Traumsicheres Kreisen um das Wahrheitsloch
Diese Besprechung wird kurz.
Einfache Erklärung: alles, was zu sagen ist, wurde im Alphabet der Träume ausbuchstabiert.
Von der Anfangsgasse bis zum Zettelweg, wenn man kein Hase ist, gibt es einen Weg zurück. Er liegt in der Aufrichtigkeit einfacher Erklärungen.
Mit „Einfache Erklärung. Alphabet der Träume“ nimmt Margret Kreidl den Leser mit auf eine surreale Reise durch ihre Träume und ihr Leben, eine Reise, auf der sich einfache Erklärungen für das Zusammenspiel von Dingen finden, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Vergangenheit und Gegenwart, Kindheitserinnerungen und Alltagssorgen, alles geht ineinander über und verknüpft sich zu einer großen Erzählung. Dabei wird die Politik nicht ausgespart. Als Geschichte wie in BIRKENAU:
„Die Birken leben. Ich weiß nicht, was der Wind von mir will.
So viele Hände wehen durch die Luft. Und ich kann nicht beten.
Einfache Erklärung: Vor 66 Jahren wurde das Konzentrations-
lager Ausschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit.“
Aber auch Fukushima, Snowden, der Gezi Park oder die beschnittenen Frauenrechte im Iran, uvm. tauchen in den Träumen auf. Durch die einfachen Erklärungen, die jeden Text abschließen, wird das Surreale mit Nüchternheit gebrochen. Diese einfachen Erklärungen sind ironisch und bestechend logisch, genau daraus beziehen sie ihren Witz.
Einen roten Faden, ein kleines Inhaltsverzeichnis und die Antwort auf die Frage, worum es geht (wenn es gut geht), steht in DIALOG:
„Sind Sie ein Pfau?
Nein, ich bin eine Sau.
Darf ich Sie anschauen?
Ja, ganz genau.
Einfache Erklärung: Der Traum ist ein Selbstgespräch.“
Dieser Bruch durch die „einfache Erklärung“, der alles ins Lapidare, Lakonische kippt, erscheint in diesen Texten als Möglichkeit dem Pathos seinen Raum und sein Recht (sic) zu geben. Selbst für die Erklärung gibt es eine einfache ERKLÄRUNG:
„Ich habe eine Erklärung für jeden meiner Träume vorbereitet, da
die meisten Analytiker ein deutsches Traumverständnis haben,
die Träume, die ich erzähle, aber französisch sind.
Einfache Erklärung: Der große böse Wolf repräsentiert das große
theoretische Über-Ich, das alle weiblichen Rotkäppchen bedroht, die
versuchen ihren Wald zu erforschen, ohne Erlaubnis des Analytikers.
Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens“
Das Surreale, den Rückgriff auf die Träume in Kreidls Texten verstehe ich auch als Umsetzung dieses Satzes von T.S. Elliot: „Genuine poetry can communicate before it is understood.“ Einfache Erklärung: Unsere Träume sind Poesie.
Kreidls einfache Erklärungen lassen mich zum ersten Mal die doppelte Bedeutung des Wortes „einfach“ erkennen. Das Einsortieren des Erfahrenen (Widerfahrenen) in ein Fach, diese Möglichkeit, Dinge, die uns verfolgen, die uns Angst machen, wegzusperren in begriffliche Schubladen aus denen sie erst im Traum wieder ausbrechen. So schließt sich der Kreis, das Alphabet ist ausbuchstabiert, der Weg führt zurück, weil die einfache Erklärung einen doppelten Boden hat.
Jetzt ist die Besprechung doch nicht so kurz geworden, wie ich anfangs angenommen hatte. Einfache Erklärung: Meine Begeisterung war nicht zu bremsen.
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