Vom Glück des Scheiterns
Die Geschichte beginnt so vielversprechend. Der junge William Stoner, Sohn armer Farmer, die im tiefsten Missouri unter Not und Mühen dem kargen Boden Jahr für Jahr das Bißchen abringen, das sie zum nackten Überleben brauchen, wird auf die Universität geschickt. Er soll Landwirtschaft studieren. Das könnte ihm nützen, es könnte dem Hof nützen. Doch an der Universität von Columbia entdeckt Stoner plötzlich die Literatur und die Philosophie für sich – was er seinen Eltern erst einmal verschweigt. Aber er faßt den Entschluß, dem Bauernleben den Rücken zu kehren, er bekommt die Chance, als Dozent für Englisch an seiner Universität anzufangen. Er verliebt sich in die Bankerstochter Edith und heiratet sie. Befreiung, sozialer Aufstieg, die Welt steht offen.
John Edward Williams, 1922 in Texas geboren und 1994 in Arkansas gestorben, hat mit dem Roman »Stoner« mutmaßlich einen Teil seiner eigenen Geschichte aufgeschrieben, denn der Autor stammt selbst aus ärmlichen ländlichen Verhältnissen und hat 30 Jahre lang an der Universität von Denver unterrichtet. Jede Zeile über harte Böden und eingesunkene Farmhäuser, über Campusintrigen und bösartiges Fakultätsgetratsche läßt erahnen, daß hier jemand sehr genau weiß, wovon er erzählt. Williams hat drei weitere Romane (für einen, »Augustus«, bekam er den National Book Award) und zwei Gedichtbände publiziert. Aber richtig berühmt wurde er damit nicht, und »Stoner«, schon 1965 erschienen, geriet auch in Vergessenheit. Erst seit der Roman vor ein paar Jahren in den USA neu aufgelegt wurde, begann er seinen Siegeszug.
Vielleicht war die Zeit 1965 noch nicht reif für einen Protagonisten wie Stoner, der das Gegenteil von einem Helden ist: Der Wechsel von der Ackerkrume zu Shakespeare passiert ihm eher, als daß er das plant, und so geht sein Leben auch weiter. Edith erweist sich umgehend als (sorry, liebe Feministinnen, aber man kann es nicht anders ausdrücken) bösartiges, frigides Weib, und dann steht da dieser furchtbare trockene Satz: »Nach einem Monat wusste er, dass seine Ehe scheitern würde, nach einem Jahr hoffte er nicht mehr darauf, dass es je besser werden würde. «
Aber Stoner bleibt natürlich bei seiner Frau, auch wenn sie die Tochter erst vernachlässigt und ihm dann abspenstig macht und ihn selbst nahezu aus dem Haus treibt. Genauso, wie er an der Universität bleibt, obwohl ihm der ordentliche Professor verweigert wird und sein Fachbereichsleiter ihm das Leben zur Hölle macht und die Studenten oft eher gelangweilt sind. Stoner ist ein Schicksalsergebener. Jemand, der fast nie aufbegehrt. Einer, der erträgt. Ein Liebender. Nur einmal erfährt er etwas, das man als Glück bezeichnen könnte, als er eine Affaire mit einer jungen Dozentin beginnt. Bis das Getuschel unüberhörbar wird. Die beiden geben auf.
John Williams schildert dies alles in einer nahezu wortkargen Sprache, ohne Schnörkel, ohne Amplituden. Gelegentlich scheint ein schönes Bild auf, etwa wenn Stoner und Edith sich unterhalten, »als wären sie alte Freunde oder erschöpfte Feinde. « Aber meist bleibt der Autor trocken, sachlich, fast distanziert – und schafft es gerade dadurch, die unter der Oberfläche leise gurgelnden Emotionen deutlich zur Geltung zu bringen, in all dem, was er nicht erzählt. Williams schreibt, wie Stoner ist (was im übrigen Bernhard Robben sehr einfühlsam ins Deutsche übertragen hat).
Diese Meisterschaft wird besonders gegen Ende des Romans deutlich, als Stoner an Krebs erkrankt und stirbt. Aber wie: Stoner weiß, er ist gescheitert. Doch es ist gar nicht mehr wichtig. Edith und er »betrachteten selbstversunken, was aus ihrem gemeinsamen Leben hätte werden können«, aber sie haben sich vergeben. Die Wirklichkeit mag nicht so gewesen sein, wie Stoner sie sich mal erträumt hatte. Aber es war seine Wirklichkeit. Er ist so gewesen, wie er eben war: er selbst. Was könnte man besseres über das eigene Leben sagen?
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