Leeres Zentrum: Lorenz Jäger umkreist Walter Benjamin
Lorenz Jäger zeigte schon 2003, daß er Biographien schreiben kann: Adorno. Eine politische Biographie überzeugte jedenfalls manche Kritiker. Schon damals gab es aber ebenso die Gegenmeinung, er sei Antimodernist, „als Rechtsaußen der Feuilleton-Redaktion einschlägig bekannt“ zu sein, wie Habermas es formulierte – womit es befremdlich ist, daß er sich just Benjamin nun vornimmt und damals sich an Adorno vergriff, wenn denn diese Einschätzung zutrifft. – Mit Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten bewegt er sich jedenfalls erneut im Kontext des Neomarxismus, den Erratischen dabei durch Texte und Daten ausleuchtend, der, wie der Untertitel vorschlägt, auch von seinem unzeitigen Tod zu lesen sei.
Dabei ist vieles bekannt; manches aber in seiner Nuancierung doch lesenswert. Und manches wiederum plakativ, so die ödipale Deutung, Benjamin sei um des Rätsels seines Vaters willen zur „Lösung aller Rätsel des Kaufmannsberufes” aufgebrochen, es sei dies quasi die Quintessenz dieses Denkens. So einfach ist es nicht, auch nicht mit der Ironie Blochs hierzu im Rücken. Auch die These vom Unvollendeten leidet unter diesem Zug zuletzt. Religiöses, Dichtungen (u.a. Stefan Georges und Baudelaire), Freundschaften, der frühe Tod seines ihm in seiner Dichtung begegnenden Fritz Heinle, „graziöse Lüstchen” (W.B.), Liebe und Ehe, einander dialektisch vermittelt, denn so einfach war es bei Benjamin nicht, das verbindet sich bei Benjamin früh, ein „rezeptives Genie”, so Jäger, doch bleibt es bei ihm mitunter unvermittelt: Benjamins Leben als Lieferant von Schlagworten, aus deren Koordinaten sich lange wenig ergibt. Es ergibt sich keine profilierte Gestalt, während hingegen Milieus und Einflüsse gelungen kolportiert werden, man lernt oder liest wieder, woher er kam, aber was es sei, das Benjamin noch immer zum einfluß- oder besser folgenreichen Denker macht, versteht man durch das Buch nicht wirklich besser. Benjamin dachte dies oder jenes „auf eine eigentümliche Weise”, gut – doch gelingt es Jäger selten, dann zu präzisieren, worin diese gelegen sei, und: woran ihr gelegen.
Was sich immerhin ergibt, sind wie gesagt kenntnisreiche Milieustudien, Skizzen zu Surrealismus und säkularem Judentum zu Benjamins Lebzeiten. Auch zum Haushalt Adornos erfährt man – bei diesem Biographen nicht überraschend – souverän einiges dargestellt. Und so ist Benjamin oft der bleibende Unbekannte in einer sonst Großteiles überzeugenden Darstellung, um ihn werden Konstellationen und Konstruktionen ohne ihn entworfen, was irgendwie Benjamin sogar entsprechen mag, samt seiner bekannten Tasche unbekannten Inhalts, aber an einer Biographie doch irritiert. Noch Details an ihm, etwa, seine Faszination für Hände – und die seiner Hände – werden wie zu einem Kontext, worin der, um den es gehe, oft absent ist. „Scheiternde Hoffnungen überall”, thematisch, aber auch manches am Buch betreffend.
Lesenswert? – Ja.
Befriedigend? – Nein.
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