Genie und Geld
Zwei Freunde gehen auf Ochsentour. Der eine ist ein verschrobener, genialer Dichter. Er schwingt auf Bücherstapeln Reden im Bademantel, wälzt sich in spontanen Performances vor den Augen eines pikierten Spießerpublikums auf dem Boden und bringt mit nur wenigen Zeilen einen ganzen Raum dem Orgasmus nahe. Sein Lyrikband verkauft sich gut und er wird zum Stadtgespräch, wohin es auch immer geht. Natürlich aber dreht er durch.
Ihm zur Seite steht sein bester Freund seit Jugendtagen. Ein notorischer Schwerenöter, der kuhäugig jedes Wort seines Kompagnons Erik aufsaugt und sich über alles, aber wirklich alles Gedanken macht. Er fungiert als Babysitter, der sich für wenig Geld um Hotelreservierungen, Eriks Lesehonorare, der Vermittlung mit Eriks Verleger und um dessen seelisches wie körperliches Wohlbefinden kümmert. Natürlich aber geht das schief.
Denn die beiden haben eine Geschichte, die sie zum Scheitern verdammt. Da war Eva, Eriks damalige Freundin. Mit ihr hatte der namenlose Erzähler Sex, vor gut einem Jahr. Das steht zwischen den beiden ansonsten unzertrennlichen, von einer Art telepathischen Bindung zusammen geschweißten Freunden. Eva stößt bald wieder zu den beiden. Schwanger, von einem anderen Mann. Was sie nicht davon abhält, beiden wieder Hoffnung einzuimpfen und sich doch nicht entscheiden zu können. Die alte Leier entspinnt sich: Liebe belastet Freundschaft. Und dann kommt auch noch Geld dazu.
Denn Erik etabliert sich als Marke, die sich gut verkaufen lässt. Weniger mit seinen Texten denn viel eher mit seiner Exaltiertheit. Ein kauziger Ausgeflippter, der sich von einer absurden Situation in die nächste manövriert und sein ganzes Umfeld mitreißt. Die Tageszeitungen und bald auch das Fernsehen sind voll von ihm, alle gieren nach dieser absonderlichen Kunstfigur, die jedes Klischee herzlich gerne zu erfüllen scheint. Da hilft der Umzug ebenso wenig wie das freundschaftliche Netz, das durch den zurückhaltenden Künstler Bela erweitert wird. Denn alle werden in einem noch viel größeren Netz verwickelt. Gesponnen hat es Eriks Verleger mithilfe einiger anderer Menschen, um möglichst viel Profit aus dem Vorzeigechaoten schlagen zu können.
Kunststoff hätte das Potenzial für eine bissige Satire auf verträumte Ewiggestrige, die von der bitteren Wahrheit des von kommerziellen Interessen geleiteten Literaturbetriebs eingeholt werden. Anstatt sein Personal aber nach allen Regeln der Kunst vorzuführen, bemüht sich Gerrit Jöns-Anders um Empathie. Die Klischees, die bedient werden, sie stehen nicht auf dem Prüfstand, sie kommen vielmehr Idealen gleich.
Erik wird als tragischer, unverstandener Held inszeniert, dessen Genie vom bösen Geld gefährdet wird, das schwulstige Pathos des Erzählers ist nur unfreiwillig komisch und die charakterlose Projektionsfläche Eva wird in den Mantel von unvergleichbarer Schönheit und endlose Güte gehüllt. Die Dialoge sind leblos und unglaubwürdig, Bauer wie Dichter reden in derselben Sprache über dieselben, tiefsinnigen Dinge. Liebe, Tod, keines der großen Themen kommt zu kurz – etwas Essentielles wird über all das Palaver jedoch nicht gesagt. Selbst das mit der telepathischen Verbindung zwischen den beiden Freunden entpuppt sich nicht als Witz. Erik liest tatsächlich die Gedanken seines Begleiters und lässt sie in seine Lyrik einfließen. Na dann.
Diese Ernsthaftigkeit, mit der Jöns-Anders dem Ideal einer alternativen Hochkultur im Sinne der hier und dort immer wieder anzitierten Beatniks nachjagt, lässt Kunststoff altbacken, sogar etwas naiv wirken. Die Linien zwischen Kunst und Kommerz sind streng gezogen, Weiß und Schwarz sorgfältig getrennt. Die Feindbilder sind generisch. Wie zum Beispiel der Geschäftspartner des Verlegers, ein Frankfurter Schnösel mit Bodyguards und Blondinchen zur Seite. Jemand, der mit Geld um sich schmeißt und den es nicht juckt, ein paar Beschäftigte weg zu rationalisieren, wenn es die Lage erfordert. Fehlt nur noch der Koksnebel um die Nasenlöcher und die plumpe Karikatur wäre perfekt.
Und der Plot? Den bringt der Erzähler selbst in seiner Essenz auf den Punkt, als er gebeten wird, über die Irrungen und Wirrungen von Eriks Lesereihe Tagebuch zu führen: »Es passiert ja nichts weiter; zwei Typen, die herumreisen und mehr oder weniger immer besorgt sind. « Ein kleiner, selbsteinsichtiger Lichtblick in einem Roman, der sich darum bemüht, mehr zu sein. Der versucht, eine Eskalation aufzubauen, die immer wieder mit unheilschwangeren Nebensätzen angekündigt wird und deshalb kaum überrascht. Rote Heringe finden sich keine, jede Nebenfigur hat, ganz anders als die nöligen Reflexionen des Erzählers über seine Angebetete und den vom besten zum schlechten Kumpel avancierten Erik, ihre Funktion. Kunststoff übt sich narrativ wie inhaltlich kaum in Subtilitäten.
Das ist allein deswegen schade, weil eine ernsthaft-parodistische Abrechnung mit dem Literaturbetrieb durchaus gelegen käme: Wenn sich gerade etwas mit Deutlichkeit abzeichnet, dann doch die Überholtheit der konservativen Strukturen und ihren Vertretern, die sich gegenüber veränderten Grundbedingungen in Larmoyanz übt und das Geschäft vor die Kunst stellen. Was, im Übrigen, allerdings nichts Neues ist. Selbst die Beatniks wurden verhökert. Manche von ihnen mischten sogar eifrig beim Verkauf mit.
Indem Jöns-Anders seine Kritik jedoch mit verkitscht-nostalgischem Pathos übergießt, nimmt er ihr selbst die Spitze. Da hilft es dann wenig, dass Kunststoff locker erzählt ist und der TV-Redakteur die verschiedenen Fäden gekonnt zusammen laufen lässt. Es fehlt ihm nicht nur an Differenziertheit, sondern auch schlicht und ergreifend an der Bissigkeit, die Eriks Dichten angeblich ausmacht. Die Kritik am bösen Geld zumindest ist an Abgeschmacktheit kaum zu überbieten. Im Grunde ist sie nicht weniger verstockt als die Reaktionen all jener, die mit den Worten des vom bösen Geld gefährdeten Genies nichts anzufangen wissen.
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