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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Cat's Eye

Am Anfang war ein Mord
Hamburg

Mit seiner inzwischen fünf Bände umfassenden Serie „Die Katze des Rabbiners“ feiert der 1971 in Nizza geborene Joann Sfar enorme Erfolge: Band 2, „Malka, der Herr der Löwen“, wurde 2003 auf dem Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême als Bestes Album nominiert, nach gut fünf Jahren hatte sich insgesamt bald eine halbe Million Exemplare der Serie verkauft, und im Juni 2011 kam die Filmversion der Geschichten um den maghrebinischen Rabbiner und seinen sprechenden Kater auf die Leinwand.

Nun hat der avant-Verlag erstmals eine gebundene deutsche Neuauflage der ersten drei Geschichten in einem Band vorgelegt.

Die Titel dieser drei Bände schlagen bereits die deutlich auf jüdische Lebenswelten Bezug nehmenden Themen an: „Die Bar Mizwa“, „Malka, der Herr der Löwen“ und „Exodus“, jedes von ihnen variantenreich und mit viel Sinn für Komik umspielt; Sfar nämlich hat Philosophie und Kunst studiert.

Am Anfang war das Wort. Nun ja, fast am Anfang. Denn vor dem ersten Wort der Katze des Rabbi steht ein Mord - an einem Papagei. Mit diesem schlingt die Katze zugleich die Fähigkeit zu sprechen in sich hinein, und was dabei herauskommt, ist, gemessen an dem, was mit dem Wort befasste Rabbiner als bekundungswürdig erachten, zunächst höchst profan. Und wirkt doch subkutan in die fromm-traditionelle Wort- und Gedankenwelt des Rabbiners hinein. Wer hier mal wie ein Papagei redet und wer nicht, der Rabbi oder seine Katze, das schwankt von Fall zu Fall.

Mit der Entwicklung dieses frechen, weltgewandten Katers als Gegenspieler zum gütigen,  gemütlich traditionsverhafteten Rabbi ist Sfar literarisch in die Fußstapfen von Märchen-Erzählern (gestiefelter Kater), aber auch von Autoren wie ETA Hoffmann (Kater Murr) bis hin zu Sven Nordqvist (Pettersson und Findus) getreten. Im Märchen geleitet der Kater den erbrechtlich arg kurz gekommenen Müllerssohn zum weltlichen Erfolg; in Murr persifliert Hoffmann den Bildungsroman, indem er seinen Protagonisten erzählen lässt, „wie man sich zum großen Kater bilde“, wobei die Bildungsgegenstände äußerst dürftig sind; und bei Nordqvist stört Findus, das wilde Katzenkind, die Rentnerruhe des alten Schweden. Elemente davon finden sich auch bei Sfars „sehr jüdischer Katze, die nicht aufhört ihren Rabbiner und die Grundsätze des Glaubens in Frage zu stellen“. So charakterisierte die frankojüdische Schriftstellerin Eliette Abécassis in ihrem Vorwort zum ersten Band den Protagonisten.1

Weil mit dem eigenen Katzenwort schon die Lüge in die Welt kommt, verlangt der Kater Bekehrung durch Belehrung, kurz: Bar-Mizwa und Thora-Schulung. Doch diese Bildung, auf die der Rabbi sich nach einigem Erwägen einlässt, erregt den Widerspruch des unbeirrbar pragmatischen Tieres, das sich in jüdischer Argumentationsfreude ergeht und die Redegegner an die Wand spielt, ein advocatus diaboli, den abendländischen Logos an der Seite: „Mein Meister erklärt mir, dass Gott vor 5700 Jahren […] die Welt in sieben Tagen erschuf. Ich frage ihn, ob er sich über mich lustig macht. Er verneint, dies wäre die Wahrheit. Ich sage ihm, dass dies lächerlich sei und dass man anhand von Kohlenstoff 14 wissenschaftlich beweisen könne, dass die Erde seit Milliarden von Jahren existiere.“2

Aber der Rabbi ist weichherzig und menschlich, und er findet eine Erklärung, die jene harsche Logik umschifft: „Er sagt mir, dass die Jahre vielleicht nur dann Sinn haben, wenn Menschen da sind, sie zu zählen. Vielleicht ist ja vor 5700 Jahren der erste Kalender entstanden.“

Quasi im ornamentalen Schnellstrich, auf Comic-Art, haben die Figuren flugs die großen Fragen wie die rechte Zugehörigkeit zum Judentum oder die wahre Liebe zu Gott versus irdische Liebe durch. Wobei weniger das Rechthaben entscheidet als vielmehr die Sympathie. Und so finden der Rabbi und der Kater immer wieder solidarisch zueinander, der Alte vom Tier, der Kater vom Rabbi profitierend.

Was im ersten Band lustvoll exponiert wurde, die menschliche Sprache des Tiers, wird im zweiten zunichte gemacht: Dem Rabbi steht eine Prüfung seitens des französischen Judenrats bevor, und der Kater, mitfiebernd und um die Qualifikation seines Herrn bangend, ruft – offenbar leichtfertig, so jedenfalls erklärt er sich die Strafe – den Namen Gottes an. Fortan ist nur noch Miauen angesagt.

Ganz nebenbei erfährt der Leser, dass nicht einmal das Papier, auf dem der unaussprechliche Name Gottes steht, entsorgt werden darf, sondern wie ein Mensch auf dem Friedhof begraben wird. Das im Kater begrabene Wort hindert des Weiteren auch die einhellige Kommunikation zwischen dem Rabbi, dessen Tochter und des Katers geliebter Herrin Zlabya, und ihm selbst: „Es ist, als wäre ich Luft seitdem.“

Folglich nehmen die Geschichten der einzelnen Personen einen individuellen Lauf, und doch vollzieht sich hier Immergleiches, mit eingefädelt von dem nomadischen Urtyp des Juden, dem legendären Löwen-Malka, der von dem Stammtier des mächtigsten alt-israelitischen Stammes Juda, einem Löwen, begleitet wird. Malkas Jahre wie erotische Kraft sind kaum zu schätzen, und während Rabbi und Kater mit ihren eigenen Angelegenheiten und Kümmernissen auswärts weilen, kommt es, wie es kommen muss: Zlabya verliebt sich in einen jungen, aus Frankreich stammenden Rabbiner. Kater und Rabbi finden zueinander in Weltschmerzgemeinschaft.

Der „Exodus“ des dritten Bandes ist keine eigentliche Geschichte eines Auszugs, wie so vieles an diesen Erzählungen Sfars gewissermaßen ironische Ausmalungen der großen jüdischen Themen sind, sondern dieser Exodus ist - in schöner Übertreibung – nichts als die Begleitung des jungen Paares durch den Rabbi auf ihrer Hochzeitsreise nach Paris. Dort nämlich missfällt dem an die Gepflogenheiten seiner Heimat Gewohnten einfach alles; er gerät in Konflikt mit der so anderen Welt und entzweit sich mit Tochter und Schwiegersohn. Dass dies am Sabbat geschieht, hat zunächst fatale Folgen, da es ihn, der den Vorschriften seiner strikten religiösen Kultur entsprechen will, nahezu handlungsunfähig macht; nicht einmal ein Hotel darf er ja buchen. Bis er – in einer Art Befreiungsschlag – seine engen Fesseln sprengt und Verständnis für die verschieden ausgeprägten kulturellen Riten entwickelt: „Die Wahrheit ist, man geht dahin, wo die Menschen einen wollen.“

Versöhnung mit Tochter und Schwiegersohn, sympathisches Einvernehmen mit dem atheistischen Schwiegervater der Tochter, und - Ende gut, alles gut – zurück in Algerien sind sich Katze und Rabbi wieder ein ganzes Stück näher.

„Wenn man glücklich sein kann, ohne die Thora zu respektieren, “ fragt der Rabbi seine Gemeinde, „warum soll man sich dann an die ganzen Vorschriften halten, die uns das Leben erschweren?“ - „Ja, Abraham, warum? Sag es uns.“ - „Nun ja, ich weiß es auch nicht.“

Weil schon der Entrüstungssturm losbricht, fügt dieser zuweilen katzenlistige Sancho Panza hinzu: „So, wir beten jetzt das Kiddusch, denn wenn ihr zu spät zum Essen kommt, werden eure Frauen auf mich schimpfen.“ Behagliches Katzengrinsen auf dem Synagogenbalkon.

Da der sechste Band mit dem hohen Titel „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ bereits angekündigt ist, darf man sich wohl auf die nächste gebundene Trilogie von Sfars turbulentem Einfallsreichtum freuen.

  • 1. Leider wurden die Vorworte – immerhin schrieben da der jüdisch-algerische Humorist Éliette Abécassis und der 2013 verstorbene jüdischstämmige Chansonnier Georges Moustaki – nicht in diesen Sammelband übernommen.
  • 2. Einige Rezensenten verorten die Erzählungen um die Katze des Rabbi in die Zwanzigerjahre. Die Erwähnung der ungefähren Jahresangabe 5700 sowie der Radiokarbondatierung (erstmals 1949 angewandt) seitens des Katers würden die Erzählungen allerdings etwa in die Endvierziger- oder beginnenden Fünfzigerjahre rücken.Die Comic-Serie wird in den 1920er-Jahren situiert. Hier allerdings macht Sfars Katze einen Sprung über ihre Zeit hinaus, denn die Methode der Radiokarbondatierung wurde 1949 erstmals angewandt.
Joann Sfar
Die Katze des Rabbiners
SAMMELBAND 1
avant
2014 · 152 Seiten · 29,95 Euro
ISBN:
978-3-945034-01-9

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