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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Hof mit Sorgen

Über Eva Ruth Wemmes Erzählband Meine 7000 Nachbarn
Hamburg

Eva Ruth Wemme ist Übersetzerin aus dem Rumänischen, und sie hat Texte und Bücher von so namhaften Autoren wie Norman Manea oder Mircea Cartarescu ins Deutsche übertragen. Zugleich arbeitet sie in Berlin seit 2011 als Dolmetscherin für Roma. Während beide Tätigkeiten darin verwandt sind Sprache zu vermitteln, wandelt sich jedoch die Rolle der Vermittlerin selbst, je nachdem, ob sie nun in der Öffentlichkeit bekannte Schriftsteller vorstellt und dabei selbst in den Hintergrund tritt oder Roma begleitet und sich unweigerlich in den Vordergrund gestellt sieht, und zwar von ihren deutschen Gesprächspartnern in Rathäusern oder Banken, die bei ihr bisweilen aufgrund der gemeinsamen Sprache eine Vertrautheit suchen, die sie eher befremdet. Ihr Buch Meine 7000 Nachbarn geht von diesem Zwiespalt aus und schildert in zahlreichen Szenen den Alltag, den sie mit den Roma teilt. Und dieser Alltag ist vor allem durch Armut geprägt, nicht durch Fremdheit, Exotik, Folklore, Wildheit und was sonst nicht alles in Ressentiments oder im bezauberten Überschwang der Kinogänger und Musikfans anklingt, wenn von Roma die Rede ist. Zugleich ist ihr erzählerischer Essay keine Sozialreportage, auch wenn er auf seine nüchterne, tastende Art in bester Nachbarschaft zu entsprechenden Reportagen stehen könnte, etwa zu den Deutschlandberichten von Michael Holzach. Eva Ruth Wemme bietet den Erfahrungsbericht einer Übersetzerin zwischen gleich mehreren Stühlen: zwischen kultureller Öffentlichkeit und sozialer Anonymität, zwischen den Sprachen, denen sie sich beiden verpflichtet fühlt, zwischen eigener Kraft und Überforderung, denn nicht umsonst ist hier von 7000 Nachbarn die Rede. Dabei lässt sie keinen Zweifel, dass dies nicht nur ihre Nachbarn sind, ganz im Gegenteil. Sie versucht mit ihrem Erzählband eine Öffentlichkeit für sie zu gewinnen. Und das jenseits der Rubriken, die dort dafür vorgesehen sind, weshalb ihr persönlicher Ansatz fern der Sozialberichterstattung dafür besonders geeignet erscheint. Sie möchte nicht nur die bevorzugte Stimme für Andere sein, sondern Anderen ihre Stimmen geben, etwa die Stimmen der gebärenden Frauen, denen sie auch im Krankenhaus als Begleiterin  beisteht, die Stimmen in den Familien, ob der Kinder, Mütter und Väter, die Stimmen, die nicht nur singen und um Geld bitten, sondern all die Probleme zu bereden haben, die der uferlose Alltag in ständiger Unwägbarkeit mit sich bringt.

Das literarische Gelingen dieses Anspruchs hängt ganz davon ab, wie und mit welchem Ton dieser Alltag beschrieben wird. Der Ton selbst muss die Menschlichkeit durchklingen lassen, an der der Autorin gelegen ist, und hier zeigt sich sehr deutlich, dass sie selbst eine überaus sichere, eigene Stimme besitzt, die sich aus dem Zwiespalt befreit und nicht länger in Anspruch zu nehmen ist durch Andere, sondern mit genauer Beobachtung, Humor und sprachspielerischer Feinheit die Situationen zu schildern weiß. Nicht nur, wenn sie anekdotische Szenen aus dem Deutschkurs beschreibt und sprachlich selbst variiert, oder wenn sie lakonisch und scharf sich äußert („wir sollen die Perlen von Neukölln sein, die das Romaproblem lösen“); auch wenn sie himmelschreiende Szenen der Nachbarschaft unter Deutschen und Roma zeigt oder selbst einen Wink in Richtung Medienwelt gibt: „»Wirtschaftsflüchtlinge«, müsste die allwissende Stimme in der »Sendung mit der Maus« sagen, »das sind Leute, die mir leid tun, weil sie ihr Land verlassen müssen, ohne dass sie es wollen, weil sie sonst hungern.« Das kann jedes Kind verstehen.“ Genauso aber zeigt Eva Ruth Wemme auch ihre eigenen Grenzen in dieser Gemengelage, wenn etwa das Misstrauen der Roma gegenüber Fremden selbst so groß ist, dass sie trotz der eigenen Not lieber gegen horrende Schwarzmarktpreise untereinander regeln, was wiederum städtische Einrichtungen an Beratung und Hilfestellung mitunter gratis anbieten. Es ist ein Hin und Her der Entfremdung, aus weiten historischen Herkünften, das sie aufzeigt, und das zugleich daran erinnert, dass es diese Entfremdung im Zusammenleben nicht nur auszuhalten gilt, sondern sie der Horizont dafür bleibt, kulturelle Diversität und Armutsbekämpfung gleichermaßen anzustreben.      

Eva Ruth Wemme
Meine 7000 Nachbarn
Mit Abbildungen
Verbrecher Verlag
240 Seiten · 14,00 Euro
ISBN:
9783957320803

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