Kritik

Smart World

Hamburg

Die Diskussion um die erneuerbaren Energien und das Smart Grid sind notwendig. Dass das Problem der neuen Energiewelt aber nicht in den steigenden Kosten steckt, sondern in der Zerbrechlichkeit des Systems, hat der Österreicher Marc Elsberg in einem halsbrechirischen Polit- und Wissenschaftsthriller vorgeführt. Dennoch gibt es kein Zurück.

Das Erneuerbare Energien Gesetz ist aller Voraussicht nach der entscheidende Punkt in der politischen Karriere des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Gelingt es ihm, die Energiewende zu managen und Industrie wie Erneuerbare Energien Verbände gleichermaßen zufrieden zu stellen, dann könnte er der nächste Kanzler Deutschlands und der SPD sein. Setzt er dieses Projekt in Wasser, dann wird seine Karriere verebben. Sang- und klangloser Untergang könnte man das dann auch nennen.

Die Bedeutung, die die Energiewende für das politische Establishment hat, kommt nicht von ungefähr. Die Bundesrepublik ist immer noch ein Industrieland (und noch kein Nach-Industrieland). Zugleich ist die Bundesrepublik wie alle anderen Wohlstandsgesellschaften von einer sicheren Energieversorgung essentiell abhängig. Wohlstand, Sicherheit, ja auch die demokratische Verfassung hängen nicht zuletzt daran, dass die Energieversorgung funktioniert. Die gesamte Bevölkerung, Wirtschaft und Industrie sind fast vollständig vom Energienetz abhängig. So etwas wie Energieautarkie gehört der Vergangenheit und vielleicht ein paar entlegenen Berg- oder Waldhütten an, deren Standard mit Recht als bescheiden angenommen werden kann.

Würde die Energieversorgung über einen längeren Zeitraum oder umfassend versagen, bräche der gesamte gewohnte  Lebensstil  zusammen. Die Industriegesellschaften sind arbeitsteilige Gesellschaften, was eben auch bedeutet, dass sie auf Energie angewiesen sind, mit denen Güter, Teile und Dienste zusammengefügt werden können. Bis der Bissen in den Mund kommt, sind eine Menge Leute mit verschiedenen Aufgaben damit beschäftigt, ihn darauf vorzubereiten. Das würde wegfallen, weil sie alle Energie benötigen, damit das funktionieren kann.

Die Sicherheit und Durchgängigkeit der Energieversorgung, die für Deutschland ein jüngeres Phänomen ist (man denke sich, eine Stadt wie Berlin vor 1900 hat in großem Maße ohne Strom funktioniert, das würde heute nicht mehr ohne weiteres gehen), wurde in der Vergangenheit durch halbstaatliche Versorgungsunternehmen mit relativ wenigen Großkraftwerken quasi von oben herab sichergestellt.

Dieses Modell ist mit der Energiewende perdu. Zum Teil weil diese Großkraftwerke nicht ewig zur Verfügung stehen oder zu gefährlich sind, zum Teil weil die Öffnung der Märkte Quasimonopole wie in der Energieversorgung aufgehoben hat. Innerhalb von gut 20 Jahren ist aus einem hierarchischen Versorgungsmodell ein dezentrales geworden. Statt weniger Großkraftwerke speisen Tausende Wind- und Solarparks, Biomassekraftwerke und Wasserkraftwerke Strom ein. Und damit sind die großen Braunkohle-, Gas- und Kernkraftwerke noch nicht einmal alle vom Netz.

Diese dezentrale Einspeisung ist für das Netzmanagement bis heute eine echte Herausforderung. Die Entwicklung geht aber weiter und mit dem Konzept vom Smart Grid lässt sich bereits heute erkennen, was auf uns zukommt: ein IT-basiertes, höchst komplexes und leistungsfähiges System, in dem Daten in einem Volumen in Echtzeit transferiert und verarbeitet werden müssen, wie es heute immerhin schon vorstellbar ist. Klein sind die Datenmengen dennoch. Bis in die Haushalte werden die smarten Systeme reichen, was dazu führen soll, dass sich sogar Privatleute nicht nur aufs Stromkonsumieren beschränken sollen, sondern ein Energiemanagement entwickeln müssen.

Das Problem der IT ist – die Systemintegrität und -stabilität. Und hier greift Marc Elsbergs Roman „Blackout“, der 2012 als Hardcover und im vergangenen Jahr als Taschenbuch erschienen ist.

Dabei ist Elsbergs Roman bewusst in der Tradition der amerikanischen Wissenschaftsthriller geschrieben, deren wohl bekanntester Repräsentant, Michael Chrichton vor kurzem verstorben ist. In der bewährten Cliffhanger-Technik, samt umfangreichem Personal und verteilten Rollen, dabei mit dem gewünschten guten Ausgang geschrieben, hat Elsbergs Roman ein hohes Tempo, das er auf seinen gesamten knapp 800 Seiten beibehält. Ein souverän geschriebener, unterhaltsamer Wissenschaftsroman also, der zugleich mit der Katastrophe hausieren geht.

Seine konventionelle Schreibweise wird man ihm freilich nicht vorhalten können, dazu ist sein Thema zu brisant. Denn Elsberg nimmt die Idee vom Smart Grid beim Wort, zieht aber bereits an einem Punkt die Katastrophenkarte, den man beim besten Willen nicht erwarten würde, in der Gegenwart.

Da reicht die massenhafte Abschaltung von privaten Energieverbrauchern in den beiden Ländern, die bereits sogenannte Smart Meter angeschafft haben, Schweden und Italien, um die europäischen Netze ins Wanken geraten zu lassen. Weitere Manipulationen etwa in den Leitsystemen von Kraftwerken kommen hinzu. Innerhalb weniger Stunden liegt Europa weitgehend im Dunkeln. Und es ist mitten im Winter.

Das ist eine Katastrophe, und Elsberg zeigt, wie aus dem technischen Desaster ein organisatorisches, ein politisches, ein wirtschaftliches und ein gesellschaftliches werden. Europa rutscht mit einem Mal und aus vollem Lauf in den Stillstand, der auf seine Weise von äußerster Raserei ist.

Natürlich werden die verantwortlichen Stellen in höchste Aktivität versetzt. Kraftwerkstechniker, Ingenieure, Programmiere arbeiten auf Hochtouren, um herauszubekommen, worin die Ursache für den Blackout besteht.

Aber es braucht – genretypisch – einen Außenseiter, um die wahre Ursache zu erkennen. Der Ex-Hacker Piero Manzano erkennt durch einen Zufall, dass sein Strommesser manipuliert wurde. Als er seine Erkenntnis an den Mann bringen will, hat man für den Exzentriker erst einmal keine Ohren. Als er sich aber dann doch – über einen Umweg - Gehör verschaffen kann, gerät er selbst in Verdacht, zu den Verursachern zu gehören. Er flieht also – um schließlich nicht nur zu erkennen, dass manipuliert wurde, sondern auch wie. Womit dann die Fluchtrichtung sich umkehrt.

Am Ende des Romans ist der Held natürlich – genretypisch – erfolgreich. Der Komplott wird aufgedeckt, die Hintermänner – radikale Zivilisationsgegner, sagen wir mal – werden dingfest gemacht, das Versorgungsystem wird wieder angeworfen. Aber Europa liegt, kaum 14 Tage ohne Strom, in Trümmern, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich.

Was zu welcher Konsequenz führt? Dass das System, das wir uns zulegen, zwar fragil ist, aber dass es keine Alternative hat. Denn es gibt kein Zurück zu Kohle und Atom – aus Kostengründen nicht (intern und extern) und wegen der hohen Risiken, die mit diesen Technologien verbunden sind. Eine ökologische Gesellschaft ist demnach keine primitive Gesellschaft, sondern eine neoindustrielle, vernetzte und dezentrale, die größten Wert auf die Integrität und Sicherheit ihrer Daten legt. Es gibt keinen Weg zurück, sondern nur einen Weg nach vorne, der allerdings bewusst und reflektiert angegangen werden muss. Und der Anlass für viele Geschichten geben wird.

Marc Elsberg
BLACKOUT
Morgen ist es zu spät
Blanvalet
2013 · 800 Seiten · 9,99 Euro
ISBN:
978-3-442-38029-9

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