Für Ohren, Augen und das dazwischen
Es gibt da diesen Plattenladen namens Hanseplatte im Hamburger Karoviertel, gegenüber vom ehemaligen Schlachthof, der wie alles in der Gegend schon vor Jahren veganisiert wurde und jetzt Knust heißt. Wie das Endstück von glutfreiem Brot. Jedenfalls, dieser Plattenladen: Er ist nicht sehr groß, dafür aber gut sortiert. Nicht ganz billig, aber allemal den Elektronikgroßhändlern vorzuziehen. Aus Integritäts- und Sympathiegründen, Einzelhandel stärken und so. Er verkauft viel Klamotten und anderen Krimskrams, im Grunde aber gehört das eben zur Musik wie die dazugehörige Szene zur Musik gehört. Insbesondere in Hamburg. So, wie auch die Newsletter der Hanseplatte zum Laden an sich gehören. Geschrieben werden diese mehr oder wenigen wöchentlichen Rundschreiben von einem ominösen Hans E. Platte, dessen Name zu schön klingt, um wahr zu sein. In Wahrheit handelt es sich um den Dauerkreativling Gereon Klug, dem wir unter anderem Deichkinds Überhit »Leider Geil« zu verdanken haben. Ein Stück Musik, dessen Titel (leider) Recht behält.
Hanseplatte, Hamburg
In seinen Newslettern schreibt Klug – dessen Namen im Grunde auch zu schön klingt, um wahr zu sein – manchmal wenig, ab und an sogar überhaupt nichts zu der Musik beziehungsweise »den Musiken«, die er damit verkaufen soll oder will. Damit ist er in der Musikindustrie keineswegs allein, auch in den Donner tönenden Depeschen des Konzertagenten Berthold Seliger beispielsweise laufen die Neuigkeiten in eigenem Interesse unter ferner liefen. Anders als der Kulturapokalyptiker Seliger jedoch übt sich Klug nicht an Appellen und Analysen, sondern hanseatisch angehauchten Hirnrissigkeiten. »Gedanklich unterfordert werden sie woanders«, formuliert er seinen eigenen Claim und meint eigentlich: Bitte nehmt uns bloß nicht allzu ernst. Sondern lieber viele Platten ab. Selbst der Subtext suhlt sich hier in Understatement.
Elvis‘ Kochrezepte, Kommentare zum Dschungelcamp oder hellsichtige Meta-Analysen zum Thema Hanseplatten-Newsletter – ein System gibt es in Klugs Texten nicht, dafür aber eine Attitüde, die sich mit keiner 180g-Erstpressung auf marmoriertem Vinyl aufwiegen lässt. Als Briefe gegen den Mainstream untertitelt sich das von Haffmans & Tolkemitt herausgegebene Kompendium der besten, wenn nicht gar zeitlosesten oder zumindest am leichtesten im Postausgangsordner auffindbaren Newsletter, das Klug Low Fidelity nennt. Warum die mangelnde Treue? Vielleicht, weil allein die Auswahl der den Newsletter-Texten beigegebenen Waschzettel zu diversen Ausgaben der Pudel Produkte-Serie lieber täuschte als informierte: Die Begleitschreiben des zum Golden Pudel-Club gehörenden Labels waren, wenn sie sich denn überhaupt zur Musik ausließen, gerne voller Falschinformationen. »Erst mal Vertrauen aufbauen und dann en passant in den renditeträchtigen Teil übergleiten«, wie Klug selbst unter dem Decknamen Hans E. Platte schreibt. Eine Lektion, die er am wenigsten und damit am meisten beherzigt hat. Ebenso wie die hier: »Da muss ein Knallereinstieg her, damit die Herde weiterliest, die sind doch so stumpf. « Von oben herab schreibt Klug nämlich nicht. Sondern auf Augenhöhe, nur eben durch Zerrglas gespiegelt.
Denn warum gegen den Mainstream? Weil Klugs semantische Possenspiele dem Strom höchstens voran, nicht aber darin schwimmen. Siehe die Mail vom 5. Mai 2011: »Supersonntag heute. Superwetter, Superpeoples, Supermeetings. Dazu noch zwei Superdinger heute entdeckt, die Superlaune machen: Der Superkünstler Jonathan Meese macht jetzt Werbung für die Superdreckszeitung BILD. Supermove, Du Nutterich!«, textet der selbsternannte »Künder des Kommenden« superhellsichtig drei Jahre bevor sich eine Supermarktkette mit Friedrich Lichtenstein einen künstlich-künstlerischen Supermover vor den Karren spannt, der sein »supergeil« in die Welt skandiert. Klug aber lässt sich nicht als Zugpferd missbrauchen. Er verkauft zwar liebend gerne, am liebsten sogar selbst, aber bitte doch nicht sich selbst. Das gelingt ihm auch mal so gut, dass ihm der Aprilscherz vom drohenden Umzug nach Berlin sackweise abgekauft wird – unter anderem von der Presse. Superdumm gelaufen, leider geil gemacht.
Parallel zum Buch Low Fidelity, das von Stephanie F. Scholz die angemessen schnoddrig-schönen Illustrationen verpasst bekommen hat, muss selbstverständlich eine Platte, also so eine richtige Hanseplatte, erscheinen. Klug hat 19 Tracks kompiliert und das mit dem Plattenladen immer schon eng verbundene Label Staatsakt hat sie auf Vinyl und dem Nostalgie-Format der nahen Zukunft, also der CD, veröffentlicht.
Altgediente Herrschaften wie Die Sterne, Jens Rachut und Heinz Strunk geben sich mit Nimmermüden wie Felix Kubin, Rocko Schamoni oder Adolf Noise (alias DJ Koze von Fischmob und International Pony) die Klinke in die Hand und Newcomer Lambert verpasst Tocotronics »Ich bin viel zu lang gegangen« ein hantologisches Piano-Rework. Deichkind? Gehen natürlich auch »Fresh nach vorne«. Selbst die bereits verstorbenen Almut Klotz und Nils Koppruch – als ein Teil des Duos Kid Kopphausen – sind mit unveröffentlichten Tracks zu hören. Hanseatischer Humor trifft gerade Takte und schrammelige Gitarren, von Electroclash über Funk bis Dada-Gaga-Beiträge ist alles dabei. Sexy wie ein dummer Witz nach dem sechsten Bier, vor allem aber lustig, melancholisch, wort- und klangtrunken wie Klugs kluge Newsletter selbst.
Ob nun eine leider geile Compilation oder ein paar e-Mails, die er als Buch hat drucken lassen: Gereon Klug könnte eh alles verkaufen. Und wir »Sklaven der eigenen Lenden« werden ihm gerne alles abnehmen – jede quergefeuerte Metapher, jede noch so obskure Platte. Da braucht es nicht mal einen »SPIEGEL Besteller«-Sticker auf dem Cover. Selbst wenn aus Low Fidelity nicht mal ein SPIEGEL Bestseller werden sollte, dieses Buch mit Musikanhang bietet genug »für Ohren, Augen und das dazwischen! « Was ja eh schon immer wichtigerer war.
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