"Der Hund bekommt ein Brötchen"
"PS: Anmerkungen zum Literaturbetrieb / Politisch Schreiben. #1 - Konkurrenz & Kanon" - ein Titel wie dieser muss wohl erst einmal auseinandergedröselt werden. Also: Es geht um eine Zeitschrift. Das Kürzel "PS" meint laut einer Vorbemerkung auf der ersten Innenseite sowohl "Post Scriptum" als auch "Politisch Schreiben". "Anmerkungen zum Literaturbetrieb" ist dann eine recht klare Großthemenangabe, die entweder einen gewissen Mut zum Nischenprogramm verrät (nur für Autor_innen), oder eine bemerkenswert abgeklärte Einschätzung über die generelle Reichweite von Literaturzeitschriften (ohnehin nur Autor_innen). Der Schwerpunkt der vorliegenden ersten Ausgabe nun - "Konkurrenz & Kanon" - wiederholt dieses Motiv der Ambivalenz zwischen Abgeklärtheit ("Konkurrenz") und Mut ("Kanon"). Das kaufmännische "&" zwischen Konkurrenz und Kanon schließlich suggeriert (zumindest mir), dass die Macherinnen dieser ambitionierten Zeitschrift die Verbindung zwischen jenen beiden literaturbetrieblichen Sachverhalten darstellen wollen - erst kommt die Konkurrenz der Marktteilnehmer, dann die Kanonisierung derjenigen unter ihnen, die sich genug symbolisches Kapital angeeignet haben ... (Saß ich nicht erst kürzlich mit einem Kollegen zusammen, der mit unter 30 Lebensjahren doch bereits souverän-weltweise sagen konnte "Ist doch egal, wer von uns am Ende kanonisiert wird..."?)
Ob der Untertitel nun so streng gemeint ist, wie ich ihn lese, oder nicht - er weckt, gerade in der Verbindung mit dem Zeitschriftennamen, Hoffnungen: Dürfen wir uns hier ernstlich Reflexion über die gesellschaftliche, die politische Dimension von Literaturbetriebsamkeit erwarten? Fußend auf stringenten Anschauungen davon, was es sozial und/oder soziologisch bedeutet, dass gelesen, dass geschrieben, dass Geschriebenes vermarktet wird (Anschauungen, die sich dann gern widersprechen dürfen, wenn sie bloß eben mal benannt und irgendwie hergeleitet werden)? Das alles systematisch geballt in einem Heft bzw. Buch, und nicht frei-assoziativ über die Feuilletons einiger Wochenenden verstreut?
Wir erfreuen uns solcher Erwartungen und blättern aufs Geratewohl durch den schmalen Band. Was finden wir dabei? Zwei Großabschnitte - "Gedanken & Gespräche" sowie "Literatur" - und als Einleitung ein "Editorial in mehreren Szenen". Dieses Editorial ist als mission statement zu lesen und erklärt umfassend die Motivationen bzw. Zusammenhänge, aufgrund derer bzw. aus denen heraus Katherin Bryla, Olivia Golde und Rhea Fenzl "PS" gegründet haben. Es ist gerade insofern als besonders gelungen zu betrachten, als sich an ihm neben der grössten Stärke auch die offenkundig grösste Schwäche des Projekts "PS" zeigen lässt.
Die Stärke: "Flotte Schreibe", wie man heutzutage wohl sagt, die tatsächlich die ganze Spannweite "politischen Schreibens" absteckt, von (a) zeitgenössischen emanzipatorischen Bewegungen bzw. Brennpunkten, zu (b) der darauf reagierenden Ästhetik-und-Diskurs-Welt, über (c) die eigenen Klasseenlage innerhalb dieser Welt zu (d) den Texten-selbst, die in dieser Gemengelage vorkommen (und luxuriöserweise sogar noch ohne den allseits beliebten Denkfehler "deutscher Ideologie[n]", reale gesellschaftliche Geschehnisse aus den Ideen erklären zu wollen statt richtig herum) ... Die Schwäche: Der unbedingte Drang, allzeit wieder ins Persönliche, ins Künstlerische, ins also Uneindeutige zurückzurudern. Was heisst das? - Bryla, Golde und Franzl begnügen sich nicht damit, zu sagen, sie kommen aus diesen und jenen Verhältnissen, teilen diese und jene Analyse und haben daher diese und jene Autor_innen zur Mitarbeit an "PS #1" eingeladen. Wohl liefern sie genau diese Informationen, aber sie verpacken sie in ein entzückendes, wohlgefügtes Lesedramolett. Damit immunisieren sie sich ärgerlicherweise vorsätzlich gegen jede Kritik: Inhaltliche Kritik kann jederzeit auf der ästhetischen Ebene zurückgewiesen werden, ästhetische Kritik dafür inhaltlich.
Indes ist schon, dass sich diese Art von Schwierigkeit überhaupt stellt, eigentlich ein gutes Zeichen für ein Projekt, das "Anmerkungen zum Literaturbetrieb" verspricht: Die Herausgeberinnen operieren, indem sie verfahren wie beschrieben, auf dem literarischen und literaturtheoretischen Niveau der Zeit und des Betriebs; geben mithin zu erkennen, dass sie wohl wissen, wovon sie (und by extension ihre Beiträger_innen) reden.
Der "Konkurrenz & Kanon" betitelte Text von Katherin Bryla bietet eine kurze und knackige Übersicht über Methoden, das Mißverhältnis zwischen den (sozialen, politischen) Erkenntnispotentialen des Kultur-, hier Literaturbetriebs einerseits und der faktischen Existenz der Literaturbetriebsfiguren als Subjekte des schlechten, konkurrenzkapitalistischen und tendenziell rassistisch-sexistisch ideologisierten Marktes andererseits in den Blick zu nehmen. Wie stellt sich gegen das Konkuzrrenzprinzip, wer sich als Konkurrent verhält? Wie kann sich zu ihm äussern, wer das nicht tut? Was kann dem immer noch wesentlich weiss-cis-bürgerlichen Kanon der "richtigen" Literatur entgegengesetzt werden?
In der Rubrik "Gedanken & Gespräche" versuchen fünf Beiträge sich diesen Fragen zu nähern (zwei Interviews, drei Essays). Sie alle sprechen im Wesentlichen lauter zutreffende Sachverhalte aus und verknüpfen diese dann zum Teil brilliant (Anna Kow), zum Teil genau falsch (Felix Dachsel, zumindest meiner Meinung nach); sie alle verknüpfen Ideologie, Textästhetik und Lebensbedingungen der Autoren erheblich klarer und stringenter, als wir das im Allgemeinen gewohnt sind (als ich das gewohnt bin). Sie haben aber leider auch gemeinsam, dass keine dieser "Anmerkungen zum Literaturbetrieb" sich einen anderen als den derzeit herrschenden Betrieb vorstellen zu können scheint. Sagen wir: Korrekte Diagnose, kein Behandlunsgplan.
Dem Literaturteil, seinerseits in Drama, Lyrik und Prosa(!) unterteilt, scheint man (scheine ich) ein Bemühen um mehr oder minder "alternative" Ästhetiken anzumerken, die mit dem Anspruch der zuvor angerissenen Diskurse mithalten können (sollen). Ob sie das schaffen, oder ob ich selbst den Anspruch bloß halluziniere, das mögen die Leser_innen entscheiden. Die Verve, mit der die Herausgeberinnen ihr Thema fokussieren, ist jedenfalls beachtlich; und es ist dem deutschsprachigen Literaturbetrieb unbedingt zu wünschen, dass eine Zeitschrift fortexistiert, die Anmerkungen zu ihm systematisch bereitstellt.
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