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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Im Alter herrscht nicht nur Steinschlaggefahr

Hamburg

Im März dieses Jahres ist Franz Hohler 74 Jahre alt geworden und auf seiner bewusst schmucklos gestalteten Homepage kann man die unglaubliche Vielfalt dieses Schweizer Autors sehen, der nicht nur Theaterstücke, Drehbücher Politsatiren, Erzählungen, Gedichte, Romane und nicht zuletzt viele Kinderbücher geschrieben hat, sondern auch seit Jahrzehnten erfolgreich auf Kabarettbühnen unterwegs ist. Ebenfalls lang ist die Liste seiner Auszeichnungen und Preise.

Hat man sich auf seiner Homepage durch diese vielen Seiten geklickt, macht Franz Hohler seinem Namen als Kabarettist alle Ehre, denn man findet folgende Sätze:

Mir ist aufgefallen, dass auf den Künstlerhomepages immer nur die besten Besprechungen oder Auszüge daraus zu lesen sind. Es scheint sozusagen auf allen Seiten nur die Sonne. Ich möchte Sie deshalb mit den Schattenseiten des Künstlerlebens vertraut machen und habe versucht zu jedem meiner Werke die schlechteste Kritik zu stellen.

Da er es dann doch nicht dabei belassen möchte, fügt er die Laudatio von Hans-Ulrich Probst und seine eigene Ansprache zum Solothurner Literaturpreis 2013 an und diese beginnt mit dem Gedicht Alt?, das er in genau diesem Jahr zu seinem siebzigsten Geburtstag geschrieben hat.

Und damit komme ich zu dem vorliegenden Gedichtband, denn dieses Gedicht Alt?, ist nicht nur der Titel des Buches, sondern auch dessen erstes Gedicht. Es beginnt folgendermaßen:

Täuschst du dich
oder zittert manchmal
die Hand ein bisschen
wenn du den Suppenlöffel hältst?

In den folgenden siebzehn Strophen tauchen dann lauter Situationen auf, die vor ein paar Jahren so noch nicht eingetreten wären. Die Prüfung für die Verlängerung des Führerscheins, die Einladung zur Seniorenweihnacht oder zum Tanztee, die Vergesslichkeit und

ein Ausdruck von Mitleid
im Blick des jungen Verkäufers
der dir erklärt
dein Mobiltelefon
sei nicht zu reparieren?

Diesen Betrachtungen nähert Hohler sich vorsichtig an, versieht jede Strophe mit einem Fragezeichen, als sei er sich unsicher, ob das alles wirklich ihm (oder seinem lyrischen Ich) gelte.

Schließlich gibt die letzte Strophe den Tenor auch für die folgenden Gedichte vor:

Warum aber
trifft dich der Blick deiner Enkelin
mitten ins Herz
und lädt dich auf
mit Zuversicht
Zukunft
und Lebenssehnsucht?

Es gibt mehrere Gedichte, die sich mit Alter und Tod beschäftigen. So stellt Hohler in dem Gedicht Achtung! lakonisch fest, man müsse wegen Steinschlaggefahr den Helm aufsetzten, wenn man das Alter betrete.

Der Tod scheint stets überraschend zu kommen. Wie in dem schönen Gedicht Ciao, maestro über seinen Schuhmacher, an dessen Tür ein Schild hängt, dass das Geschäft wegen Todesfalls für immer geschlossen bleibe.

Minutenlang stehe ich da
mit den ungesohlten Schuhen
in meiner Plastiktasche
verständnislos
als sei mir soeben zum ersten Mal
mitgeteilt worden
dass nach dem Leben
irgendeinmal
der Tod kommt.

An keiner Stelle wird Hohler sentimental. Er beobachtet, stellt fest und schreibt seine Gedichte in nüchterner, ins Prosaische gehende Sprache. In einem Interview hat er einmal über das Geheimnis seines Schreibens gesagt, er würde das Vertraute nicht als vertraut ansehen und sich über das Normale wundern.

Daher geht es in den Gedichten nicht nur ums Altwerden, sondern sie können beispielsweise auch von einem Kulturkonzept handeln, in dem die Tageschau zwischen Kriege, Konferenzen, Hungersnöte Kinderzeichnungen einfügen sollte. Oder er macht sich über die Sprache lustig, die mit einer Erbschaft zusammenhängt.

Erstversterben
Pflichtteilschutz
Erblasser
Miterben
Vorempfänge

Hier und auch in anderen Gedichten bestehen die Zeilen aus einem einzelnen Wort, sie stehen für sich, klingen nach. Was sollte auch nach inventuramtlich noch kommen? Es gibt aber auch lustige Texte, Wortspiele in verschiedenen Sprachen wie in Frühfranzösisch:

nom de bleu
de pipe de pape
de crache de vache
de coucou de caca
de pipi de papa
de plouf e de plaf
de zic e de zac e de zouc!

Wunderbar ironisch ist das Gedicht Feldenkrais-Übung, das dem Thema entsprechend beginnt.

Gaanz
langsam
einen
Fuß
vor
den
anderen
setzen

um bald sprachlich zu verdeutlichen, dass der Sprecher von dem Ganzen nur genervt ist:

gehtdenndie -
blödeübungendlichzuendeichkanndochimernstnichtwieeine
schneckewas?erstmittedeszimmers?derfeldenkraisollmich-
dochmalichmussinsgeschäft -

Obwohl sich die Gedichte über Alter und Tod durch den gesamten Band ziehen, behalten sie letztlich nicht die Oberhand, sondern Franz Hohler setzt ihnen andere Themen entgegen. Poetisch in konkreten Bildern in dem Gedicht Osterglocken, die an den unwirtlichsten Stellen blühen.

Vielleicht ist in dem Gedicht iPhone Franz Hohlers Einstellung am besten zusammengefasst:

Wenn er plötzlich
erscheint
auf dem kleinen Bildschirm
in deiner linken Hand
und dich anschaut
der Tod
wisch ihn weg
mit dem Finger
und wähle das App
Leben.

Franz Hohler
Alt? · Gedichte
Luchterhand Literaturverlag
2017 · 96 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-630-87544-6

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