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Kritik

Wucherndes Leben widersetzt sich dem Ordnungssinn

Hamburg

Dem schwedischen Naturforscher Carl von Linné (1707 bis 1778), „Fürst der Botaniker“ oder „Plinius des Nordens“ genannt, verdanken wir unser botanisches System. Der Pfarrerssohn aus Småland – man denke an Michel von Lönneberga – machte sich die Klassifikation und systematische Benennung der Pflanzen zur Lebensaufgabe und nannte sich einen „zweiten Adam“. Unweit der Universitätsstadt Uppsala legte der Mediziner den ersten botanischen Garten Schwedens an, wo er 3000 Pflanzen zog und studierte.

Die Schweden nannten diese bedeutende europäische Forscherfigur, über den ein Dutzend Wissenschaftler-Biografien sowie eine Reihe literarischer Werke vorliegen, darunter Gedichte von H.C.Artmann und H.M.Enzensberger, ihren „Blumenkönig“.

Letzterer interessierte sich – journalistisch wie literarisch, in einer Ballade – v.a. für die im besprochenen „Garten“ kaum gestreiften „Nachtgeschichten“ Linnés: einer Art demokratischer Skandalchronik, worin sorgsam jedes Verbrechen und jede Perversion, ob nun am königlichen Hof oder in einem Schweinestall unter Taglöhnern verübt vom Komplettierer der Schöpfung gelistet wurden: Linnæus wollte selbst die geheimen Triebe und okkulten Mächte offen legen, hinter der er eine – gottgewollte – Rache-Ordnung vermutete.

Magnus Florins nun in gelungener deutscher Übersetzung durch Benedikt Grabinski vorliegende Erzählung „Der Garten“ wurde 1995 veröffentlicht und mit dem schwedischen August-Literaturpreis prämiiert.

Der 1955 geborene Florin leitete lange das Radiotheater des schwedischen Rundfunks und ist heute Chefdramaturg eines der größten Theater des Landes, dem königlichen Stockholmer Dramaten. Auch darum nimmt es nicht Wunder, dass das liebenswürdige Büchlein, das Linnæus als schrulligen Botaniker etwas verloren in seinem „Garten“ würdigt und damit eine Grundidee der Aufklärung: Systematisierung –  sanft aus der Verankerung hebt, 1999 eine Dramatisierung zur Oper erfuhr. Hauptsächlich lässt sich das mit „Der Garten“ – in Schweden längst Schullektüre – anstellen, dessen Struktur sehr leichtfüßig ist: Ohne sich genau an historische Daten, die Chronologie oder die Unterscheidung zwischen Fantasie und Wirklichkeit zu halten, schildert Florin im grammatischen Präsens Gespräche oder Gedanken des Protagonisten, meist bei Gängen durch den Garten und nie länger als eine Drittelseite. Die Anordnung dieser Assoziationen zu der bekannten Forscherfigur ist so locker wie dessen Pflanzennomenklatur nie sein durfte.

Und genau dies macht den Charme der Erzählung – von der Verlegerin Margitt Lehbert „Roman“ genannt – aus: Linné, wie der nach Erscheinen des „Systema naturae“ (1735) Geadelte sich nennen durfte, verzweifelt bei dem Versuch, ausnahmslose Ordnung in die Schöpfung zu bringen. Die Durchdachtheit des Göttlichen Plans als lückenloses System festzumachen, gelingt ihm nicht: immer wieder bringt man ihm Gewächse, die es nicht geben dürfte.

Manchmal wird der Professor Opfer von Scherzen und man schiebt ihm eigens zusammengekleisterte Pflänzchen unter. Auch die 28 Studenten, die ihm, bewaffnet mit Botanisiertrommeln, über die Wiesen folgen „wie die 12 Apostel“, halten nicht alle, was Linné sich von ihnen verspricht und kehren von ihren Missionen nicht zurück.

Man ist ein wenig an Lehrer Lempel erinnert, wenn man den hageren zerstreuten Perückenträger über seine Anlage bei Uppsala schlürfen liest. Dem eigenen Gärtner – ich würde mir Petterson von „Petterson und Findus“ vorstellen – ist er auf jeden Fall nicht gewachsen: Weder schafft er es, ihn durch einen anderen, weniger aufmüpfigen zu ersetzen noch erwiese sich das botanische Wissen des Professors an irgend einer Stelle dem pragmatischen des erfahrenen Pflanzers überlegen. Das Verhältnis der beiden gipfelt darin, dass kostbare Cochenilleschildläuse, die sich Linnæus von einem auf Expedition befindlichen Kollegen auf einem Kaktusblatt schicken lässt, durch den Gärtner entsorgt werden: Mit angewidertem Gesicht zerknackt er jede für sich zwischen den Fingernägeln und gifelt später: „Eine seltsame Distel von Rolander ist eingetroffen. Aber pfff, sie war so voller Ungeziefer.“

Ja, der Gärtner – Linnés Korrespondenz mit diesem Dietrich Nietzel, einem Deutschen aus Niedersachsen, vom Professor aus Holland mitgebracht, liegt in Buchform vor – tanzt dem Akademiker auf der Nase herum! Es gibt eine Stelle, wo Linneaus verzweifeln möchte, da sieht er seinen Widersacher draußen übermütig herumhüpfen: „ein sonderbares Ballett, sehr grob“. Als er sich die Brille aufgesetzt hat, ist der Unfug schon wieder um, „ist der Gärtner weg“.

Magnus Florin
Der Garten
Übersetzt und mit einem Nachwort von Benedikt Grabinski
Edition Rugerup
2013 · 96 Seiten · 15,90 Euro
ISBN:
978-3-942955-35-5

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