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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Spiegelungen ins Verborgene

Hamburg

Verwunderung sei „die erste der leidenschaften“, zitiert Zeller Dèscartes. Danach ist gar ein ganzer Abschnitt in ihrem soeben bei Klöpfer & Meyer erschienenen Lyrikband mit dem schwebenden Titel „Auf Wasser schreiben“ benannt. Die zweite Leidenschaft der Dichterin muss dann wohl sein, die erstere auch ihre Leserschaft anhand der entstandenen Gedichte nachvollziehen zu lassen. Kann das gelingen, indem man auf Wasser schreibt?

Das Thema hierfür scheint gut gewählt: Um Licht, Spiegelung, Erkennen, Trugbilder, um äußeres und inneres Reflektieren geht es in diesen poetischen Texten. Es ist nur scheinbar leichtere Kost, als die Autorin sie uns in ihrem letzten Gedichtbuch von 2012 bereitet hat, in dem sie sich intensiv mit dem Tod auseinandersetzte („Die Erfindung deiner Anwesenheit“); als habe sich das lyrische Subjekt ins Leben, in die willentliche Wahrnehmung des Diesseits zurückgekämpft:

das was wir sehen ist draußen
auf der eigenen netzhaut, die fängt

(S.14)

Doch dieser erste Eindruck relativiert sich im Laufe des Lesens, das Jenseitige bleibt doch immer allen Erfahrungen immanent:

die toten sind anwesend in uns -
sterblich sternenstaub sind wir

(S.95)

Zeller hat vornehmlich Texte unter dem Eindruck etlicher Reisen versammelt, unter anderen aus Italien, Dänemark, Irland und der französischen Schweiz, wo sie in den letzten Jahren Aufenthalte als Stipendiatin verbrachte.

Es gehört schon Mut (und vor allem eine Menge poetischer Erfahrung) dazu, sich auf das Wagnis einzulassen, im 21. Jahrhundert Venedig-Gedichte zu versuchen, die mehr sein sollen als kunsthandwerklicher Widerhall dichterischer Traditionen. Dessen ist sich die Lyrikerin natürlich bewusst:

alles wurde gesagt über die stadt
was noch fehlt ging unter oder
will nicht aufs papier

(S.38)

Die anfängliche Skepsis, die etwa Zeilen wie

punkte lösen sich auf
wohin geht das licht

wenn es auf das wasser stößt
verebbt in den tiefen

(S.12)

auslösen, verdichtet sich jedoch glücklicherweise nicht, denn Zeller versteht es, sich vom verwirrenden Anblick des Phänomens gibigiana zu lösen, jener unvergleichlichen Lichtbrechung auf Wasser, für welche die Norditaliener sogar eine eigene Vokabel haben. Sie setzt

diese[ ] schreckliche[ ] Stadt

(S.15)

immer wieder in Beziehung zu sich selbst in all ihren Spiegelungen und Widerspiegelungen, die freilich nicht nur optischer Natur sind, benennt die

prise hässlichkeit die antreibt

(S.30)

und sich im vorbeifließenden Plastikmüll der Kanäle manifestiert wie in der konsequenten Reimlosigkeit und der wechselnden Rhythmik selbst jener Gedichte, die sich von ihrem Strophenbau und ihrer antithetischen Struktur her als Sonett-Reminiszenzen erkennen lassen.

Überhaupt spielt Formstrenge und Textgliederung für Zeller offensichtlich eine große Rolle, und das gilt nicht nur für die den Band eröffnenden Venedig-Texte. Die meisten weisen eine, wenn auch oft vom Enjambement geprägte Einteilung in zwei-, drei- und vierzeilige Strophen auf. Sperrige Textblöcke oder übers Papier geisternde zerrissene Zeilen wie in vielen nachmodernen Lyrikbänden finden sich nicht. Zeller bleibt dem Prinzip der (freilich die Grenzen auslotenden) Ordnungen treu. Vereinzelte aktive Lesehilfen („glock · engel · äut“, S.11) bleiben Episode. Hinzu kommt, dass sie mit Neologismen sparsam, aber nicht geizig umgeht. Eine wilde Lust an Worterfindungen ist ihre Sache nicht, doch wo sie dann stehen, entpuppen sie sich als wirkmächtige Solitäre:

und ausschlägt wie die rute
in der hand der wünschegängerin

(S.25)

Ein Komplex, auf den Zeller immer wieder zurückkommt, ist das lyrische Sehen, Sprechen und Schreiben selbst. Im Gedicht „göttInnen – conditio divina“ wird nicht zuletzt auch der Wert des Künstlerischen für die Gesellschaft thematisiert:

wir stürzen in eure bilder, begrenzt und gegängelt
meist männlich wie in den vorstandsetagen

(S.42)

Im Text „blick auf den lac léman“ geht es nur vordergründig um bloßes dichterisches Sich-Einlassen auf die Landschaft. Konsequent verbindet die Lyrikerin die Sinneswahrnehmungen und bearbeitet sie; so entstehen Gedichte, die sich als Aufruf zur Schaffung von Kunst als angemessener Antwort auf die Schöpfung manifestieren:

in dieses bild
kratze ich die tonspur von flugzeug und vogel

(S.46)

heisst es da, und schließlich ein paar Zeilen weiter:

trage es in eine geheime kammer
wo ein destillat alles erklärte
oder glasklar einen moment ermöglichte

(ebd.)

Man mag dagegenhalten, dass diese Sujets schon von zahllosen Autorinnen erschöpfend durchdekliniert worden seien, doch Eva Christina Zeller versteht es eben, ihnen so noch nicht gehörte und gesehene Töne und Bilder abzulauschen. Für das Eintreten der feinen poetischen Grundstimmung, die es zum Dichten nun einmal braucht, findet sie vorsichtig tastende Wendungen, die in respektvolle Zurückhaltung münden:

immer wartest du auf ein anklopfen

auf eine erscheinung
worte zeilen

einen moment lang musst du
nichts verändern

(S.82)

Solche federleichten poetischen Statements sind wahrlich wie auf Wasser geschrieben.

Zwei weitere Themenfelder erschließen sich im Laufe der Lektüre: immer wieder scheinen Reflexionen über den Tod und die Schönheit durch diese Gedichte. So ist der kleine Svendborg-Zyklus, durch ein Stipendium der Dichterin im Brecht-Haus entstanden, voll von Anspielungen auf das Jenseits, ebenso die Erinnerungstexte aus „heim@tland“ mit Zeilen, die „aus dem tübinger totenbuch“ oder „grabbeigabe“ überschrieben sind und sich an ein nicht näher bezeichnetes, verstorbenes „du“ wenden. Auch erscheint die tote Mutter des lyrischen Ichs mehrfach, so etwa in „warten auf die geister“, welches wiederum im Böllhouse in Irland entstanden ist:

die geister brummeln in der fußbodenheizung
[...]
mutter lag heute nacht neben mir
und ich nicht im gräbele, daher rührt meine neigung
zu den rändern der welt, john, der caretaker, sagt:
god bless you zum abschied

(S.59)

Das Ich ringt trotzig um eine Position im Leben, ohne den Verlust wirklich überwinden zu können, eines der Gedichte trägt gar der Distanz nachspürend einen englischen Titel im Kontrast zum heimatlich-schwäbischen Idiom der Mutter:

time to get positive about mortality

hab die sprache verlernt
die meine mutter noch konnte
voller guck und heidanei
machts klai sagte sie am ende
als sie ganz klein war

die libelle die gegen mein fenster fliegt
und einlass fordert

du wunderst dich über die ampel
die nicht müde wird
der baum der nicht müde wird
der november der november bleibt
die schwalben die weggezogen sind
über das vermissen wunderst du dich
es wird auch nicht müde

(S.110)

Ebenso immer wiederkehrend ist die Reflexion über Schönheit, die sich in zahlreichen Reprisen durch alle vier Abteilungen des Gedichtbandes zieht. Zeller spielt mit Zitaten und macht dabei schon fast apodiktische Aussagen:

schönheit ist keine tochter der angst
sondern der vergänglichkeit

(S.35),

pariert sie Goethe und behauptet:

zuviel schönheit ist nicht zuviel

(S.45)

Doch kommt sie gleichwohl nicht umhin, ihre Erkenntnisse mit einem lapidaren

schönheit ist auch nur ein irrtum

(S.123)

zusammenfassen zu müssen. Die Benennung des (wirklichen oder vermeintlichen) Schönen auf dem Weg dorthin geht Eva Christina Zeller wasserleicht von der Hand.

So ist der neue Gedichtband der Autorin wie alle gute Lyrik vor allem eines: ein Band voller mitunter brüchigen Erfahrungen, der immer dort am stärksten ist, wo er Fragen stellt, ohne eine Antwort zu versuchen, die er letztlich nicht geben kann. Von einer erfahrenen Dichterin dürfen wir einen souveränen Umgang mit ihren Sujets, ihrer Formensprache und ihren Wort gewordenen Bildern erwarten. Diesem Anspruch wird Eva Christina Zeller beim „Auf Wasser schreiben“ auf eine zugängliche und zugleich spielerische Weise gerecht.

Eva Christina Zeller
Auf Wasser schreiben
Klöpfer & Meyer
2016 · 112 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-86351-412-9

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