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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Auch mal das Hinterteil besehen

Es gibt die schöne These, wonach sich das Genie nach außen und das Arschloch nach innen zeigen. Zyniker meinen, bei Österreichern sei es genau umgekehrt.
Manfred Chobot hat ein Dutzend Schriftstellerinnen und Schriftsteller eingeladen, über das grandios widersprüchliche Begriffspaar Genie und Arschloch jeweils Fallbeispiele zu dokumentieren.

Quasi als kulturwissenschaftliches Fundament erläutert Wolfgang Müller-Funk die Faktenlage unter dem Aspekt: Das Arschloch des Genies, Seitenansichten über ein Phänomen im Zeitalter seiner Entzauberung. Darin wird der Begriff des Genies endlich demontiert, das sogenannte Genialische erweist sich dabei als eine werbestrategische Maßnahme, welche besonders für die Installation der Klassik und Romantik von großer Bedeutung gewesen ist.
Die Fallbeispiele sind mehr oder weniger lustig. Lustig ist vor allem, wenn die Stars demontiert werden, weniger lustig sind die Episoden für die Angehörigen und nahen Fans, so haben sich etwa rund um Pablo Picasso fast alle aufgehängt oder sonst wie gedemütigt und verzweifelt zu Tode gebracht.

Ernest Hemingway hat letztlich nur Jagd, Natur und Killen im Schädel gehabt, ehe er sich in diesen die erlösende Munition gejagt hat. Bei seinem Begräbnis war übrigens kein einziger Schriftstellerkollege anwesend, was auf einen hohen Arschlochquotienten des Verblichenen schließen lässt.
Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre haben sich ein Leben lang über alle Freundinnen und Freunde lustig gemacht und sie im internen Briefwechsel vollkommen verarscht.
Karl Valentin ging in seiner blöden Misanthropie sogar so weit, einen Arier-Kollegen als Juden zu denunzieren, eine besonders perfide Art des Arschlochtums, an der vor allem Liesl Karlstadt ununterbrochen gelitten hat.

Kandinsky hat seiner Freundin die Stadt verboten, wenn seine Ehefrau zu Besuch kam.

Bert Brecht hat wohl pro Theaterstück, das er selbst geschrieben hat, eine Abtreibung bei seiner jeweiligen Freundin veranlasst, und dann sogar noch den abgetriebenen Vater gespielt.

Arno Schmidt schließlich hat so gut wie alles in seiner Biographie zusammengeflunkert, was aber die verschworene Fangemeinde, die wie alle Fan-Trupps ziemlich blind ist, weiter nicht stört. Im Gegenteil der Arschlochanteil geht bei dieser Betrachtungsweise fließend ins Genie über.

Die Licht- und Schattenseiten der berühmten Persönlichkeiten kommen in dieser Sammlung erheiternd zum Vorschein. Und als Leser lernt man, dass man bei jedem Künstler das Hinterteil anschauen soll, das ist oft genauso wichtig wie jenes Gebilde, das auf dem Hals sitzt.

Manfred Chobot
Genie & Arschloch
Molden
2009 · 280 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-854852346

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