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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Liebe ist das, was das Wort Liebe bezeichnet.

Heinz Helle erschreckt mit seinem kalten Debütroman
Hamburg

„Ich lese einen Text über widerspruchsfrei vorstellbare Wesen, die physikalisch mit uns vollkommen baugleich sind und in ihrem Verhalten von uns ununterscheidbar, aber erfüllt von einer vollständigen inneren Dunkelheit, Menschen ohne jedes Erleben, Zombies, und ich stelle mir vor, wie sie das kochende Wasser in ein dickwandiges Glas über die Ingwerstückchen gießt, und der angenehm beißende Dampf steigt ihr in die Nase, und sie wartet, bis das Glas voll ist, stellt den Wasserkocher ab, und erst dann macht sie hmmm.“

Der Mann liest viel, denkt viel und stellt sich viel vor. Er ist Philosoph und jetzt „visiting scholar“ an der City University of New York, wo er sich Gedanken machen soll: „Ich habe die Aufgabe, Lösungen für Probleme  zu finden. (…) Vor mir steht ein Computer. Neben mir sitzen Menschen, vor denen ebenfalls Computer stehen. Ab und zu schreiben wir, ab und zu lesen wir, dann schreiben wir wieder, wir sprechen nicht.“ Irgendwann soll er einen Vortrag halten, über das Problem des Bewusstseins. Und deswegen liest er und macht sich Gedanken, über ein „Hirn im Tank“, dem vorgespiegelt wird, es sei ein Mensch, und also nicht wissen kann, dass es nur ein Gehirn ist.

Und dann ist da noch seine Freundin, die in Deutschland geblieben ist und ihn einmal besucht. Sie besichtigen die Stadt, aber der namenlose Ich-Erzähler ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, so sehr in seinem Kopf und bei seinen Beobachtungen, dass er mit ihr überhaupt nicht mehr reden kann. Heraus kommt nur: „Schau mal die Wolken“, oder: „Schau mal die Kinder.“ Und er denkt und denkt und beobachtet sich und reflektiert: Sie „hält mich eng umschlungen, und ich umarme sie also auch, weiter oben, ich bin größer, und ich versuche, darauf zu achten, dass ich fest genug drücke, um Liebe zu vermitteln, aber nicht so fest, dass sie sich eingeengt fühlt. Als Antwort drückt sie noch fester zu als zuvor. Ich fühle mich eingeengt.“ Und sagt er es ihr? „Gehen wir zum Hafen, sage ich. Ja, sagt sie.“

Es ist ein gruseliges Buch über einen Menschen, der ganz und gar in seinem Kopf ist. Der nicht lebt. Ein seelenloser, gefühlloser, im Grunde hoffnungslos resignierter Mensch – nur weiß er das nicht, merkt und spürt es nicht. Kalt es zu in diesem Roman, selbst wenn er von der Liebe erzählt. Von Annäherungen an Frauen, bei denen der Ich-Erzähler bedauert, dass er sie nicht geküsst hat: „Unsere Hände berühren sich nicht, wir kennen uns zwar schon lange, aber nicht auf die erforderliche Art und Weise.“ Und Liebe? Was ist Liebe? „Ich denke, weil wir einander sagen, dass wir uns lieben, und weil wir das Wort lieben so gebrauchen, ist das Liebe, denn was soll Liebe sonst sein als das, was man mit dem Wort Liebe bezeichnet“.

Diese analytische Kraft und der gleichzeitig gefühlsmäßige Dauerfrost wird in Heinz Helles Debütoman virtuos zelebriert, und man kann diesem in sich gefangenen, einsamen Menschen dabei zusehen, wie er sich selbst zusieht. Wie er sich dabei immer mehr selbst beschädigt, bis er am Ende sogar seinen Vortrag nicht zustande bringt. Denn hatte er noch am Anfang gedacht: „Die Wörter in meinem Kopf existieren nicht, sagte ich mir mit Wörtern in meinem Kopf“, ist er am Schluss nicht einmal fähig, das zu sagen. Sein Vortrag besteht aus Schweigen.

Der Roman ist eine sehr kühle, kühl geschriebene, lakonische Versuchsanordnung, wie es einem Solipsisten gehen mag, einem Menschen, der ein „analytisches Tourette-Syndrom“ hat, aber nicht wirklich mit allen Sinnen und vor allem mit seinen Gefühlen lebt, der keinen Impuls hat, den er nicht sofort analysieren muss. Zwar erlebt er etwas, guckt  Fußball, hat Sex, trinkt und redet. Und als sie wieder abfährt, nach der zweiten Chance, die sie ihm noch mal gegeben hat, denkt er: „Ich frage mich, wo in meinem Kopf das ist, was sich schön anfühlt, wenn ich sage, ich finde es schön mit dir“. Aber das ist eben nicht im Kopf.

Heinz Helle
Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin
Suhrkamp
2014 · 159 Seiten · 18,95 Euro
ISBN:
978-3-518-42398-1

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