Das Fegefeuer der Sprachen
Aktuelle Romane lesen, das ist immer noch, oder wieder, der Biss in ein großzügig gebuttertes Brot. Moderne Lyrik, das sind ein paar Weizenkörner im Mund, man spielt mit ihnen, schiebt sie mit der Zunge hin und her, und es ist nicht klar, ob der Versuch Sinn macht, sie zu schlucken, sie zu verdauen, vielleicht sind sie nur für das Spiel im Mund gemacht? Jorge Kanese, paraguayischer Dichter hatte kaum den Mund aufgemacht, als man ihm fremde Körner auf die Zunge legte, stachlig-bittere, Abdrücke davon trägt er vermutlich noch – wobei es nichts ungerechteres gibt, als einen Schreiber auf ein biographisches Erlebnis, und sei es noch so markant, zu reduzieren.
Jorge Kanese ist eine der prominenteren Figuren der paraguayischen Lyrik, geboren 1947 in Asunción, ein starker Charakter, vieles seiner Bekanntheit stammt aus den Verboten seiner früheren lyrischen Werke, und damit erschöpft sich das Interesse und auch die Prominenz: mit dem Wissen um diese Dinge, mit dem Wissen, dass er unter Stroessner gefoltert wurde, waterboarding und anderes, dass er Arzt und Professor mit Fachgebiet Mikrobiologe ist und immer noch und immer avantgardistischer schreibt - damit geben sich die kulturell Gebildeten zufrieden, so weit, seine Bücher zu lesen oder gar die damals Verbotenen nun nachzudrucken: soweit reicht die Neugier auch dort nicht.
Paraguay ist eine von Land umgebene Insel, eine Formulierung von Roa Bastos, die Kanese gern zitiert, ein südamerikanisches Binnenland, das schon unter den Konquistadoren eigene Wege - soll man sie fraternisierend nennen? - ging. Kanese, oder Canese oder Xanese, er spielt auch mit den Lauten des eigenen Namens, ist einer der „Poetas das 3 Fronteiras“, die im 3-Ländereck Brasilien, Argentinien und Paraguay zusammenarbeiteten (ihr Blog auf p3f.blogspot.com ist inzwischen leider verwaist), die Sprache wechselt zwischen Spanisch, dem im Land weitverbreiteten Guaraní, und einem Mischmasch aus Spanisch, Guarani und Brasilianisch, dem Jopará. Kanese hat seit den 80 er Jahren veröffentlicht, aus der langen Liste seiner Werke hat Luxbooks jetzt endlich eine knappe Auswahl für den deutschen Sprachraum vorgestellt, ein Buch, das freundlich aufgenommen wurde, der Besprechung auf SWR2 folgte kürzlich die Auszeichnung als bestes lyrisches Sprachexperiment im ‚Weltempfänger‘ der litprom.
Desde un dudoso país,
desde un dudosos continente,
desde la galaxia más inexistente
(entre lacayos y trompetas)
y lejos,
muy lejos del trono de Dios padreme siento a veces un simple ser humano
que no sabe llorar,
que no puede reír
porque no nos miran ni los perros,
porque estamos lejos
y casí siempre es muy de noche
Von einem fragwürdigen Land aus,
von einem fragwürdigen Kontinent aus,
von der unvorhandensten Galaxie aus,
(zwischen Lakaien und Trompeten)fühle ich mich manchmal als einfacher Mensch
und kann nicht weinen,
und kann nicht lachen
denn nicht einmal die Hunde
betrachten uns mit ihrem Arsch,
weil wir weit entfernt sind
und es ist fast immer sehr späte Nacht.
Es ist eigentlich nur ein Appetithappen, kleine Auszüge aus den Büchern und doch bekommt man einen vorzüglichen Einblick in die Landschaft, in der sich Kanese bewegt und in die rasante und anhaltende Entwicklung, die sein Schreiben nimmt.
Beim Lesen von Kaneses Erkundungen und parallel den aktuellen deutschen Produktionen möchte man die ‚Freuden der Hölle‘ fast in Form eines Höllengelächter über manche Strömungen der deutschen Lyrik lesen, gerade bestaunte ich den Ausdruck ‚neue Berliner Avantgarde‘ im Zusammenhang mit einem Preisträger, der gerne in einer Art Bademantel posierte, was aber die Kampfkleidung des Literaten darstellen sollte. Bei Kanese findet sich die Substanz zur Pose, er ist durchgängig bissig, unverstellt direkt und nicht selten mit bösem Humor.
Luxbooks Auswahl ist mit einem beeindruckenden Apparat ausgestattet, zum zweisprachigen Abdruck – oder sind es eher vier, nein fünf Sprachen – der Arbeiten von Kanese kommt ein umfangreicher Essay des Übersetzers Léonce W. Lupette, ausführlichere Worterläuterungen bis hin zu von Sprach-Lehrern üblicherweise unterschlagenen Wendungen (deren Anwendung sicher auch in emotional exponierten Situationen befreiend wirkt). Die Auswahl beginnt mit einem seiner ersten, dem im damaligen Paraguay hochkontroversen Buch Paloma Blanca, Paloma Negra und führt hin bis zu Texten aus dem Jahr 2007, die zunehmend sprachexperimenteller werden und vermutlich alles an Problematiken aufwerfen, die das Feld des Übersetzens zu bieten hat – und, mein Eindruck, auch alle Varianten von genialem Gelingen und ziemlichem Scheitern.
In obigem frühen Text wird man mit romanistischem Elementarwortschatz, den man bei Liebhabern südamerikanischer oder iberischer Literatur meist finden wird, halbwegs zurechtkommen, den Ton der Lupettschen Übersetzungen fand ich gerade in den frühen Texten perfekt getroffen, freute mich an den freien und mutigen Wendungen, aber auch für spanischkundigere Leser als mich dürften Texte wie der folgende herausfordernd sein:
Tetas-t-roma
Parápará. Jaguapa‘ â. Para-nâ-ke.
Orgía seka nondá Qanexe-kü-nexe.
Takú takó(ari) tatu’I takohápe.laputa:kégusto hennanos
Xi-bô xephuê: xe-la-amandâ:
kuxaste-pa xera’a?
Hier wird sich der hilfesuchende Blick bei jedem auf Lupettes Übersetzung richten. Allerdings:
Tritt-aus-tem-Rom
Jajajaja. Jajaguar. Guar-nix.
Trokkenorgie is-lahm Qanexe-kuh-neḉi.
Ateșli(lick) atexḉi kapidan ateschgibi.Verdammteaxt: wiegeil brühter
Gekum megang: xez-la-damla:
Hasse kört, lan?
Hintergrund etwa der rätselhaften 3 und 5. Zeile ist, dass Lupette auf die Idee verfiel, für die Vermischung Guaraní-Spanisch, die Qanexe verwendet, auf eine deutsch-türkische Mischsprache zu migrieren. Für mich hatte das den Effekt, dass die Übersetzung umso mehr versagte, umso mehr ich sie benötigte und ich an unklaren Stellen eher auf der spanischen/Guaraní Seite auf die Suche ging, als die türkischen Ausdrücke zu entschlüsseln. Die klanglichen Ähnlichkeiten und die gemeinsame Sprachentwicklung des Spanisch-Guaraní-Gemischs über Jahrhunderte, das Kanese selbst in dem im Netz vorliegenden Interview mit Timo Berger anführt, mag in manchen Gegenden deutscher Großstädte sich bezüglich des Türkischen ähnlich vollziehen, von einer weitreichenden Zweisprachigkeit, wie sie in Paraguay der Fall ist, kann keine Rede sein. Und so wird Kaneses experimenteller Umgang mit Sprachmaterial, das für seine Leserschaft weitgehend bekannt sein dürfte, eine Übersetzung geschaffen, die nur für die vermutlich verschwindende Minderheit derjenigen passt, die an lateinamerikanischer Lyrik interessiert sind und gleichzeitig zumindest Elemente des Türkisch verstehen.
Jemandem mit eher lateinisch-romanischem Sprachhintergrund werden diese Elemente der Übertragung nicht helfen, schon die lautlichen Verwandtschaften, die Lupette anführt, erschlossen sich mir lesend ohne Grundkenntnisse des türkischen nicht (allerdings gewannen die gesprochenen Beispiele in der SWR-Besprechung von Ulrich Rüdenauer sofort eine hörbare Ergänzung dieser Texte wäre mit Sicherheit ein großer Gewinn, der die klangliche Seite von Lupettes Arbeit in ein anderes Licht tauchen dürfte.
Aber dieser Punkt betrifft nur wenige der späteren Arbeiten Kaneses, für die weit überwiegende Mehrzahl der Texte stellt sie kein Hindernis dar – oder, ich sage besser, nur ein kleines Element im Kosmos der Hindernisse, mit denen die modernen, gelegentlich assoziativ komponierten Texte sich einem allzu platten Anspruch an „Verstehen“ entziehen.
Kanese spricht direkt, oft derb, baut, arbeitet mit den Materialien der Umgangssprache und nimmt das kreative ineinander-Spielen der Ausdrücke der Straße auf, allerdings für seine Inhalte, ein Spiel, das nach seinem fast klassisch lyrischen Beginn mit starken, häufig politischen Gedichten, in seiner mittleren Phase zu Untersuchungen, Wendungen mit klanglich verwandten, aber bedeutungsfremden Worten führte.
Me explayo.
Un intento (?instinto?) de a-cercarmiento /aproximación
al Goce extrano que –supuestamenta- nos proporcionaría
La-Belleza (?Lalocura?) es razón-de-más
para explicar-justificar un libro,
una vida, un extasis, un piropo, un suspenso-extra,
pedacito-de-cualquier-cosa.
Ich zerstreue mich.
Ein Anlauf (?ein Trieb?) zu einer Ein-Kreisung/Annäherung
an die seltsame Lust die uns – angeblich – Das-Schöne
(?Derwahnisnn?) bereitet ist Ein-Grund-Mehr
für die Erklärung-Rechtfertigung eines Buchs,
eines Lebens, einer Extase, eines Kompliments, einer Extra-Spannung,
eines Stückchen-Irgendwas.
Es sind Gedichte, die sich nicht mehr einfach konsumieren lassen. Sie werden niemandem auf billige Weise das Gefühl ‚bereichern‘ oder die Gedanken am Nasenring zum nächsten Futtertrog führen. Sie fordern, dass man sich ehrlich macht, die Illusion des intelligiblen Weltenplans aufgibt, dem nur noch ein paar Bausteinchen, hier ein Higgs oder eine Gravitationswelle, dort ein Gen-Schalter, die Illusion, dass alles fast fertig verstanden ist: sie fordern, dass man dem Glauben an diese milchtrübe Wunderwunschkugel weltfremder Wissenschaftler und ihrer journalistischen Nachbeter entsagt und sich gemein macht, hinabtaucht in den Müll des Nichtwissens, in die Welt der Bauarbeiter, in dem die Wörter wie die Ziegel aus einem Abbruchhaus schon schmutzig sind, abgenutzt-vieldeutig, klebrig wie die Hand, die sie anfasst und den Platz ausprobiert, an dem sie in die neue Mauer passen könnten.
Die späteren Phasen, die aus der vorliegenden Auswahl nur erahnbar sind, sprengen gerade aus der Derbheit heraus die Partikel all der Sprachen in eine Art Plasma, mittels einer manchmal überspannt wirkenden Anti-Ästhetik und Authentizität – es ist schwer, aus der Schriftform allein zu einem Eindruck dieser wenigen Texte zu kommen. Ich würde Julietta Fix glatt vorschlagen, Luxbooks bei der nächsten Umfrage über „Deutschlands besten Verlag“ - sagen wir, auf Platz fünf zu positionieren, wenn Lupette Kanese dazu bewegen kann, ein paar der neueren Texte zu sprechen und diese zusammen mit den Übersetzungen irgendwo (z.B. lyrikline?) hörbar gemacht würden.
Fixpoetry 2014
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