen, das im Moment der erotischen Kontemplation bei Cummings gerade kein „oder“ hat. Was verlorengeht, ist nicht nur die resümierende Distanz des Blicks, sondern auch der Beiklang der Feinschmeckerei, die kennerische Genauigkeit.

Als Lesehilfe für die Lektüre ausschließlich der englischen Originale ist diese Interlinearversion sicherlich einigermaßen hilfreich. Aber als eigenständiger, tendenziell unabhängiger Text (den man hätte erarbeiten können, wenn man schon so ein hübsches Büchlein druckt) hätte sich die Übersetzung den entscheidenden Schritt vom Wortlaut des Originals emanzipieren müssen, um ihm näher zu kommen. Lyrik ist ja so wenig Wörterhintereinander wie Malerei Farbenübereinander.

E.E. Cummings
erotic poems. Erotische Gedichte
Übersetzung:
Lars Vollert
Nachwort: Benjamin Stein
C.H.Beck
2011 · 128 Seiten · 14,95 Euro
ISBN:
978-3-406624803

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