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Kritik

Barbecue bei den haarlosen Primaten

Judith Zander gibt in „oder tau“ dem lyrischen Äffchen Zucker.
Hamburg

Durch den Erdkreis der an einigen Dutzend Händen abzählbaren Lyrikleser geht seit langem ein Riss: er beschäftigt sich mit der Frage, was denn Lyrik heute eigentlich sei. Wenn sie sich nicht in einem so abgezirkelten, gewissermaßen geheimbündlerischen Öffentlichkeitsbereich bewegte, könnte das eine überaus grundbrechende Frage sein; wie jene, sich für Schwarz oder Weiß zu entscheiden, das Licht oder die Dunkelheit, zwischen Askese oder einem durch sein Erfülltsein paradoxerweise verkürztem Leben.

Das Feuilleton, wenn es sich denn in die Niederungen der Lyrikkritik begibt, ergötzt sich gern und ausgiebig am Wortgekrümel der weiträumig ratlosen Generationen, es generiert daraus einen Anspruch, dass gegenwärtige Lyrik möglichst wenig mit den alten Idealen der Gattung gemein haben soll. Maß und Form sind verschwindende Argumente, sie werden allenfalls quotiert mit Aufmerksamkeit bedacht und ansonsten ein bisschen belächelt. Auch wenn es sich bei der klassischen Elegie, der Ode, selbst geknittelten Versen um komplexe Formen von Kunst handelt: sie erscheinen dem Kritikerstand in ihrer Art halbseidener Selbstbetrachtung als wenig zeitgemäß. Dass es in der Lyrikerszene längst eine Gegenbewegung gibt, es wird gern übersehen. Die ‚Revolution des Mittelmaßes‘, die den Landstrich spätestens seit Mitte der neunziger Jahre heimsucht, sie wirkt auf sich selbst zurück.

Die Lyrikerin Judith Zander, so scheint es, befindet sich auf einer der wenigen Gratkanten zwischen diesen Polen, allerdings mit leichtem und tastendem Drall in Richtung vorsichtiges Experiment. Das ist im Sinne eines momentanen, wenn überhaupt Lyrik konsumierenden Betriebs nicht die schlechteste Entscheidung. In den Gedichten ihres Bands „oder tau“ wagen die überfütterten „haarlosen affen“ ein Tänzchen, klippert es zwischen einer Reihe durchaus gelungener Stellen immer mal wieder, wird die innere Feinheit in ein äußeres Korsett gebogen. Manche Reminiszenz an die Großen mag der Ehrfurcht geschuldet sein, wirkt aber oft aufgesetzt. Die Adaptionen zu Texten von Hölderlin und Sarah Kirsch samt dem Querverweis auf die Vorgängerschaft, sie gehören zu den schwächsten Momenten des Buchs. Das Berufen auf die Dichter, die einen beeindrucken, beschäftigen und beeinflussen, ist legitimer Bestandteil des fürs Schreiber-Sein notwendigen Mikrometers Größenwahn, es kann, in ein im Beginn begriffenes Werk eingefügt, aber eben auch leichtsinnig verfügt und letztlich anmaßend sein. Die Größe der Stimme, sie nährt sich eben nicht dauerhaft aus den fremden Quellen – das Kajak einer nur aufgesetzten Souveränität, es läuft in den Steppen, nun, genau, der beschriebenen Ratlosigkeit irgendwann auf Grund.

Das ist nun nicht vordergründig Judith Zander anzukreiden, möglicherweise. Die Mühsal des Schreibens trifft die Vorpommerin wie jeden anderen auch, und man mag beeindruckt sein, wie sehr der vorgegebene Habitus des ‚Out-of-this-world‘-Tons, der aus dem Gerummel der Schreibschulen resultiert, hier dann auch umgesetzt und dennoch durchaus ins Persönliche gedreht werden soll. Der Ruch einer gewissen Mangelerscheinung an Authentizität bleibt allerdings … jenes Walten der Sprache, das nicht die faden Gelüste des Feuilletons bedient und die der allgemeinen Leichtherzigkeit in verderbender Zeit und das die Existenzbedingung und Entgegnung der Poesie in genau solcher Zeit ist.

Das Vexierspiel mit dem Bekannten („kennst du das abendland wo / oleander sibilanten weiden die / oliven bäumchen wechsel / dich spielen …) – es wird bei Judith Zander oft in ein semi-chaotisches Enjambement eingekleidet, das den Eindruck der Wortklitterung zunächst noch verstärkt. Es mag eine willkommene Geste sein, derart stabilbaukastenartig gegen die Sprachlosigkeit anzureden; dennoch ist das Versuchsreihenprinzip (wohl dem nach wie vor bestellten, notreifen Barbecue der konkreten Dichtkunst entnommen)‚ eher wissenschaftlich denn poetisch fundiert. „jeder schrank balanciert auf vier fragen: wie / hält man es aus sich anzuschaun wie hält man /  es nicht aus sich anzuschaun wie hält man es / aus sich nicht anzuschaun wie hält man es / nicht aus sich nicht anzuschaun ein raum / voller schränke“ Der Unterschied zur Chemie ist: die homologen Reihen derartigen Durchdeklinierens führen, da sie kaum auf ihre Bedeutung kommen, ins Nichts.

Die guten Augenblicke des Buches führen das Spröde als Qualität vor Augen: „die pappeln / haben den besten sound“. Ein Sound, der die ‚Sibilanten‘, die der Oleander erzeugt, versteh- und verschmerzbarer macht. Oder so: „böhlen im bodennebel das schien / ein unerreichbar herrlich giftiger stern / wir ließen uns anziehn“.  Das Gedicht, als ambivalentes Idyll endend: „kein / radarschirm verlangte nach uns“, es trägt den Hauch der Geworfenheit in sich, die jedes Wesen, auch wenn es sich den Luxus erlaubt, an seiner Vergangenheit vorbeizufliegen, mit sich trägt: seine Sehnsucht „nach hause“. ‚Abri vossos olhos‘ – man wünscht sich das öfter: diese traurige Blindenschrift jenseits der Goutierung der Vom-Weitem-Blicker … Es schadet nicht, sie mit der nötigen Grammzahl Poesie zu bestücken.

Diese Autorin ist eine Hoffnung wert. Für ihren Roman „Dinge, die wir heute sagten“, der 2010 erschien, war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert, wurde darüber hinaus mit einer Reihe Preise geehrt. Die Erwartungshaltung der Publikateure auf etwas „Richtiges“ ist klar und deutlich, vom kaufmännischen Standpunkt durchaus auch einsehbar. Von dieser Warte aus wirkt „oder tau“ allerdings ein wenig wie ein Zwischen-Werk, ein Zugeständnis des Verlags, der in absehbarer Zeit wieder mit etwas „Großem“, das das Einlassen auf die so viel schlechter (ach!) verwertbare Lyrik rechtfertigt, rechnet.

Judith Zander
oder tau
dtv
2011 · 100 Seiten · 11,90 Euro
ISBN:
978-3-423248624

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