Ladies first
Dass das Heimatland des von ihm hochgeschätzten William Shakespeare ausgerechnet „jene Insel der Verdammnis“ sein musste, hat Heinrich Heine wohl zähneknirschend akzeptieren müssen. In seinen „Englischen Fragmenten“ weiß er zu berichten, dass in England die zwei „Tendenzen, die frivole und die puritanische, in ihrer widerwärtigsten Blüte“ sind. Aber man macht es sich zu leicht, Heine als erklärten Anglophoben abzustempeln. Denn in seinem wenig bekannten Werk „Shakespeares Mädchen und Frauen“ zeigt er sich durchaus begeistert vom sinnesfreudigen „Merry England“ des Elisabethanischen Zeitalters.
Pünktlich zum 450. Geburtstag des „Barden von Avon“ wurde das Buch nun von Hoffmann und Campe in einer bibliophilen Ausgabe mit rotem Leineneinband neu aufgelegt. Der Literaturwissenschaftler und Heine-Biograf Jan-Christoph Hauschild skizziert im Nachwort die Rezeptions- und Editionsgeschichte und liefert Einblicke in den Entstehungsprozess. Hier erfährt der Leser zum Beispiel, dass es sich bei den 45 Frauenporträts, deren Begleittexte Heine in Buchform vorlegte, um Stahlgravuren der 1836 von Charles Heath herausgegebenen „Shakespeare Gallery“ handelt. Und dass dem passionierten Theatergänger Heine diese Auftragsarbeit ob eines finanziellen Engpasses sehr gelegen kam.
Heine führt seine Leser als selbsternannter „Pförtner“ durch eine virtuelle Porträtgalerie von Cressida über Ophelia bis Catharina. Mit den oft nur nachlässigen Charakterisierungen bedient er gängige Rollenklischees: Heine, ein Kind seiner Zeit, fügt den damaligen Geschlechterdiskursen nichts wesentlich Neues hinzu. Indes schimmert seine Vorliebe für Frauen mit Ecken und Kanten durch. „Und nach jeder Schändlichkeit“, schreibt Heine in seinem schillernden Cleopatra-Porträt, „welche die alte Nilschlange gegen den römischen Wolf ausübte, und nach jeder Schimpfrede, die dieser darüber losheulte, züngeln sie beide mit einander um so zärtlicher“. Cleopatras „sinnlich wilder, schwefelgelber Witz“ beeindruckt den deutschen Dichter offensichtlich mehr als die harmlos-biedere Lady Percy aus Henry IV., der er nur wenige Zeilen widmet. Nicht immer galant und gewiss nicht immer ernsthaft kommentiert er Charakter und Proportionen der Damen. Doch stellenweise deutet Heine zumindest an, dass Frauen jenseits ihrer Rolle als love interest auf der Bühne ihren berechtigten Platz haben. Weibliche Figuren können Katalysatorinnen, Herrscherinnen, Intrigantinnen sein. Und Närrinnen oder Bösewichte.
Heines Vorhaben, die Bildnisse lediglich „mit einigen Wortarabesken verzieren“ zu wollen, ist gleich zum Scheitern verurteilt, wie er selbst zugibt. Nicht selten verliert er nur wenige Worte über die Porträtierte selbst, um sich kritischen „Exkursen“ zu den Themen zu widmen, die ihm unter dem Nagel brennen. Wie beiläufig streift er den Hundertjährigen Krieg und attackiert mit spitzer Feder den Puritanismus. Häufig plaudert er aus den Nähkästchen, berichtet zum Beispiel von denkwürdigen, weil todlangweiligen Shakespeare-Inszenierungen in Berlin. Im Constanze-Kommentar bringt er gar eine philosophische Mäusefabel unter. Herzstück seiner Gesellschaftskritik ist aber sein Kapitel über Jessika, die Tochter des Shylock. Der jung zum Christentum konvertierte Heine ist seinen jüdischen Wurzeln wieder nah, wenn er über den Antisemitismus seiner Epoche schreibt, man „schlägt die Juden nicht mehr auf einmal tot, (…) der traditionelle Groll kleidet sich in modernen Redensarten“. Heine hat nicht wissen können, dass seine Worte fast 200 Jahre später auf eine Weise noch immer erschreckend aktuell sind.
Ironie des Schicksals: Heine selbst bleibt zeit seines Lebens als Bühnendichter erfolglos. Das stellt sich in den 1820ern heraus, als er sich bereits als Essayist und Lyriker profiliert hatte. Vielleicht bewahrt ihn gerade dies davor, bei der Beurteilung der Stücke anderer in überdimensionierten Zynismus zu verfallen. In „Shakespeares Mädchen und Frauen“, das 1838, also gut 15 Jahre nach der Publikation seiner Tragödien erschien, ist jedenfalls von neidvoller Häme nichts zu spüren. Von seinem Handwerk als Bühnenkritiker zeugen die zwei gehaltvollen, aber allgemeinverständlichen Essays über die Shakespeare-Rezeption in England, Deutschland und Frankreich, die den beschreibenden Textteil umrahmen. Indessen sind nicht alle Stahlstiche mit eigenen Kommentaren versehen worden; die Protagonistinnen der Komödien im zweiten Teil werden lediglich durch kurze Werkzitate porträtiert. Man hätte sich noch mehr Kostproben seiner satirischen Schreibkunst gewünscht, denn der streitbare Heine konnte auch hinreißend komisch sein. Im ersten Teil mit dem Titel „Tragödien“ finden sich Bildbeschreibungen der skurrilen Art. Die ihm unsympathische Königin Margaretha aus dem Stück „Heinrich VI“ ist nur eine von vielen, die seiner spitzen Feder zum Opfer fallen. Hätte man „ihr Bildnis mit noch weiter geöffneten Lippen dargestellt, so würden wir bemerken, daß sie spitzige Zähne hat, wie ein Raubtier.“
Ein wenig enttäuschend ist zwar, dass der Titel nicht ganz hält, was er verspricht. Die Porträtierung von Shakespeare’schen Frauengestalten leidet unter den vielen Abschweifungen in politisches und historisches Terrain. Unbedingt lesenswert ist „Shakespeares Mädchen und Frauen“ doch auch gerade wegen Heines spitzfindiger Zeitkritik, den süffisanten Kommentaren und seines frischen Zugangs zu den Klassikern der Bühnenliteratur. Shakespeare wurde von Heine zwar verehrt, doch nie vergöttert. Es macht den „letzten Fabelkönig der Romantik“ sympathisch, dieses vielleicht ungewollte Zurschaustellen, dass ihm nichts heilig ist: weder die Meinung zeitgenössischer Feuilletonisten und Literaturkritiker, noch die Konventionen der Literatur. Die Struktur des Werks lässt sich bestenfalls als unorthodox bezeichnen; Heines Stil ist lapidar, unverschämt subjektiv und unakademisch. Wer sich an all dem nicht stört, der wird bei dieser Lektüre zweifellos auf seine Kosten kommen.
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