Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Träume von Schwänen und saurem Regen

Hamburg

Mit ihren schwarzen Haaren, den dichten Augenbrauen und dem kindlich-runden Gesicht erinnert die albanische Dichterin Ervina Halili ein wenig an Björk. Tatsächlich kann man sich eines ihrer Konzeptalben als Soundtrack-Beilage zu Halilis neuem Gedichtband vorstellen. Ihre Lyrik ist ähnlich federnd, träumerisch und düster wie die Songs der exzentrischen Isländerin, doch das Elektrisierende, Exaltierte dieser Musik sucht man in den Texten vergebens. Die sind erdenschwer, wenn auch nicht minder intensiv. Für Halili ist das Private politisch, die freie Natur Privatraum. Wenn sie etwa schreibt, „mein Schlaf ist voll fliehender Krähen / meine Erinnerungen voll ermordeter wichtiger Menschen“, dann tun sich unter der verspielten Textoberfläche plötzlich Abgründe auf.  Halili schöpft aus Folklore, mittelalterlichen Sagen und dem Vokabular der industrialisierten Welt, doch wann immer sie Märchenelemente einbaut, setzt sie auf einen wenig subtilen Verfremdungseffekt. So ist zum Beispiel die Großmutter ihrer Rotkäppchen-Variation eine Kummerfresserin:

„in ihrem Zimmer fiebert das Bett / draußen qualmen schwarze Schafe“.

Die Dringlichkeit ihrer Verse lässt keinen Zweifel daran, dass Ervina Halili keine Novizin auf dem Gebiet der Lyrik ist. Mit „Der Schlaf des Oktopus“ legt die 30-jährige Kosovarin bereits ihren dritten Gedichtband vor; erstmals erscheinen ihre Texte nun auch in deutscher Sprache. Sicher wäre es naheliegend, sich von Fixpunkten in Halilis Biographie aus auf ihre Gedichte zuzubewegen. Vielleicht lässt sich der Björk-Vergleich als zugegebenermaßen oberflächlicher Aufhänger aber rechtfertigen. Zum einen verleitet das sehr schlichte Buchdesign dazu, anderweitig nach visuellen Platzhaltern zu suchen, die Halilis lyrische Welt illustrieren könnten. Zum anderen ist über die Dichterin nur wenig in Erfahrung zu bringen, was wiederum den biographischen Zugang erschwert. Immerhin lässt sich nachrechnen, dass die spätere Studentin albanischer Literatur zur Zeit des Kosovokriegs Teenager war. Diese Erfahrungen in einer ohnehin empfindlichen, unruhigen Lebensphase könnten die bleierne Schwere von Gedichten wie „Lieber Herbst …“ oder „Gib mir nicht die Schuld“ erklären, in dem das lyrische Ich aus dem „Nachkrieg der Eisenexistenz“ schlafwandelt. Es erklärt auch nicht zuletzt, weshalb bei ihr schwarze Schafe qualmen und die Stadt aus „Nägelpflanzern“ besteht. Halilis eigenwillige Sprachästhetik so ins Deutsche zu übertragen, dass aus ihren Neologismen keine allzu abstrusen Wortgeschöpfe werden, dafür braucht es nun schon ein besonderes Gefühl für Metaphorik und zeitgemäße Sprache. Der Übersetzerin Andrea Gill mangelt es zum Glück weder am einem noch am anderen.

Auch dank dieser glücklichen Fügung wird für den deutschsprachigen Leser nachvollziehbar, wie Halilis Gedichte aus der Spannung zwischen Realismus und Magie ihre Kraft beziehen. In „Aura“ adressiert das lyrische Ich beispielsweise in lakonischem Ton eine verstrahlte Pinie. Schauplätze der Gedichte sind keine romantischen Wälder, sondern kranke Biotope mit „Trottoiren wo / Verrückte im irrsinnsgestreiften Pyjama wohnen“ und „Elendspilze unter bloßen Füßen“ wachsen. Die Natur ist versehrt: „ich / wachse / lasse die Wurzeln / unten / braun sein / Geruch nach Säure / Regen tropft“. Noch dazu ertrinken Meere im Himmel und Lavaströme bedecken „die beschauliche Zeit aus Pflanzenknospen / und gut genährten Knochen mit Humus“.

Im Lebens- und Schlafzyklus, die den Gedichtband leitmotivisch durchziehen, verschwimmen die Grenzen zwischen Schlaf/Traum und Wachzustand. Tiere und Pflanzen erobern sich wie selbstverständlich ihren Lebensraum zurück: Schwarze Katzen werden geboren, blaue Heuschrecken besingen den Tod. Halilis Gedichte sind bevölkert von allerlei Federvieh und Wirbellosen, darunter Schwäne, Krähen, Schmetterlinge, Heuschrecken und Taranteln. Der Mensch hingegen wird bei ihr häufig zum Objekt: zum Objekt der Begierde, zum Opfer von Naturgewalten, zum traumgelenkten Wesen, das sich schlafwandelnd durch alptraumhafte Landschaften bewegt. Mitunter gestaltet sich die Mensch-Natur-Symbiose aber auch harmonisch:

„ich / unter Pinien hoch über meinem Kopf / und den Uhus die / in meinem Hirn schnarchen.“

Die vielen surrealistisch-labyrinthischen Passagen sind nicht immer einfach zu erschließen, selbst wenn man den unwägbaren Faktor des durch die Übersetzung Verlorengegangenen mit einkalkuliert. Nun wäre es freilich Unsinn, von Lyrik leichte Konsumierbarkeit einzufordern; müßig ist zudem die Frage, ob ein Poet seinem Leser etwas schuldig ist. Ohne Kompass, der hilft, sich in seiner Bilderwelt zurechtzufinden, wird die Gedichtlektüre jedoch mühsam. Das Nachtmahr-Gedicht „Weit“ hat beispielsweise ein gewisses synästhetisches Potenzial, ist allerdings derart mit mythischer und alltäglicher Symbolik überfrachtet, dass es den Leser ein wenig ratlos zurücklässt. Hinzu kommt der Eindruck einer „schiefen“ textuellen Anatomie, die zum Teil, aber nicht ausschließlich den vielen Zeilenumbrüchen im deutschen Text geschuldet ist. In Halilis Kurzgedichten fällt das Problem der Struktur dann ohnehin weg. Diese gehören sicher nicht zu ihren schlechtesten, ganz im Gegenteil: Die kompakte Form lässt Halilis Texte noch einmal eine besondere Leuchtkraft entfalten. Während die Verse einiger längerer Gedichte mäandern „wie eine besoffene Metro durch Tunnel“, um einmal ein einprägsames Bild der Dichterin zu klauen, sind diese Kurztexte - eigentlich nur Momentaufnahmen oder philosophische Gedanken - stark und treffsicher.

Vom viktorianischen Dichter Alfred Tennyson ist Ervina Halili nicht nur stilistisch und raumzeitlich Welten entfernt. Ihr Krake schläft keinen „ancient, dreamless, uninvaded sleep“, wie es das Tier im bekannten Gedicht des Briten tut. Der Oktopus der modernen Dichtung ist, zumindest in Halilis Vorstellungswelt, weniger alptraumhaft als vielmehr alptraumgeplagt. Am metaphorischen Dickicht ihrer Lyrik mögen sich die Geister scheiden; interessant ist Halilis Neuinterpretation mythischer Gestalten jedoch allemal.

Besondere Erwähnung verdient zum Schluss das europäische Literaturnetzwerk TRADUKI: Schließlich ist es auch ihrem Übersetzerprogramm zu verdanken, dass wir südosteuropäische Lyriker wie Halili kennenlernen dürfen, die, wie Björk, aus einem wenig beachteten Winkel Europas stammen. Nicht zuletzt wegen des Outputs der dortigen jungen Kunst- und Literaturschaffenden sollten wir diese kleinen Länder unbedingt auf dem Radar haben.

 

Ervina Halili
Der Schlaf des Oktopus
Albanisch/Deutsch
Aus dem Albanischen von Andrea Grill
Edition Korrespondenzen
2016 · 126 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-902951-21-2

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge