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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Scheinbar ungesteuert nach irgendwohin

Komplizierte Vorgänge brauchen eine komplexe Darstellungsweise, und was ist als Stoff üppiger als das Leben? Judith Gruber-Rizy hat in ihrem Roman drei Vorgänge des Lebens im Auge und daher auch in jedem Abschnitt mindestens drei erzählerische Zugänge. Einmal geht es um die Drift, ein Phänomen, wo etwas scheinbar ungesteuert irgendwohin driftet, zum anderen geht es um die Verlässlichkeit von Erinnerung, und zum dritten geht es um das wahrhaftige Schreiben.

In elf sogenannten Driften stoßen diese Überlegungen aufeinander, wobei jeweils die Protagonistin „Rosa“ alle Parts übernimmt, sie schreibt, erinnert sich und schaut mit mehr oder weniger großer Bestürzung auf jene Drift, die ihrer Biographie zugrunde liegt.
„Ursprünglich wollte ich am Beispiel eines kleinen Mädchens das Spannungsfeld beschreiben und darstellen, wie es möglich ist, dass ein Mädchen sich auf die Männerseite stellt und versucht, dem Frausein zu entrinnen.“

Schon im Namen der Protagonistin spielt spiegelt sich alles, von der Kindermädchenfarbe rosa über den rosa Himmel bis hin zur Rose der Erotik. Rosa ist ursprünglich eine quer Liegende, schon ihre Geburt ist kompliziert und auch dann liegt sie dem Frauenhaushalt meist quer im Magen. Aber plötzlich entwickelt sich alles anders, Vater hat eine Freundin, Mutter kriegt die Scheidung nicht hin und Rosa verbündet sich durchaus authentisch mit der Männerwelt.

So entwickelt sich Rosa vom Großmutter-Kind zur Vater-Tochter und endlich, im reifen Frauenalter, zur Rosa-Zeit heißt es in einer spontanen Zusammenfassung einmal. Denn der Text entwickelt sich nicht nur mit dem Leser, die Rosa-Biographie wird auch ständig ausführlich vom Freundinnen-Kreis analysiert und kommentiert. Dabei geraten sich Tagebuchaufzeichnungen, der geplante Verlauf einer erzählstrategisch gut aufgestellten Liebesgeschichte und das Ausleuchten einer Kindheit immer wieder kreativ in die Haare und erzählen so die eigentliche Geschichte. Denn komplexe Dinge wie das Leben müssen eben in Einschüben und mit Abbrüchen erzählt werden. „Sich an neuen Ufern festsetzen. Hingedriftet, langsam und gemächlich. Für eine Weile niederlassen, bevor erneut der Drift hingeben.“ heißt es im Tagebuchstil gegen Ende des Romans, irgendwo zwischen Gegenwart und Zukunft.

Judith Gruber-Rizys Roman ist eine beeindrucke Art, wie man ein Leben zwischen Gender, Genie und großer Erwartung erzählen kann. Beeindruckend sind auch die jeweiligen Einstimmungen zu den einzelnen Driften; als Leser staunt man, was so alles auf der Welt als Drift irgendwo hin treibt. Das ist vielleicht die überraschendste Nachricht des Romans, dass wir alle „Gedriftete“ sind. – Wunderbar.

Judith Gruber-Rizy
Drift
edition art science
2009 · 184 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-902157546

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