Romantiker des Finanzwesens
Ein Buch, das vorgibt, Essentielles über das Verhältnis von Poesie und Finanzwirtschaft mittteilen zu wollen, darf sicherlich größere Aufmerksamkeit erwarten. Ist das eine doch der bestimmende wirtschaftliche Akteur der vergangenen Jahre (wenn man hier von einem Akteur sprechen will) und scheint die Poesie doch – wenigstens was ihre Wahrnehmung angeht – kurz vor dem Verschwinden zu stehen. Umso enttäuschender muss die Lektüre dann sein, wenn sich herausstellt, dass Berardi, den der Verlag als „postoperaistischer Cyberpunk“ präsentiert, in „Der Aufstand“ zwar vollmundig zu formulieren versteht, aber vor allem von den guten alten Zeiten schwatzt, in denen alles noch besser war, klare Verhältnisse existierten und sogar die guten alten Ausbeuterkapitalisten quasi bodenständig waren. Heilige Einfalt und welch ein intellektueller Fortschritt! Kurz, von der Aufgabe der Poesie ist wenig zu lesen, die Grundthese ist von erschreckender Banalität und die Ansichten vom Finanzkapitalismus sind offenherzige Klischees.
Aber fangen wir von vorne an: Berardis denkwürdige These ist, dass die Ursache für die Missstände der gegenwärtigen Welt die Ablösung der Finanzwirtschaft von der Industrieproduktion ist. Die Basis dafür liege zum einen darin, dass die feste Beziehung zwischen aufgewendeter durchschnittlicher Arbeit für ein bestimmtes Produkt und dessen Wert durch die Dynamisierung und Beschleunigung der Produktion aufgehoben worden sei. Der entscheidende Schritt dafür sei Nixons Ankündigung gewesen, den Gold-Standard als Basis für den Dollar aufzugeben. Damit sei die enge Bindung des Geldes an die Realität aufgehoben worden. Es sei zum reinen Symbol geworden, das seinen Wert nicht mehr aus externen, sondern nur noch aus symbolischen Beziehungen generiere.
Zum anderen sei das Verhältnis zwischen Sprache und der Wahrheit zerbrochen. Signifikant und Signfikat seien entkoppelt. Sprache, Arbeit, Profit, Gesellschaft – all das sei seiner Körperlichkeit enthoben und in einen sich selbst reproduzierenden, sich permanent wiederholenden und dabei steigernden rekursiven Prozess eingespeist worden. Der Finanzkapitalismus beziehe seine Macht nicht mehr aus der Territorialität von Maschinen, Gebäuden, Produktionen und Produkten, sondern aus den Manipulationen von Werten und deterritorialisierten Aktivitäten. Seine Akteure seien unsichtbar, seine Aktivitäten abstrakt und damit irreal (ohne dass seine Auswirkungen auf die Realität damit verschwänden, denn die seien fatal).
Keine Wahrheit, keine Wirklichkeit, keine Körper, kein Ort also nirgends. Stattdessen habe der Kapitalismus, insbesondere der Finanzkapitalismus die „Einbettung techno-linguistischer Automatismen in den gesellschaftlichen Körper“ vorangetrieben, deren Ziel die Fraktalisierung des Sozialen, die Enteignung der Subjekte und eine unendliche Profitmaximierung sei.
Das Mittel gegen diesen Prozess der Derealisierung sei nicht der politische Kampf. Die Aufstände der vergangenen Jahre seien zwar der (beinahe hilflose) Ausdruck dafür, dass der Derealisierungsprozess stetig weiter voranschreite. Die Proteste fundierten, so Berardi, aber eben nicht auf der gemeinsamen Erfahrung und Solidarität der Arbeiter (gerade die würden eben im historischen Prozess basal aufgehoben), sondern auf der Hilflosigkeit der voneinander isolierten Subjekte. Kein Wunder also, dass sie gewalttätig, rassistisch, nationalistisch und chauvinistisch unterfüttert seien. Sie seien eben lediglich Ausdruck eines allgemeinen Unwohlseins, dass irgendein Ventil suche. Und sei es der Antiislamismus von Pegida (die allerdings bei Berardi noch nicht vorkommt).
Stattdessen also die Poesie, die in dem 180 Seiten langen Essay immer wieder auftaucht, um schließlich dann doch so etwas wie eine Bestimmung zu finden. Was also ist die Poesie? Überschuss und Überschwang der Sprache sei sie, bemerkt Berardi. Sie öffne der „Singularität die Türen der Wahrnehmung“, und nur sie sei in der Lage „der Matrix zu entkommen und eine eigene, soziale Sphäre der singulären Vibrationen ganz neu zu erfinden“, womit wir dann – unter der Hand – beim allgemeinen Om sind.
Die Aufgaben der poetisch aufgeladenen Sprache sind – wie Berardi mit Verweis auf Saussure bemerkt – dabei gewaltig: „Allein ein Akt der Sprache, der den technischen Automatismen des Finanzkapitalismus entkommt, wird es möglich machen, dass sich eine neue Form des Lebens entwickelt. / Allein die Wiederbelebung des Körpers des general intellect – der organischen, existenziellen, historischen Endlichkeit, die die Potenz des general intellect verkörpert – wird neue Unendlichkeiten imaginieren können.“ Nun denn los, liebe Poetiker, es lastet nichts weniger als die Rettung der Welt auf Euch. Ironisch darf man dabei im Übrigen sein, aber eben nicht zynisch, wie Berardi mit Verweis auf – ja, wen wohl – Peter Sloterdijk bemerkt.
Nun mag die Aufwertung einer ein wenig schwammigen, besser noch vibrierenden, poetischen, überschießenden Sprache ein sympathisches Unterfangen sein. Mit seiner Grundthese entpuppt sich der vorgebliche Cyberpunk Berardi jedoch als naiver Realist, der nicht etwa zu Verhältnissen zurückwill, die so nicht mehr zu haben sind, sondern die so überhaupt noch nie existiert haben.
Denn bereits Marx‘ Fokussierung auf die Arbeit, auf die sich Berardi bezieht, ist neben anderem auch Ausdruck der Auflösung einer Fixierung des Werts eines Produkts (und mithin eine intellektuelle, symbolisch Aktion), soviel Materialismus muss sein. Und weshalb der Goldstandard einer Währung weniger imaginär ist als deren Beziehung zum Bruttosozialprodukt oder zu anderen Währungen, bliebe zu fragen. Selbst die bemängelte Auflösung zwischen Zeichen und Bezeichnetem hat bemerkenswerter Weise mit der Referenz, auf die sich Wort und Bedeutung beziehen, wenig zu tun. Mithin, es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz Berardi die Einsicht verweigert – und das obwohl er seinen Wittgenstein kennt –, dass die Grenzen unserer Welt durch die Grenzen unserer Sprache bestimmt werden, dass wir also, gleichwohl wir bedingungslos in einer materiellen Realität existieren (wie wir annehmen), über sie selbst nichts aussagen können, sondern bedingungslos im System der Zeichen verharren. Das hat pragmatisch gesehen kaum Auswirkungen, außer dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass wir uns immer auch darüber verständigen, wie wir was wahrnehmen. Für die Diskussion etwa der zweifelsfrei verhängnisvollen Auswirkungen jedenfalls, die Aktivitäten international agierender Institutionen des Finanzkapitals haben können und haben, ist das irrelevant.
Irrelevant ist jedoch nicht, wenn Berardi statt politische Aktionen (denen er gleich jede Vergeblichkeit zuschreibt) lieber ein poetisches Mantra, die Verweigerung, die Entdeckung der Langsamkeit, die Gründung von Dorfgemeinschaften, eine konkrete, ja körperliche Solidarität und die Poetisierung der Sprache vorschlägt. Ganz nebenbei verlangt Berardi aber auch eine Reichensteuer, dass der Staat doch bitte einfach die Gelddruckmaschine anwerfe und sieht als Generalaktion den Schuldenboykott. Soll es also doch der Staat richten?
Dass ein Aktivist der 68er politisch frustriert ist, mag man verstehen und hinnehmen. Er hat in den vergangenen vierzig Jahren viele Ideen kommen und gehen sehen. Aber derartige intellektuelle Banalitäten durchs Dorf zu treiben, geht doch ein bisschen weit, das ist – mit anderen Worten – nichts anderes als zynisch.
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